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Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 11

Februar.

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Jemehr in einem Lande Geistliche und Rechtsgelehrte sind, desto mehr müssen in diesem Lande Litteratoren {Literaten} seyn; nicht nur, weil viele dieser Geistlichen und Rechtsgelehrten zu gleicher Zeit Litteratoren sind, sondern auch, weil viele, die einem dieser Stände gewidmet waren, ihn aufgaben, das Feld der Wissenschaften überhaupt bearbeiteten, oder sich irgend einige besondere Zweige wählten. Der Einfluß aller dieser Männer


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wird immer auf das Ganze eines Landes wirken, und selbst diejenigen, die nicht eigentlich den Wissenschaften gewidmet sind, der Güterbesitzer, der Mann vom Stande, der Mann vom Vermögen wird diesen Einfluß fühlen, und selbst mehr oder weniger die Wissenschaften treiben. — Wenden Sie das auf Irland an, und Sie werden finden, daß das Alles bey zwey Drittheilen der Nation wegfällt. Der Geistliche ist höchst unwissend; Rechtsgelehrte gibt es nicht, weil sie von allen bürgerlichen Stellen ausgeschlossen sind; und die dritte Classe von Menschen, weil sie kein Beyspiel vor sich sieht, oder es zu beschwerlich findet, Wissenschaften in der Fremde und mit Kosten zu suchen, muß natürlich einen weit geringern Grad von Aufklärung besitzen, als die in jenem Lande, das ich in meinem Satze annahm. — Es versteht sich hier, daß ich blos im Allgemeinen rede, und also die Ausnahmen, ohne weiteres, sich von selbst verstehen.

Von der ganzen Irischen Nation bleibt uns also nur noch ein Drittheil übrig, bey der wir Wissenschaft und Gelehrsamkeit suchen müssen. Und auch hier finde ich wieder die Einrichtung des Landes so, daß man weniger erwarten sollte, als in andern. — Es gibt im ganzen Reiche nicht mehr als 2293 Pfarrgemeinden. Der einzige Englische Kirchsprengel Lincoln hat an 1400


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Pfarrgemeinden; und man versichert, daß dieser einzige Kirchsprengel mehr Geistliche habe, als ganz Irland. In einer Irischen Grafschaft, die 76 Pfarrgemeinden hat, soll es nicht mehr als vierzehn Kirchen geben. — Wollte man eine Vergleichung auch mit den Ärzten und Rechtsgelehrten anstellen, so würde man vielleicht eine noch auffallendere Ungleichheit finden, wegen der größern Kosten, die diese Studien erfordern, wegen des geringern Vermögens der Mittelstände, und der äussersten Armuth der Niedern.

Auf den Universitäten Oxford und Cambridge sind, ausser den Hallen, vierzig Collegien, deren einige eben so viel Studierende haben, als die Universität zu Dublin. Auf den Englischen Universitäten beläuft sich die Zahl der Professoren und Collegiaten (Fellows) auf ein tausend, während daß das Trinitäts-Collegium, d. h. die Dubliner Universität, ihrer nicht mehr als zwey und zwanzig hat. Ich schrieb Ihnen zu einer andern Zeit, daß man diese zwey und zwanzig in Ältere und Jüngere159 eintheilt. Die vierzehn Jüngern haben wenig Zeit, für sich selbst zu studieren; sie müssen alle diejenigen unterrichten, die noch nicht graduirt sind, und damit haben sie vollauf zu


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thun, während daß die sieben Ältern mehr die Aufsicht und Regierung des Ganzen haben, als die Last des Lehramtes tragen. — Die Jüngern kommen mehrentheils sehr jung ins Lehramt, und werden auf einmal mit Arbeit überhäuft. Man examiniert sie in allen Zweigen der Wissenschaften, die sie oft abwechselnd lehren müssen. Man begreift leicht, was sich erwarten läßt. Was aber auch immer das Verdienst des einen oder des anderen seyn mag, so kann es ihm doch zu nichts weiter verhelfen, als worzu ihm mit der Zeit seine Reihe verhilft, denn sie steigen nach der Anciennetät, und der älteste Jüngere hat die nächsten Ansprüche auf die Stelle eines Ältern. Ehe er dahin kommt, muß er den Vorrath seiner Kenntnisse natürlich vermehrt haben; er ist nun, vorausgesetzt, daß er arbeitsam war, vorzüglich zum Lehramte tüchtig, und nun — geht er gewissermassen zur Ruhe ein, durch das Recht, das ihm seine Stelle als Älterer gibt. — Diese ganze Verfassung kommt aus England; aber so ist sie.

In Schottland gibt es vier Universitäten, deren jede so viel Professoren hat, als die Dubliner. Allein es ist hauptsächlich die verschiedene Verfassung der Schottischen Universitäten und nicht die größere Anzahl ihrer Lehrer, die so verschiedene Wirkungen hervorgebracht hat. Die Stiftungen in Schottland waren Anfangs gering;


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allein durch Arbeitsamkeit und Fleiß hat man sie ansehnlich vermehrt, und durch Sorgfalt und Industrie den Mangel an Königlicher Freigebigkeit ersetzt. Der wirkliche Gehalt der Lehrer hängt, in ihren verschiedenen Fächern, von ihrem größern oder mindern Verdienste ab. Edinburg ist, seit geraumer Zeit, die erste Schule in den drey Reychen für alle Zweige der Arztneykunst. Glascow war, von Hutcheson an bis auf Reid, der vornehmste Platz für philosophische Litteratur. Selten vergeht ein Jahr, daß nicht ein Werk aus Schottland kommt, das in der gelehrten Welt einen allgemeinen Rang erhält. Wir sagen in Deutschland ‘Englische Schriftsteller’ allein es ist Schottland, das seit zehn Jahren fast ausschließend im Besitze Englischer Gelehrsamkeit gewesen ist. Und wenn nicht alles, was von dieser Seite kommt, den Stempel des Genies trägt, so sind doch wenige ohne Gelehrsamkeit, und keins, das nicht offenbare Zeichen von Fleiß und Arbeitsamkeit in sich habe.

Man kann freilich sagen, daß die neuere Schottische Gelehrsamkeit nicht nur der Verfassung ihrer Universitäten zuzuschreiben sey, sondern eine Menge anderer Umstände zum Grunde habe. Man könnte auch sagen: daß Bücherschreiberey jezt ein Handlungszweig geworden ist, und daß eine arme Nation alle ihre Kräfte anstrengt,


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um ihre Geistesprodukte und ihre Arbeitsamkeit an eine reichere zu verkaufen, die zu träge geworden, ihre eigenen Marktplätze zu versehen.

Allein ließe sich nicht das nämliche auf Irland anwenden? Die Lehrer der Dubliner Universität haben freilich wenig Zeit, Beweise ihres Genies, oder ihrer Gelehrsamkeit und Arbeitsamkeit zu geben; und sobald sie, als ältere Mitglider, in eine Lage von Unabhängigkeit kommen, haben sie ein ansehnliches Einkommen; und es ist dem Menschen natürlich, daß er in einer geselligen und volkreichen Stadt, sobald er von der Seite der Glücksumstände unabhängig ist, lieber die Süssigkeiten des Umgangs und der Vergnügungen genießt, als für die ungewiße Aussicht eines künftigen Ruhms und eines unsterblichen Namens arbeitet. Allein der Zweck der Universitäten ist nicht sowohl, daß ihre Mitglieder Schriftsteller seyn, sondern daß sie Schriftsteller bilden sollen. Und diesen Zweck zu erreichen, ist der Plan der ersten Erziehung zu Dublin vortreflich. Die Untergraduirten, d. h. der jüngere Theil der Studierenden werden gut unterrichtet, und ohne Unterlaß examiniert. Aber der beßte Unterricht hört mit den Anfangsgründen auf, und das darauf zu bauende Gebäude wird, durch die Verfassung der Schule, unvollkommen.


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Einer lehrt dies Jahr Philosophie, Griechisch im folgenden, und Astronomie im dritten. Es ist natürlich, daß der nämliche Lehrer, besonders ein junger, so verschiedene Zweige nicht von Grunde aus versteht, und also nur unvollkommen lehrt. Vortreflichkeit in irgend einem Zweige läßt sich bey einer solchen Einrichtung schwerlich erwarten, und es ist zu vermuthen, daß, wenn die Schottischen Universitäten auf den nämlichen Fuß wären, ihre Lehrer den reichlicher bezahlten Engländern schwerlich den Vorzug streitig machen würden.

Und nun habe ich einen Hauptumstand noch nicht angeführt, der den Künsten und Wissenschaften nachtheiliger seyn muß, als alles Vorhergehende: und diese ist die politische Lage dieses Landes. England betrachtet es als eine Provinz, und hat sich sonst — dies kann schlechterdings nicht geläugnet werden — in jeder Rücksicht, als eine harte Stiefmutter betragen. Hätte Irland unter einer unumschränkten Monarchie gestanden, es hatte sich vielleicht besser befunden. Aber die Englische Regierung ist gewissermassen republikanisch, und ich bin durch eine Menge Erfahrungen schon längst überzeugt worden, daß unter allen Völkern, welche Unterthanen sind, die Unterthanen einer Republick die elendesten sind, und das desto mehr, je mehr sich


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die Form der Demokratischen nähert. Es ist die Charakteristick des Republikanischen Geistes, alles für sich zu behalten, alles auf sich zu reduzieren, alles in den kleinern Creis zu ziehen, und alle Gefühle von Weltbürgerschaft zu unterdrücken. Weite, große Aussichten, Streben nach allgemeinem Wohl, und Hinaussehen ins Ganze muß man nie von einer Republick erwarten, die Unterthanen hat. Es ist der Natur dieser Regierungsform zuwider; denn je vortheilhafter und wohlthätiger sie für das Individuum ist, je ausschließender muß sie für alles seyn, was nicht unmittelbar zu ihr gehört.

Aber Irland ist England nicht unterthan! Es ist ein eigenes Land; es ist frey; hat sein eigenes Parlement und eigene Gesetze! — Freilich wahr, sehr wahr; aber nur wahr für den, der den Einfluß nicht weiß, den die Englische Oberregierung hatte, und den politischen Gang, den England mit Irland nahm. Ich berufe mich hier auf diejenigen Statuten, unter denen Irland so lange seufzte, auf das Joch, das es vor drey und vier Jahren abgeworfen hat, und auf manches andere, das noch jezt bleibt, und über das man sich in den zeitherigen Unruhen zum Theil mit Recht beschwert hat.


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Was konnte wohl sonst das Genie des Iren spornen, wenn es nicht Ruhm und Verlangen nach Unsterblichkeit war! Der ganze Geistliche Stand sagte: Was wir auch immer thun mögen, so kann es uns doch nie zu etwas Wesentlichem führen. Was auch unser Verdienst seyn mag, so können doch nur einige sehr wenige von uns zu ansehnlichen Stellen in der Kirche kommen. Unsere mehresten Bischöfe und Erzbischöfe sind Engländer; eine Menge unserer Dekanschaften gehören Engländern, ob wir sie schon nie zu sehen bekommen; ja sogar unsere besten Pfarreien werden zum Theil an diese vergeben. Jeder Vicekönig bringt einen Kaplan mit sich herüber, den er reichlich versorgen will, und empfiehlt noch überdies andere, die er in Irland leichter unterbringen kann, als in England. Seine Adjutanten erwarten Beförderung in der Armee, ja seine Bedienten erwarten oft Civil-Ämter.

Mit den Rechtsgelehrten ist es nicht ganz das nämliche; doch werden auch hier eine Menge Stellen einzig und allein durch Englisches Interesse vergeben. Swift drückt sich an vielen Orten mit Bitterkeit über die Härte aus, mit der die Iren sonst vernachlässigt wurden, und behandelt ihre Anhänglichkeit an England als eine Schwachheit. — ‘Was ist der Antheil eines Iren?’ sagt er. ‘Die Besorgung eines Filials,


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höchstens eine armselige Pfarre, oder irgend eine niedrigere Stelle, à 50 Pf. des Jahrs.’160

Alles dies hat sich seit ein Paar Jahren sehr geändert; allein die Wirkungen davon und den Einfluß aufs Ganze kann man natürlich noch nicht sehen. So viel ist gewiß, daß die wichtigern Stellen in Irland jezt weit weniger mit Engländern besetzt werden, als sonst, und daß die Bischöfe, welche Engländer sind, es sich nicht mehr zur Regel machen, die Pfarreyen ihres Sprengels mit ihren Verwandten und Landsleuten zu besetzen. Die Bischöfe von Waterford und Londonderry sind hiervon zwey rühmliche Beispiele. Ich führe nur diese beiden an, weil ich es von diesen weiß.