Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland (Author: Magdalena von Dobeneck née Feuerbach)
Chapter 5
XI
Dungannon, am 18. Juny.
Das Schloß füllt sich mit Gästen, und zwanzig Zimmer sind bereits von Fremden aus der Nachbarschaft bewohnt. Man besucht sich in England oder Irland nicht etwa wie bei uns, à deux, nein! ganze Familien rücken zur Einquartirung ein. Herr und Madame, Kinder nebst Amme und Bonne, Dienerschaft und Pferde. Da laß ich es oft um mich her sumsen und mache mir's auch bequem. Ein grundgelehrter Sir würdigte auch heute mich ungelehrtes Ding nicht nur eines Blickes, sondern einer stundenlangen Unterhaltung. Unser origineller Landjunker, spielte oben, Kemble nachahmend, Solo ganze Scenen aus Hamlet. Ein Stuhl stellte eine Person vor, die er anredete; richtig wechselte er seine Stimme, nach den verschiedenen Charakteren, so daß ich ihn bewundern mußte. Doch ward es mir bald langweilig. Ich setzte mich à l'anglaise gemächlich in einen Fauteuil, und so geschah es, daß der erwähnte Gelehrte, ein blaßes, hageres und schwarzes Männchen, von dem Berg seiner Wissenschaften zu mir in's Thal der Unwissenheit hernieder kam. Er selbst sagte mir neulich (selon l'usage du pays!) mit einer Art von Selbstgefühl, daß er alle Sprachen kenne. So? fragte ich, mehr über dieses Sicherheitsgefühl, als über sein
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Riesengenie erstaunt. Ich bat um einige historische Notizen über Irland. Erzählen Sie mir, ich bitte, von der Abstammung dieses Volkes, von Naturscenen, u. dergl. Gerne! Gerne! erwiderte er mit einem Lächeln, das allen gelehrten Fältchen den Tod drohte. Er rückte näher; eine Vorlesung also, ein Capitel aus Wie Sie wollen, antwortete ich. Sie bereichern so meine Briefe nach Deutschland, denn was Sie mir sagen, soll zu Protokoll genommen, nicht eben in die Schatzkammer einer deutschen Academie, aber doch in eine Gelehrten-Stube einlaufen. Sind Sie Schriftstellerin? fragte er hastig Ach nein, nur eine Plaudertasche! Dieses nie gehörte Wort eröffnete ihm nun ein Feld, so groß wie die Lüneburger Haide, ein Feld für tiefe Forschungen. Ob es ein ächtes Wurzel-Wort sey, ein aus fremden Sprachen nach Deutschland emigrirtes? Ich bitte mein Herr, erwiederte ich ungeduldig, woher kommt es wohl, daß die Irländer meistens südliche Gesichtsbildung haben, dunkle Haare, schwarze Augen? Ja, eben wollte ich beginnen, Madame! man glaubt nämlich, daß die Irländer von spanischer Abkunft seyen. Die Phönizier vermischten sich, wie Sie vielleicht wissen, (hier nahm ich eine finstere Miene an,) mit der Urrace der Celten. Frühe lebten sie, in den Gegenden der spanischen Küste, im Verkehr mit den Irländern. Auch kam eine Colonie Spanier herüber in ihr Land, und ihre ältesten Religionsgebräuche deuten darauf hin, daß Keltische Stämme Irland bevölkerten. Auf ihren Hügeln und Ebenen liegen noch die zerstreuten Überreste ihres Götzendienstes. Hier ein Zirkel aufgerichteter Steine, der einen
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Altar oder Gerichtsstuhl vorgestellt, (ungehauene Säulen) bei den Phöniziern das Symbol der Sonne, dort jene martervollen Götzendienste, wo Kinder als Brandopfer fallen mußten. In Irland nannte man diese blutige Stätte Magh-Sleacth11 oder der Schlachtort. Magh-Sleacth, so hieß, nach einem irischen Götzen: Crom Cruach, ein Stein, (mit Gold eingefaßt) der von zwölf rohen Steinen umgeben war. Jedes Volk, das Irland erobert hatte, also jede sich hier festsetzende Colonie betete diesen Crom Cruach an, bis zum Erscheinen des Apostels St. Patrick. Es wurden alsdann die Erstgebornen von Menschen und Thieren den Götzen hingeopfert. Tighernmas Mac Follaigh, König von Irland, bestätigte diese Opfer durch Befehle. Es mußten Männer und Frauen so lange vor dem todten Steine, zur Erde gebückt, liegen, bis aus Nasen, Stirnen, Ohren und Ellenbogen das Blut in Strömen drang. Viele blieben todt liegen, und daher der Name des Orts Magh-Sleacth, ein Schlachtort.12 Durch den Verkehr der Phönizier mit Persien kam von dort auch nach Irland die Anbetung des Feuers.13 Ihre Priester nannten sie, wie die Perser, Druiden und Magier; letztere warnten den König, zur Zeit St. Patrick's, nicht wenig vor den Folgen des neuen Glaubens. Bei den Phöniziern war die Sonne der Hauptgegenstand ihrer Verehrung, so auch bei den Irländern, unter dem Namen Baal oder Bel. St. Patrick sagte daher in Bezug auf diesen Götzendienst in seinen Bekenntnißen: "Die Sonne, welche wir sehen, geht täglich nach dem Befehl Gottes uns zum Dienst und Nutzen auf, doch regiert sie
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nicht unsere Angelegenheiten und auch ihr Glanz dauert nicht ewig; die sie nun anbeten, werden billig der Strafe anheimfallen. Wir aber glauben und beten an die ewige, wahre Sonne, Christus den Herrn." In der Nähe von Wexford ist eine Stelle, Grenor14 genannt, oder Ort des Sonnenfeuers, wo St. Patrick einen heidnischen Altar gestürzt und eine Kirche erbaut haben soll. In der Mitte des V. Jahrhunderts nennt Patrick nur die höheren Classen "Schotten", ein Beweis, daß Irland von diesem Volke (das von den Scythen abstammt) noch nicht ganz besetzt war. Hier unterbrach ich den unermüdlichen Gelehrten, um Luft zu schöpfen, durch folgende Betrachtung: Wenn ich den Irländer neben dem Engländer sprechen höre, so kommt es mir vor, als verhielte sich seine Aussprache zu der des Irländers, wie das Schwäbische zum Norddeutschen. Ist das richtig? In einiger Beziehung wohl, sagte er lächelnd, doch mit etwas mattem Tone. Er mochte nach Erfrischung lechzen, denn er ließ den soeben erschienenen Diener, mit rauchendem Thee, nicht lange harren.
In der Gallerie schlägt es neun Uhr. Da öffnet sich plötzlich hier und dort eine Thüre, und um uns her verstummt das laute Gelächter. Durch den Saal schreitet langsam Mylord, und ihm folgt der maître d'Hôtel bepackt mit einem Pult und großen Buche. It is the time of prayer. (Es ist die Zeit des Gebets.) Jeden Sonntag Abends, um diese Stunde, pflegt nämlich in Irland der Lord des Hauses eine kurze Predigt oder einen Psalm vorzulesen. Ich folge den Damen in den Speisesaal, den
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ich nun in eine Kapelle umgewandelt sehe. In der Mitte, vor einem Tische, steht Mylord rechts sind reihenweise Stühle, und vor diesen knieen Ladys und Gentlemans. Zur Linken ist das Personal der Dienerschaft, Hundert an der Zahl, symmetrisch ausgestellt. Das Ganze hatte etwas Feierliches, nur störte mich das Flüstern meiner Nachbarin mit einem Dandy, der, auf die linke Seite deutend, sie fragt: Don't you smell the stable? (Riechen Sie nicht den Stall?) Wie dem auch sey, die Sonntagsfeier der Engländer, wenn auch bei Vielen nur äußere Form, hat wenigstens den Ausdruck von Gottesfurcht, und deshalb ist sie mir ehrwürdig; ich möchte sie eine Brücke nennen, hinüber zur wahren, kindlichen Furcht vor Gott. Nie vergessen werde ich jenen Sonntag, als ein irländisches Mädchen von acht Jahren, ihr Brüderchen bei der Hand nahm, es aus der lärmenden Kinderstube entführte, mit den Worten: Komm! heut' ist's Sonntag, und da spielen wir nicht. Ich war ihr in den Garten gefolgt wo ich lange mit dem lieben Kinde plauderte; endlich fragte ich sie. Sag' mir doch, wer ist der Heiland?
wo ist Er? Nach einer Weile, sich besinnend, erwiederte sie freundlich: Der ist so groß, daß ihn der Himmel nicht fassen kann, und so klein, daß Er Platz in meinem Herzen hat.
Vergangenen Sonntag fuhren Lady und ich in die Kirche von Dungannon. Auf dem Chor war eine Art von Tribüne, in die wir eintraten. Die Stühle waren stattlich mit rothem Sammt belegt. Schon vorher hatte ich in mein Common Prayerbook alle möglichen Zeichen gelegt, um der Andacht folgen zu können. Jeder Sonntag
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hat hier seine bestimmten Bußpsalmen und Evangelien. Man kniet, während sie vorgelesen werden; so auch während der Litaney, wo die Gemeinde, wie in der römischen Kirche, auch mit einem Lord have mercy on us (Herr, erbarme dich unser!) antwortet. Hinter einem grünen Vorhang, uns zur Rechten, standen zwölf weißgekleidete Chorknaben, die das Kyrieleison rührend absangen. Erst nachdem das Wort Gottes reichlich vorgelesen war, begann die eigentliche Predigt, welche den kürzern Theil des Gottesdienstes ausmachte. Es freute mich, in der englischen Kirche das zu finden, was ich immer unserm protestantischen Ritus gewünscht, ich meine: als äußeres Zeichen von Gottesfurcht, das Niederknieen. Wenigstens darf hier in England und Irland ein andächtiges Gemüth, ungezwungen dem innern Drang des Herzens folgen. Daß auch die Engländer auf ihren Reisen stets streng Sonntag halten, deß war ich oft Zeuge; sie versammeln sich dann, um dieselbe Stunde, wie in der Heimath, um die Bibel und das Common Prayerbook. Alles wird so genau wie in der Kirche beobachtet. Der Engländer ist also in gewisser Beziehung in geistiger Verbindung mit allen seinen Brüdern, in welche Länder sie auch immer zerstreut seyn mögen. Lebe wohl, lieber Vater! Über das Meer hin sende ich die innigsten Grüße.
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