Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 9

Jenner.

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Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen von der Bevölkerung durch die Celten einige der auffallendsten Zeugnisse, sowohl älterer als neuerer Schriftsteller vorlege.

Strabo sagt, daß die älteste Eintheilung der Welt aus nicht mehr als drey Theilen bestund. 1) Der mittlere Erdstrich war Griechenland,


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Italien, Asien, nämlich das bekannte Asien. 2) Der mitternächtliche Strich Scythien, d. h. Länder der Scythen. 3) Der mittägliche Äthiopien, worunter man Afrika verstund, nämlich den Theil von Afrika, der nicht zu Asien gerechnet wurde. — Als Gattungen der Scythen nennt er die Arimaspen, die Sarmaten, die Hyperboreer, die Sacae und die Massageten. Unter den sogenannten Hyperboreern aber begriff man die Spanier, Gallier, Germaner, Illyrier, Britten, welche alle man mit einem allgemeinen Namen Celtae, oder Celto-Scythae nannte. Alle diese redeten eine Sprache. Der Ausdruck Celto-Scythae schickt sich vielleicht besser für die Asiatischen Celten, die gegen Mitternacht wohnten; allein die geringe Kenntnis, die die Alten von der Geographie hatten, hat uns in mehr als eine Verwirrung gebracht. In seinem zweyten Buche sagt er: daß die alten Schriftsteller alle mitternächtliche Völker Scythen und Celto-Scythen nannten. Und im ersten Buche führt er an, daß diese nämlichen alten Schriftsteller auch den Namen Celten und Iberier, oder vielmehr Celti-berier und Celto-Scythen allen denen Völkern gaben, die in den Westlichen Theilen von Europa wohnten. In allen diesem ist eine sonderbare Verwirrung; aber mich dünkt, daß gerade diese Verwirrung ein Beweis ist, daß durchaus vom nämlichen Volke

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die Rede war, und daß man ihm eine Menge Namen gab, weil man es überall fand, und weil Parthien desselben ohne Unterlas herum wanderten. An einem andern Orte sagt dieser nämliche Geograph, daß die Griechen, vor seinen Zeiten, viele Worte von den benachbarten Barbaren in ihre Sprache aufgenommen hätten. Diese Barbaren aber waren keine andern, als die Celten. Daß Plinius der Celten an den beiden äussersten Enden der alten Welt gedenkt, hab ich schon angeführt; so wie die Stelle des Ephorus, welcher sagt, daß das Scythenland von ungeheurem Umfange sey.

Die Griechen, besonders die Attiker, besaßen einen lächerlichen Stolz und wollten lieber aus der Erde gewachsen seyn, oder ihren Ursprung einem Mährchen verdanken, als von Völkern abstammen, die sie Barbaren nannten. Sie waren unwissend über ihre Abstammung oder wollten sie nicht wissen. Allein ihre Götter zeigen ihre Abstammung genug: sie sind Celtisch. Cornutus, der Stoiker, sagt, daß die Griechen nicht nur die Namen, sondern auch die Eigenschaften vieler ihrer Gottheiten von den Celten borgten: Und hierinne liegt die Ursache, warum man die Etymologie aller dieser Namen in Asien suchen muß, wie Bryant gethan hat, da er denn fand, daß sie fast alle nichts als verschiedene Benennungen des


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Feuers waren. Diogenes Laertius sagt, daß die Celtische Philosophie die Mutter der Griechischen war.

Die Zeugnisse der Neuern können die Stärke der Alten nicht vermehren; aber sie verdienen Aufmerksamkeit, wenn die von Schriftstellern kommen, die sich mit diesem Theile der Alterthümer vorzüglich beschäftigt haben. — Der Franzose Pelloutier140 trägt unzählige Stellen zusammen, um zu bewesien, daß alle Europäische Völker Celtischen Ursprungs sind, besonders aber die Portugiesen, Spanier, Franzosen, Deutschen, Scandinavier, Russen, Ungarn, Brittische Inseln etc. Boullet141, der am wärmsten in der Sache ist, giebt sich in der nämlichen Sache sehr viele Mühe, und geht endlich so weit, daß er sagt: ‘Die Celtische Sprache ist vom höchsten Alter, da sie, wie ich bewiesen habe, nichts als ein Dialekt der primitiven ist.’ Casaubonus142 sagt: ‘die Griechen wohnten zuerst in Asien; daher kommen die Ionier, oder — wie Aeschylus sie nach Ebräischer


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Art nennt — die Iavones (Japhets Nachkommen) welche aus Asien nach Griechenland übersetzten.’ Und weiter sagt er: daß die Syrische Sprache, die Arabische, Chaldäische, Punische etc. ja selbst die Griechische, eine große Ähnlichkeit mit der Ebräischen habe.143 — Viele Gelehrte haben bemerkt, daß selbst das heutige Spanische eine Menge hebräischer Wurzeln hat, wovon die die Ursache nicht erklären können. Alle diese Verwandtschaften lassen sich aber leicht erklären, so bald wir das hohe Alterthum der Celtischen Sprache annehmen, und einräumen, daß von ihr alle Europäischen und die mehresten Asiatischen abstammen.

Strahlenberg,144 der lange in Rußland und in der Tartarey lebte, und nachher eine Reisebeschreibung herausgab, hat über die Celten die nämliche Meynung, und sagt, daß sowohl die, die in Asien blieben, als die, welche nach Europa etc. giengen, verschiedene Namen bekamen, Namen wie sie sich etwan am besten für ihre Umstände schickten. — Da er und Bochat145 gar sehr übereinstimmen, so will ich sie beyde zusammennehmen, und Ihnen ihre Meynung geben. Call, kall, chall bedeutet in den morgenländischen


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Sprachen ‘bleiben, zurückbleiben, eine bleibende stehende Wohnung haben’; C, G und K wird in verschiedenen Sprachen verschiedentlich verwechselt, und so entstunden Kalli, Galli, Kalatae, Galatae. Da das Wort Kall oder Chall sich in so vielen Asiatischen Sprachen befindet, so sieht man, daß es eine gemeinschaftliche Wurzel ist. Die Kallmucken zum Exempel und die Moguln {Mongolen} waren ehemals das nämliche Volk. Die Moguln giengen weiter gen Süden, und jene, welche blieben, hießen Kallmucken. Die Tungusi am Flusse Alden heißen noch heut zu Tage Keltaku.146 Diejenigen Völker, welche blieben, wo sie waren, hießen also Kelts, Keltae, Celti etc. zum Unterschiede derer, die sich weiter in Asien ausbreiteten. Da aber diese Kelts sich häufig vermehrten, so mußten sie fernere Colonien ausschicken, und diese Colonien nannten die Gadeli oder Guithi. (Der Name der Iren ist Gadelians. Sie werden diesen Namen in einem Irischen Gedichte finden, das ich Ihnen schicken werde.) ‘Guida’ aber bedeutet in den Asiatischen Sprachen ‘sich trennen, abgehen, verlassen’; das Wort ‘Gad’ bedeutet noch heut zu Tage in der Irischen Sprache einen Wanderer, und die letzte Sylbe ‘li’ oder ‘eli’ bedeutet in den Tartarischen ‘Volk’. So nennen die Türken zum Exempel die Ungarn — Magiar-eli; die Siebenbürgen Erdel-eli, die Römer Uroum-eli. — Das Wort Celt sollte,

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wie schon Leibnitz erinnert, Kelt ausgesprochen werden. Und von diesem Worte Kelt findet man wirklich noch Reste in Schottland und Irland. Die Fitschit Gwideline hießen sonst Keilst und Keilt; und es ist zu bemerken, daß das Wort ‘Fitschit’ gemalt bedeutet. Also — gemalte Celten, picti, Picten.

Cäsar und Tacitus sagen, das Wort Celt bedeute einen Mann, der in den Wäldern wohnt: und dies mochten beyde in der That sehr leicht glauben, da die Celten die Wälder besonders liebten, und die Druiden viel in den Wäldern zu thun hatten. Indessen ist es doch sonderbar, daß das Wort ‘ceilt’ und ‘geilt’ noch heut zu Tage in der Irischen Sprache wilde Leute bedeutet, die in Wäldern wohnen.147


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Bey dieser ganzen Untersuchung über die Celten hab ich keinesweges die Iren aus dem Gesichte verloren! Im Gegentheile, alles hängt sehr wohl mit dem zusammen, was ich über die Irische Geschichte, Sprache, Gewohnheiten und Alterhtümer geschrieben habe, wenn Sie folgende Sätze bedenken.

Unter allen Europäischen Völkern muß wohl dasjenige das älteste seyn, bey dem wir die größte Zahl von den Gewohnheiten, Gebräuchen, Sitten, Denkmälern etc. finden, welche die ältesten Asiatischen Völker hatten und zum Theil noch haben.

Je mehr ein Volk von allen andern abgesondert ist, und je weniger es sich mit andern vermischt, je reiner muß es seine ursprüngliche Sprache, Religion, Sitten, Gebräuche etc. erhalten.

Wenn man in einer Sprache Worte findet, die mit den gleichbedeutenden Worten einer andern Sprache eine große Ähnlichkeit der Figur haben, die beyden Völker aber, die diese Sprachen reden, nie in Verbindung gestanden sind (und dies ist der


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Fall der Iren mit den Römern und vielen andern Völkern) so muß ich den Schluß machen, daß die Wurzeln dieser Worte in einer Sprache zu finden sind, die für jene Sprachen die gemeinschaftliche Mutter war.

Wenn ich in allen Sprachen eine gewisse decidirte Verwandtschaft finde, so müssen sie alle nähere oder entferntere Abkömmlinge der nämlichen Mutter seyn, einige als Kinder, andere als Enkel, Urenkel, etc.

Diejenige Sprache aber, die mit allen andern die größte Verwandniß hat — eine größere Verwandniß als irgend eine dieser Sprachen mit allen übrigen — diese Sprache muß der Mutter am nächsten, muß eine Tochter, muß eine primitive seyn — muß in gerader Linie von der abstammen, die man in Asien redete, ehe die Völker anfiengen, sich zu zerstreuen. Und

Das Volk, bey dem ich diese Sprache finde, muß — (nicht nur sie ziemlich rein erhalten haben, indem es sich mit anderen wenig mischte; sondern auch —) in einem frühen Weltalter sich von dem ursprünglichen Stamme getrennt haben, und ausgewandert seyn.

Ich trete hierdurch der so genannten Babylonischen Sprachenverwirrung nicht im geringsten zu nahe! Denn unter den verschiedenen Sprachen, die da entstunden, läßt sich nichts anderes


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verstehen, als verschiedene Dialekte der primitiven Sprache, die man vor der allgemeinen Trennung und Völkerwanderung redete. Daß dieses wirklich so war, braucht keines Beweises. Abraham wußte sich auf seinen Reisen überall verständlich zu machen. Die nahe Verwandtschaft der Hebräischen und Chaldäischen Sprache ist allgemein bekannt. Die Phönizische war ein Dialekt der Hebräischen; und die Punische, welche im Grunde die Phönizische war, hatte so viel Ähnlichkeit mit der Hebräischen, daß diejenigen, die die Stellen im Plautus erklären wollten, sie in diese letztere übersetzten, wie Gronov und Bochart. Daß die Hebräische Sprache selbst, die wir haben, die Tochter oder ein Dialekt einer andern war, die man die primitive nennen könnte, und welche vermuthlich nie in geschriebenen Buchstaben existirt hat — darüber, glaub ich, sind die Orientalisten jezt so ziemlich einig. Ich habe Court de Gebelins Werk148> nicht hier, und besinne mich nicht genau, was seine Meynung über diesen Punkt ist.

Wenn Sie nun alles zusammennehmen, was ich über die Celten und über die Irische Sprache gesagt habe, so läßt sich folgendes mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit vermuthen.

Daß Irland in einem sehr frühen Weltalter von einer oder mehreren Colonien der Asiatischen


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Celten bevölkert wurde; (ob von Phöniziern, oder von einer andern Seite her, lasse ich an seinen Ort gestellt seyn.) Daß es nachher später Colonien dieser Celten oder Gadelians gab, die ursprünglich aus Africa kamen, (wie die Fomorians und andere, über welche fast alle Irische Geschichtschreiber nur eine Stimme haben) und die sich in Europa niederlassen wollten; und daß eine von diesen, da sie in Spanien nicht unterkommen konnte, nach Irland gieng. Diese letztere Colonie war vielleicht diejenige, die die Iren die Milesier nennen. Ob aber diese letzte Colonie vorher eine Zeit lang in Ägypten war; ob ihre Anführer Heber, Heremon etc. hießen; ob diese Prinzen Söhne des großen Milesius waren, der um diese Zeit ein berühmter Mann im Osten gewesen zu seyn scheint —; oder ob die Iren, um ihre Nation desto herrlicher zu machen, den ganzen Anfang ihrer Milesischen Geschichte erdichtet haben — alles das überlasse ich Ihnen auszumachen. Die Sache selbst ist Ihnen und mir höchst gleichgültig; aber gestehen müssen Sie, daß die ganze Untersuchung auf eine Menge Dinge führt, die beydes interessant und dem Neugierigen angenehm sind!