Corpus of Electronic Texts Edition
Heinrich Meidingers Briefe aus Irland (Author: Johann Heinrich Meidinger)

p.166

Letter 12


Ballimoney, im nördlichen Irland, Provinz Antrim

im Juli 1820.

Von Glasgow fuhr ich der schönen Clyde hinunter nach Greenock. Der Fluß ist, wie ich Dir schon bemerkte, anfangs sehr schmal, dehnt sich aber, nach der Mündung zu, immer mehr aus, und wird zuletzt 6 englische Meilen breit.

Die Ufer sind mit schönen Wiesen und Landhäusern bedeckt, und gewähren einen heitern und erfreulichen Anblick. Hier ist das Land der Dampfboote, die von allen Seiten mit schnellem Ruderschlag vorübereilen, und schon in der Ferne durch ihren kometenartigen Schweif in der Luft kenntlich sind.

Das größte Dampfboot, das bis jetzt noch in Europa gebaut worden, ist vor Kurzem in Glasgow fertig geworden. Dasselbe (von 200 Tonnen) ist 118 Fuß lang, 20 Fuß breit, und kostet über 11,000 £. Die zwei dicht neben einander liegenden kupfernen Kessel kosten allein über 2000 £, und wiegen 320 Centner. Die Maschine ist von 70 Pferde Kraft. Das Schiff ist, außer dem eisernen Schornstein, noch mit zwei Masten versehen, und führt mit Recht den Namen The Superb. Das Innere enthält 42 Schlafstellen, herrliche Zimmer mit Teppichen belegt und schöne Kupferstiche an den Wänden, nebst einer kleinen Bibliothek, Zeitungen, und allen Bequemlichkeiten, die man sich auf dem Wasser nur wünschen kann. Es ist von einer Gesellschaft erbaut und bestimmt, zwischen Greenock und Liverpool zu fahren. Der Preiß ist 2 £ 16. mit der Verköstigung.


p.167

Den Weg (250 Meilen) legt man gewöhnlich mit einem Dampfboot in 32 Stunden zurück. Anfangs findet man das Arbeiten der Maschine, die beständige Erschütterung des Schiffes, und die durch die Kessel verbreitete Wärme in der Kajüte unangenehm, bis man sich allmählich daran gewöhnt hat.

Gefahr ist bei der jetzigen Einrichtung durchaus nicht mehr vorhanden, denn nicht allein, daß die Sicherheitsklappe allen überflüssigen Dampf durchläßt, sondern aller Explosion ist auch durch die kupfernen Kessel vorgebeugt, die im schlimmsten Falle bloß Risse bekommen, aber nicht springen können. Zwei Kessel zieht man bei einem großen Dampfboot deswegen vor, daß wenn der eine Risse erhält, der andere doch fortarbeiten kann. Dabei hat man den Vortheil auf dem Meere, daß man zu allen Zeiten, bei Windstille sowohl, als bei Gegenwind, (wenn er nicht allzustark weht), vorwärts gehen, und sich der Segel eben so gut bedienen kann, wie auf andern Schiffen. Unter diesen Umständen müssen die Dampfschiffe immer mehr in Aufnahme kommen. Mehrere sind bereits von Nordamerika in europäischen Häfen eingetroffen, in Schweden und Rußland sind sie schon stark im Gebrauch, und bald wird auch in ganz Großbritannien alle Überfahrt und Wasserverbindung durch dieselben geschehen. Watt, der erste Erfinder, war ein Schotte, und hat sie zuerst in Schottland eingeführt.

Nicht weit von der Mündung der Clyde liegt auf dem linken Ufer Port Glasgow, 10 000 Einwohner, wo die meisten Glasgower Häuser ihre Agenten und Schreibstuben


p.168

haben. Eine Strecke weiter liegt auf demselben Ufer Greenock, eine bedeutende Stadt von 20,000 Einwohnern, mit schönem sichern Hafen und Schiffswerften. Dicht am hohen Ufer bemerkt man das vor zwei Jahren von der Regierung erbaute neue Zollhaus mit einem Säulen-Portal. Durch die Stadt läuft eine schöne Straße mit Läden angefüllt. Rund um die Docks gehen bedeckte Waarenschoppen von eisernen Pfeilern getragen. Die Stadt treibt bedeutenden Fischfang, besonders in Heringen, und ist als äußerste Grenzlinie durch das Zollamt sehr lebhaft. Auch zählt sie mehrere gute Handlungshäuser, und selbst viele Glasgower Kaufleute lassen auf diesem Platze ihre Güter umschlagen.

Die Clyde ist hier 6 bis 7 Meilen breit. Viele Sandbänke liegen zwar im Fluß; doch ist das Fahrwasser hinlänglich breit und tief. Am jenseitigen Ufer liegt der Badeort Helensborough, 1000 Einwohner, und weiter unten das Schloß des Herzogs von Argyle mit den rauhen Hochgebirgen im Hintergrunde.

Von hier aus zeigen sich nichts als einige kleine Inseln und Felsen mit Leuchtthürmen und Fischerhütten, und von Möven und wilden Enten umschwärmt. In der stürmischen Jahrszeit ist diese Küste wegen der vielen Klippen und starken Brandung gefährlich. Die Überfahrt von Greenock nach Irland machte ich mit dem Dampfboote in 13 Stunden.

In der Frühe hatten wir die schöne irländische Küste im Gesicht, die mit ihren grünen Wiesen und freundlichen Landhäusern, gegen die dürftigen Berge Schottlands gehalten, einen angenehmen Contrast bildet.


p.169

Belfast (32,000 Einwohner), die bedeutendste Stadt im nördlichen Irland, liegt am Ende einer schönen Bucht von Hügeln umschlossen, am Ausfluß der Laga, über welche eine lange, steinerne Brücke von 20 ungleichen und baufälligen Bogen führt, hat einen geräumigen Hafen und mehrere breite, regelmäßige Straßen, aber wenige schöne Gebäude. Zu den schönsten gehören die beiden bischöflichen Kirchen, Parish church und St. George's church. Das neue Gesellschaftshaus (Assembly Rooms) und die Leinwandhalle. Nach dem Belfaster Addreß-Kalender (Directory for 1819) besizt die Stadt 16 Kirchen und Kapellen, worunter 2 katholische, 2 Methodisten, 1 Quäker und 1 Wiedertäufer. Die übrigen sind bischöflich oder presbyterianisch.

Von Schulansalten ist das kleine Gymnasium mit 160 Schülern lobenswerth. Auch gibt es hier mehrere milde Anstalten, 4 Buchhandlungen und 2 Druckereien, nebst 3 Zeitungen. Das Wachsthum dieser Stadt ist erstaunlich. Im Jahr 1757 zählte man kaum 8000 Einwohner, jetzt über 32,000. Der Zoll belief sich im Jahre 1772 auf 60,000 £; im Jahre 1812 auf 590,000 £. Schiffe liefen im verwichenen Jahr 104 ein, mit 10,429 Tonnen und 755 Matrosen. Unter der Einfuhr befindet sich viel Leinsaamen aus Holland, am meisten aber Steinkohlen aus Schottland, die billiger sind (15 Schilling pro Tonne), als man sie durch Bearbeitung eigener Gruben erlangen könnte. Von Butter und Schweinefleisch soll die Ausfuhr von hier noch stärker wie selbst von Dublin sein. Das meiste geht nach London und Amerika. Die Butter wird in ganzen, halben und viertel


p.170

Firkins versandt. Ein Firkin wiegt 100 Pfund. Oben steht der eingebrannte Name der Waare, und die Anfangsbuchstaben des Versenders, welches auch bei Schweinefleisch, Schinken, Zungen etc., der Fall ist.

Der Schweinemarkt dauert vom Oktober bis in den Juni. Dieser ist so bedeutend, daß oft an einem Tage bei 1000 frisch geschlachteter Schweine aus dem ganzen nördlichen Theile der Insel zum Verkauf gebracht werden. Die Schweine sind sorgfältig ausgenommen, gereinigt und gewaschen, und werden so an die Kaufleute, die in inländischen Lebensmitteln (Irish Provisions) handeln, zum Einsalzen und Weiterversenden verkauft. Das irländische Fleisch hat den Vorzug, daß es in der Hitze nicht leicht schmilzt, und sich weit länger in warmen Ländern hält wie alles andere Fleisch. Daran foll hauptsächlich die gute Behandlung Schuld seyn.

Nach diesem ist die Leinwand einer der wichtigsten Ausfuhr-Artikel von Belfast. Die Leinwandhalle ist ein einstöckiges schönes, viereckiges Gebäude, mit einem rings umher laufenden Gange zum Packen, und numerierten Gemächern, die an verschiedene Kaufleute zu beständigen Waarenlagern vermiethet sind. Das bedeutendste Haus ist Stewart und Cunningham, deren Haupthandel nach Amerika geht. Der Preiß der Leinwand ist von 9 D. bis zu 12 Schilling pro Yard. In den feinen Sorten (37 Zoll breit und 50 Yards lang) haben die Irländer den Vorrang. In den groben und mittlern stehen sie aber den Deutschen nach. Herr Cunningham gestand mir selbst, daß sie die deutsche nachmachten, und zeigte mir auch mehrere mit sogenannter deutscher Schrift versehene Stücke, wovon ich


p.171

aber nichts als das Wort ‘Niederlage’ heraus buchstabiren konnte. Das Übrige war so fehlerhaft und so völlig undeutsch, daß der Betrug nicht leicht jemanden, der nur ein bischen unsere Sprache versteht, entgehen kann.

Außerdem sind in Belfast seit Kurzem mehrere Baumwollspinnereien errichtet.

14 Meilen von Belfast liegt Antrim, ein schlechter Flecken, der aber in frühern Zeiten bedeutender gewesen seyn muß, da die ganze große Provinz ihren Namen davon trägt.

Bei diesem Orte liegt der größte See in Großbritannien (Loch Neagh), 28 Meilen lang und 14 Meilen breit. Er hat süßes Wasser, schöne, doch mehr flache Ufer, mit Waldung bedeckt, und ist sehr fischreich. In ihn ergießen sich 9 Flüsse und viele Bäche, die ihn bei großen Regengüssen, da er sich seines Wasservorraths durch das Flüßchen Bann nicht so schnell wieder entledigen kann, öfters aus seinen Ufern treiben und Überschwemmungen verursachen. Dieser See, so wie der größte Theil von der Stadt Belfast, gehören dem reichen Lord Donnegal. Auch ist hier einer von den alten runden Thürmen zu sehen, die in Irland noch so häufig angetroffen werden, besonders in der Nähe von Kirchen; daher sie wohl schwerlich zu Wartthürmen können gedient haben. Sie sind meistens hoch und schlank. Ihre Entstehung ist noch im Dunkeln.

Die nächsten Stationen find Dunaghy, Balimena und Ballimoney1, sämmtlich kleine artige Städtchen, die Leinwandbleichen


p.172

und Viehzucht besitzen. Die Straßen sind gut, und mit kleinen Kieseln gepflastert. Die irländischen Meilen sind größer wie die englischen, 11 irländische = 14 englischen. Die irländischen Schillinge (ten penny pieces) sind 2 D. geringer wie die englischen. Das Land ist hier herum noch sehr feucht und sumpfig, obschon von gutem Boden. Dörfer trifft man auf dem ganzen Wege nicht. Blos einzelne Hütten von Steinen und Erde aufgeführt, ohne Schornsteine und im Innern gepflastert. Mit Wehmuth blickt man auf die zerlumpten, unreinlichen Gestalten, die oft wie Halbwilde mit nackten Armen und Beinen sich unter Schweinen, Hühnern und Gänsen herumtreiben, und mit diesen in einer Hütte leben. Viele Kinder haben kaum ein Röckchen oder Hemdchen auf dem Leibe, wovon überdieß noch häufig die Stücken herunterhängen.

Diesem traurigen Zustande kann nur nach und nach durch größere Urbarmachung des Landes, thätigere Unterstützung und zweckdienlicheren Unterricht abgeholfen werden.

Von Ballimoney besuchte ich den 8 Meilen seitwärts liegenden berühmten Riesendamm (Giants causeway).

Das Land an der Küste ist wohlhabender und besser bebaut wie das Innere. Hie und da zeigen sich mehrere schöne Höfe, Weiler und Dörfer. Aus dem letzten Dorfe Bushmills, 1/2 Stunde von der Küste, nimmt man sich einen Führer, der das Ufer genau kennt, und jede Merkwürdigkeit desselben zeigt. Der Weg dahin ist auf beiden Seiten mit Basaltblöcken eingefaßt. Die ganze Küste besteht aus verschiedenen kleinen Buchten, die von den sich mit Macht andrängenden Wogen nach und nach gebildet zu seyn scheinen.


p.173

In der ersten befindet sich eine schöne gewölbte Höhle mit herrlicher Brandung, die ihren weißen Schaum in dichten Flocken umherspritzt. Aus dem Hintergrunde dieser Höhle hat man eine perspektivische Aussicht auf das Meer. Man bemerkt hier vielen Schiefer oder Kugelbasalt (Ognion basalt), der aus großen, runden Stücken besteht, und sich wie Zwiebeln abschälen läßt.

Mehrere arme Fischer räumen in der Tiefe die herabgefallenen Trümmer aus dem Wege, und bieten seltene Stücke mit Zeolithen an. Von da beginnen die Basaltpfeiler, die sich theils in gerader, theils in schiefer und gebogener Stellung mehrere Meilen weit an der Küste hinziehen. Das Schönste und Bewunderungswürdigste ist der eigentliche Damm (Causeway), der sich über 200 Fuß weit in das Meer erstreckt, und unter demselben, — wie man vermuthet, — bis zur gegenüberliegenden schottischen Insel Staffe hinzieht. (Bei der Ebbe sieht man deutlich die Pfeiler unter dem Wasser fortlaufen.) Seine Breite ist von 100 bis 160 Fuß. Unstreitig ist dieses eines der wunderbarsten und außerordentlichsten Werke im Mineralreich.

In geschlossenen Reihen stehen hier Pfeiler an Pfeiler über und neben einander so dicht, um keine Messerklinge durchzulassen, und so regelmäßig und künstlich gebildet, daß man es der geistig-schwachen und unausgebildeten Vorzeit nicht verargen konnte, wenn sie darin die Spur weit überlegener ungeheurer Menschen, oder Riesen zu erblicken glaubte. Diejenigen, worüber die Wellen wegspülen, sind von schöner Eisenfarbe, und ragen in stiller Pracht aus


p.174

der dunkelblauen Flut empor. Die regelmäßigsten Pfeiler stehen auf der Westseite, und bilden zahlreiche Stufen, von denen man von einer zur andern steigt. Die meisten find fünf- bis sechseckigt, mehrere auch sieben-, acht und neuneckigt; von vier Ecken sind sie seltner, und von drei Ecken ist auf dem ganzen Damme nur ein einziger gefunden worden. Die höchsten Pfeiler sind auf der Ostseite, wo mehrere von 30 und einer sogar von 38 Gliedern (joints), ungefähr eben so viel Fuß, befindlich. Die Glieder sind von 8 bis zu 20 Zoll im Durchmesser. Diese Glieder oder Gelenke springen durch einen einzigen Hammerschlag leicht ab, und zwar so schön und rein, daß die meistens wieder genau in einander gefügt werden können. Wenn ein Gelenk von dem Pfeiler abgeschlagen wird, so ist das eine Stück in der Mitte hohl, das andere gewölbt. Der Führer John Curry in Bushmills, treibt damit einen ordentlichen Handel, indem er viele Pfeiler ablöst und in Kisten verschickt. Der gewöhnliche Preiß für einen Pfeiler von 5 bis 6 Glieder ist 2 £. Sterling, frei bis Belfast. Jedes Glied wiegt ungefähr 1 Centner. Höher hinauf (nach Schottland zu) gelangt man zu einer Bucht, die ringsum von senkrechten Pfeilern umgeben ist, worunter mehrere gebogene. Hier sieht man den sogenannten Chimney (Schornstein), einen hohen, einzeln stehenden Pfeiler, mit zwei kleinern daneben. Von da kommt man zu einem Haufen, die Orgel (organ) genannt, weil die Pfeiler zu beiden Seiten etwas abnehmen. Etwas weiter steht der Webstuhl (loom) und noch höher die schöne Bucht Roverand Valley. Unter allen diesen Pfeilern sind jedoch wenige so regelmäßig und schön wie

p.175

auf dem Damm. Bei dem Chymney bemerkt man viele wagrechte Pfeiler, die die senkrechten förmlich durchschneiden und 5 Meilen weit ins Land laufen, während die letzten blos 2 Meilen im Innern beim Aufgraben gefunden worden sind. Sehr merkwürdig ist eine süße Quelle am Ufer, die nahe beim Damm zwischen Basaltpfeilern hervorquillt. Eine Frau mit einem Becher läßt, gegen eine Kleinigkeit, das Wasser versuchen.

Die sogenannte Cynders (poröse Lava) liegt stets hoch auf der Küste und ist auch nicht in großer Anzahl.

Über die Entstehung der Basalte ist man noch immer in Ungewißheit. Die Einwirkung eines unterirdischen Feuers scheint jedoch, außer Zweifel.

Auf dem Rückwege kletterte mein Führer in die Tiefe, um mir einige Basaltstücke zu holen. Einsam wandelte ich unterdessen am hohen Gestade, und blickte hinaus in den unabsehbaren Ocean, dessen Fluten sich mit Ungestüm an den starken Pfeilern unter meinen Füßen brachen. ‘Seit wie viel Jahrtausenden,’ rief ich aus, ‘rollst du deine Wogen dahin, großes, wunderbares Element. Wer sagt mir an, von wannen du kommst, und wohin du dich ergießest, bis wohinauf und wohinunter an die Pole der Erde. Wer hat je deine Grenzen ganz ermessen, und deine Tiefen ergründet, und wer die Myriaden Wesen genannt, die du in deinem geheimnisvollen Schooße birgt und ernährest. Zahllos und wunderbar sind alle deine Bildungen.’

Du bist die Länder verknüpferin, die ewige Weltumseglerin. Deiner Fluten Allgewalt kennt keine Schranken.

Aber auch du, auch du bist dem großen geistigen Licht


p.176

unterhan, auch du huldigt dem weisen höhern Gesetze einer ewig heiligen Urkraft.

Und jeder Pulsschlag in mir klopfte zum Lobe dessen, der im Lüftchen weht und im großen Weltmeer einher braußt, und dessen Macht und Herrlichkeit unendlich ist wie seine Liebe.

...

Erst spät Abends kehrte ich nach Ballimoney zurück.