Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 14

Februar.

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Und so hätten Sie denn einen freylich unvollständigen Abriß von der Irischen Litteratur älterer sowohl als neuerer Zeiten. Lassen Sie mich nun noch Etwas über ihre originale Dichtkunst, das heißt, in Irischer Sprache, oder mit andern Worten, über Irische Barden sagen. Freylich läßt sich darüber nicht viel zusammenbringen, weil wenige dieser Gedichte übrig sind, und die wenigen größtentheils noch unübersetzt sind. Wenn das, was ich über Ossian im Vorhergehenden zusammengetragen habe, ein zureichender Beweis wäre, daß Ossian wirklich nicht ein Schottischer, sondern ein Irischer Barde war, so gäbe uns dieses allerdings einen hohen Begriff von der alten Dichtkunst dieses Landes. Herr M'Pherson hatte ohnstreitig Bruchstücke von Originalen vor sich, die durch Tradition fortgepflanzt worden waren, und auf die er baute. Und Ossian, so wie wir ihn durch Mac Pherson haben, ist und bleibt immer, was auch Johnson dagegen sagen mag, ein vorzügliches Werk der Dichtkunst. Johnson hatte ohnstreitig Vorurtheile dagegen; er meynte: von einem Schotten könne nichts Gutes kommen. Unter den vielen Anekdoten, die kurz nach Johnsons Tode erschienen, las ich auch diese; daß, wenn er gefragt wurde: ob er jemand kenne, der so zu schreiben fähig sey wie Ossian?


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er zu antworten pflegte: Ja, manchen Mann, manche Frau und manches Kind. Züge dieser Art in dem Charakter großer Männer vergißt die Nachwelt, so wie sie Johnson's Reise durch Schottland und die Hebridischen Inseln vergessen wird, und behält bloß das Gold, das in keiner Zukunft verkannt werden wird.

Herr M'Pherson spricht in einem hohen Tone von den Irischen Barden. Er rühmt die Einfalt, die edlen Gedanken, die Harmonie ihrer Liebessonnette, und hauptsächlich ihre Elegien auf den Tod würdiger und berühmter Männer. Es war unter den alten Iren eine Nationalsache! Man kam nach dem Tode ihrer großen Männer zusammen, untersuchte und überlegte, was von ihnen zu sagen wäre. — Überbleibsel dieser Art finden sich noch hin und wieder; aber sie sind zerstreut, und viele derselben vielleicht gar nicht niedergeschrieben. Es wäre zu wünschen, daß sie, sowohl als die Irischen Manuscripte, die sich in der Dubliner Bibliothek und in Privatsammlungen befinden, gesammelt, herausgegeben und übersetzt werden möchten, jezt, da noch ein Irischer Sprachkenner existirt. In funfzig Jahren ist die Irische Sprache, so wie die der Provinz Cornwall, vielleicht gänzlich verloren. — Herr Vallancey sagte mir vergangenen Sommer,


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daß er damit umgehe, einige Manuscripte bekannt zu machen.

Im Spencer findet sich eine merkwürdige Stelle über die Irische Dichtkunst.225 Nachdem er eine Beschreibung von den Mißbräuchen gegeben hat, die die Barden in spätern Zeiten von der Dichtkunst machten, indem sie sie mehr auf lasterhafte, als auf tugendhafte Zwecke anwandten, wirft er folgende Fragen auf: ‘Aber findet sich in der Composition dieser Lieder einige Kunst? Haben sie Witz oder wahre Dichterzüge, wie Gedichte haben sollten?’ Er antwortet Ja. ‘Ich habe mir,’ sagt er, ‘ verschiedene übersetzen lassen, und sie hatten in der That Witz und gute Erfindung. Feine dichterische Zierrathen hatten sie nicht; doch fand ich gute Blumen, die auf ihrem eigenen Boden gewachsen waren, und die ihnen Annehmlichkeit und Lieblichkeit gaben.’ — Aus dieser Stelle läßt sich nicht mit Gewißheit sagen, ob Spencer hier die ältern oder neuern Barden meynte. Aus dem, was er vorher von den Irischen Barden sagt, läßt sich so ziemlich vermuthen, daß die Gedichte, die er sahe, aus der neuern Zeit waren, dergleichen ich Ihnen hier eins aus der Englischen Übersetzung geben will. Es ist von O'Gnive, dem Dichter des O'Nial, eines Irischen Großen, der unter Jacob I. seine Güter verwirkte. 226


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‘O trauriger Zustand unserer theuern Landsleute! Schmaler Überrest eines einst glücklichen Volks, jezt sich wälzend in Mord und watend in Blute! Vergebens euer Streben nach Freyheit! Ihr seyd die hülflose Mannschaft eines Schiffes, lange vom Sturme umhergestoßen und zuletzt an der Klippe scheiternd. Wie! Scheitert unser Schiff nicht an unserm eigenen Ufer? Sind wir nicht die Gefangenen des Sächsischen Stammes?227 Ist unser Urtheil nicht schon gesprochen? Ist nicht selbst unser Untergang schon vorher beschlossen? Wir sind wie gefallen vom alten Ruhme unseres ursprünglichen Landes. Unsere Macht ist in Schwäche entehrt, unsere Schönheit in Häßlichkeit, unsere Freyheit in Sclaverey, unsere Siegslieder in wehklagende Trauergesänge. Unsere Vorväter würden ihre Söhne nicht kennen, und, wenn sie sie kennten, für die ihrigen verläugnen. Kehre nicht dein Auge, unsterblicher Gallum, auf deine abtrünnigen Söhne!’

‘Nial der neun Geißeln {Geiseln}, schaue nicht auf uns, damit du nicht errötest über deine gefangene Gadhelians!228 Conn der hundert


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Schlachten, schlaf in deinem grasverwachsenen Grabe, und schilt nicht unsere Niederlagen mit deinen Siegen! Gütige Nacht, verbirg uns im Grabtuche deiner dunkelsten Wolke! — Laß nicht die Sonne ihr Licht mit Vorwürfen auf unsere Schmach werfen!’

‘Woher diese unglückliche Umbildung? Zahm unterwarft ihr Euch Fremdlingen, niedrig schmiegtet Ihr Euch unter Sächsische Gesetze. Seit ihr von der Billigkeit des Brehons wichet, sind Unglückswolken über Euch geborsten — Ströme von Elend haben Euch überschwemmt. — Des Himmels Zwecke sind geändert — Eure freudenreiche Gefilde sind mit Pfählen umzäunt — Eure sonnevergoldeten Hügel sind mit Wällen entstellt — und ihr Anblick ist scheußlich ob der Thürme. — Die Gesetze der Natur sind verletzt — Dies Land, einst der Tugend und Ehre Schauplatz, ist in ein anderes Sachsenland entstellt. Sclaven! Wir kennen unser eigen Land nicht mehr, und unser Land verläugnet uns; — wir haben beyde unsere Natur verdreht — wir sehen nichts als zwey Ungeheuer — einen Sächsischen Bürger und einen Irischen Fremdling.’


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‘Unglückliches Land! O! Ihr, Trojanische Belagerte, ohne einen Hektor, der Euch vertheidige! O ihr, Kinder Israels aus Ägypten, ohne einen Moses, der Euch leite! — Aber deine Rathschlüsse, o Herr, sind gerecht! — Wo nicht die Kinder von Eber-Scot, dem Scythen, all ihr Vertrauen in dich setzen, muß Sachsen, gleich dem Phönix, aus der Asche von Alt-Irland emporsteigen.’

Dieses Gedicht muß zu Ende des funfzehnten, wenn Essex den Grafen von Tyrone, der ein O'Nial {O'Neill} war, bekriegte, oder zu Anfange des sechzehnten Jahrhunderts gemacht seyn.229 Der männliche auftretende Geist, der darinne herrscht, zeigt, daß alle Gesetze, die man zur Unterdrückung der Barden machte, doch diesen Geist nicht dämpften, so sehr auch ihr Einfluß dadurch geschwächt worden seyn mag.

Lassen Sie mich das Ganze mit zwey Anekdoten schließen, welche zeigen, daß die Barden ihre Lieder auf Geschichte und Thatsachen gründeten, so sehr sie sie auch bisweilen durch die Dichtkunst entstellt haben mögen. —

Heinrich II, König von England, war in den letzten Jahren seiner Regierung zu Pembroke in Südwallis, wo er einen Wallisischen Barden


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hörte, der zu seiner Harfe das Leben und die Thaten des Brittischen Arthur's sang. Am Ende des Liedes war eine Beschreibung seines Todes und Begräbnisses zu Glastonbury, in der Grafschaft Sommerset, auf dem Kirchhofe zwischen zwey Pyramiden. Der König gab sogleich Befehl, man solle die Sache untersuchen und zu Glastonbury nachgraben lassen. Sieben Schuhe tief fand man einen großen Stein mit einem bleyernen Kreuze, mit der Aufschrift: ‘Hier liegt der berühmte König Arthur begraben in der Insel Avalon.’230 Man grub tiefer und fand — nicht den Riesen Arthur, wohl aber einen ansehnlichen Mann von starken Knochen, in dessen Hirnschale eine Menge verwachsene Narben waren, eine ausgenommen, an der er vermuthlich starb. Die Koeöniginn lag neben ihm mit langen, gelben Haaren, die aber, so bald man sie anrührte, zu Staub zerfielen. Diese Entdeckung wurde im Jahr 1189 gemacht. Giraldus Cambrensis, der ein Augenzeuge davon war, erzählt die Geschichte weitläufig. Auch wurde das bleyerne Kreuz mit der Aufschrift im Kloster zu Glastonbury aufgestellt, wo Dr. Leland, ein bekannter Antiquar, sie noch gesehen hat. Was seitdem daraus geworden

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ist, weiß ich nicht. Auch Bromton erzählt die Geschichte in seiner Chronik.231

Der Bischof von London, Gibson, der Camdens Brittannien übersetzt hat, erzählt folgende Geschichte. — Ein blinder Harfenspieler sang ein Irisches Lied, welches der Bischof von Derry hörte und ins Englische übersetzen ließ. Es enthielt die Geschichte eines ungeheuren Riesen, der an einem gewissen Orte, der beschrieben wurde, begraben läge, mit einer breiten Platte von purem Golde auf seiner Brust, und goldene Ringe an jedem Finger. Der Bischof, der vermuthlich an Giraldus Geschichte dachte, suchte den Ort, nach der Beschreibung, auf, ließ nachgraben und fand — einen Mann von gewöhnlicher Länge, der beynahe in Asche verwandelt war, mit einer kleinen Goldplatte, die auf seiner Brust gewesen war. Von den Ringen aber fand er keine.232.


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