Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 5

Jenner.

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In diesem kurzen Abrisse einer Irischen Geschichte werden Sie, lieber Freund, hin und wieder gesehen haben, auf was für Zeugnisse die Thatsachen der Geschichte dieses Landes sich gründen. Keine uns bekannte Nation hat mehr Sorgfalt getragen, ihre Geschichte und die Genealogie ihrer Könige zu erhalten. Wir finden durchaus, daß sie ein öffentliches Geschäfte daraus machten. Es fragt sich also blos: ob von diesen alten Werken, von diesen Urkunden noch etwas übrig ist, worauf man mit Gewißheit bauen kann? Oder: ob das, was man noch hat, aus jenen Urkunden genommen ist, und wieferne man sich darauf gründen kann?


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Wenn von der Irischen Geschichte gesprochen wird, so hört man die gewöhnliche, ich möchte fast sagen allgemeine Abfertigung: ‘Die Iren haben uns eine Menge Mährgen gegeben, und ihre ältere Geschichte ist so darein gehüllt, daß es sich nicht der Mühe verlohnt, Zeit damit zu verlieren.’ — Ich glaube, ich darf geradezu behaupten, daß diese fast allgemeine Sage einzig und allein auf Trägheit, Vorurtheil und Unwissenheit gegründet ist, und daß sie hauptsächlich von den Engländern herrührt. Die Völker des festen Landes von Europa kennen die Irische Geschichte wenig anders, als durch die Engländer, und diese sind in diesem Punkte, theils aus Vorurtheil, theils aus Unwissenheit, zu allen Zeiten sehr ungerecht gegen die Iren gewesen. Um dieses zu zeigen, muß ich etwas über die vornehmsten Irischen Geschichtschreiber sagen.

In Keating und O'Flaherty findet man das mehreste beysammen, was sich über die Irische Geschichte auftreiben läßt. Beide, besonders der erstere, haben ohnstreitig eine Menge Mährgen aufgenommen. Allein anstatt diese Mährgen mit dem Ganzen zu verwerfen, hätten die Engländer untersuchen sollen, was wahr, und was falsch seyn möchte: und dieses konnten sie nicht, weil sie nicht Irisch verstunden, und folglich diejenigen Werke, die man noch hat,


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nicht untersuchen konnten. Diese Sprache ist schon längst aus dem Gebrauche gekommen; wenige Gelehrte verstehen das heutige Irische und noch wenigere, das alte. Viele Iren selbst also nahmen entweder blindlings alles an, oder verwarfen das Ganze, als alten Rost, aus dem sich nichts bringen ließe. Indessen fanden sich doch einige, die genauer untersuchten, und unter diesen nenne ich besonders den Sir James Ware,98 und den Dr. Raymond.99 Der letztere bewieß, schon eine geraume Zeit vor Vallancey, daß die Irische Sprache die Celtische sey, und daß sie sich auf dieser Insel reiner erhalten habe, als in irgend einem Lande der Welt. O Connor der auch in unserem Jahrhunderte lebte, behandelte die Irische Geschichte in einem forschenden Geiste, und verbreitete Licht über eine Menge Dinge, die vorher dunkel gewesen waren.100 Am meisten aber that Vallancey durch seine Irisch-Celtische Grammatik. — Lassen Sie mich nun auf die Zeugnisse, die man hat, kommen!

Daß die Iren, selbst in den ältesten Zeiten, ihre Geschichte niederschrieben, daran ist nicht zu zweifeln, wenn man nicht alles über den Haufen werfen will, worauf sich alle alte Geschichte überhaupt gründet. Die Iren hatten nicht nur ihre hieroglyphischen Zeichen, welche blos von den Druiden gebraucht wurden, sondern sie hatten


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auch ihre eigenen Buchstaben101 lange vorher, ehe sie von St. Patrick die Romanischen, oder Lateinischen lernten. Spencer ist der Meinung, daß die Iren ihre Buchstaben von einer Spanischen Colonie hatten, und beweißt zugleich aus dem Strabo, daß die Spanier frühzeitig die Phönizischen Buchstaben gebrauchten. Er ist mit sich selbst nicht vollkommen über die Sache entschieden, doch sagt er, so viel sey gewiß, daß Irland den Gebrauch der Buchstaben sehr frühzeitig, und viel eher als England hatte. Sie schrieben auf Tafeln von Buchenholz mit einem eisernen Griffel, und die Buchstaben selbst hießen, wie O'Flaherty sagt, Feadha, d. h. Syluae, Hölzer. — Die hieroglyphische Art zu schreiben selbst hieß Ogham, welches ein Phönizisches oder Alt-Celtisches Wort ist und die Elemente der Wissenschaften bedeutet. Es ist bekannt, daß Minerva, die Göttin der Weisheit, bey den Ägyptern Ogga hieß. Euphorion102 sagt ohne weiteres ‘Ogma oder Minerva nach den

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Phöniziern’; und Hesychius braucht die nämlichen Worte ‘Ogga, Minerva bey den Thebanern.’ [A. d. V.]103 Bannier in seiner Mythologie104 führt an, daß Ogga die älteste Benennung für Minerva sey. Alles dies dünkt mich sehr klar; aber es ist noch weit auffallender, daß das Irische Wort oighe einen Kämpfer, einen Helden oder Ritter bedeutet, und zugleich auch einen Weberstuhl, so daß in diesem einzigen Worte zwey Stande begriffen sind, von denen Minerva die Vorsteherin war.105 Lucian sagt, daß die Gallier den Herkules, Ogmion, nannten,106 daß er sich über diesen Beynamen verwunderte, und daß ein gelehrter Druide ihm sagte, daß Herkules, bey den Galliern, nicht, wie bey den Griechen, körperliche Stärke bedeutete, sondern Stärke in Beredsamkeit. Dies zeigt offenbar, was Bryant sehr weitläufig beweisen hat, daß man die Etymologie der Griechischen Gottheiten und ihrer Eigenschaften nicht in der Griechischen Sprache, sondern in einer weit ältern suchen muß, und diese ältere ist, mit einen allgemeinen Namen, die Celtische — Das Irische Ogham war von dreyerley

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Art, wovon die dritte auch den Barden zu gebrauchen erlaubt war. Dr. Sullivan, ein Lehrer an der Dubliner Universität, hatte ein Buch in dieser Schreibart, aus welchem das Alphabet gezogen ist, das ich Ihnen hier beylege.107 Auch findet sich unter den Manuscripten der Dubliner Universität eins, welches das Buch von Ballymote heißt, und in welchem man eine Menge Beyspiele von Ogham-Buchstaben oder Zeichen findet. Auch steht in diesem Werke folgende auffallende Stelle: ‘Fiachra, Sohn des Eacha Moymedon, wurde tödtlich verwundet in der Caonry Schlacht, in der er die Momonians besiegte. Als er nach Hymacuas in Meath zurückkam, starb er an seinen Wunden; man errichtete ihm sein Leacht {Grabstein}, und auf sein Grab wurde sein Ogham-Name geschrieben.’ Diese Schlacht wurde im Jahre Christi 380 geliefert.

Diese hieroglyphische Art zu schreiben, ist mehreren alten Völkern, von Celtischer Abstammung, eigen gewesen, denn, ausser dem Irischen Ogham hat man auch ein Runisches und ein Brittisches, wiewohl letzteres nicht ganz erwiesen ist. Die Britten haben keine Überbleibsel


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davon; Hearne gibt zwar eins aus einem alten Manuscripte, allein es lassen sich Einwendungen dagegen machen.— Daß es in Irland eine Menge Denkmäler in dieser Ogham Schrift gab, daran wird Niemand zweifeln, der sich die Mühe nimmt, nur ein wenig Untersuchung anzustellen. St. Patrick allein ließ ihrer 180 verbrennen, weil er sie nicht verstund und sich einbildete, daß sie sich auf das Heidenthum, oder die alte Landes-Religion bezögen, und also der Ausbreitung der christlichen Lehre schädlich wären.

Daß die ältesten Völker der Erde auf Holz schrieben, wissen wir alle. Horaz sagt in seiner Dichtkunst ‘Gesetze in Holz schneiden’108 und der Prophet Esaias, 30, 8 ‘So gehe nun hin, und schreibe es ihnen vor auf einer Tafel’109. Das lateinische Wort liber bedeutet die innere Seite einer Baumrinde, und das Irische Wort leabar bedeutet glatt, und wird auch, so wie das Lateinische liber, für ein Buch gebraucht.

Ausser dem Ogham hatten die Iren auch ihr gemeines Alphabet. Man hat eine Art von Grammatik, welche Uraiccact na Neiges {Auraicept na n-Éces} heißt,


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oder, nach unserer Art zu reden, das ABC Buch der Barden, wovon Herr Vallancey und die Dubliner Universität Kopien besitzen. Dieses Manuscript enthält allerhand merkwürdige Nachrichten über die Irische Sprache, und soll von einem Forscher geschrieben worden seyn, der unter M'Nessa lebte, welcher 3937 auf den Irischen Thron kam. Man findet auch darinnen das alte Irische Alphabet, welches von dem neuern ganz unterschieden ist, das in Irland eingeführt wurde, seitdem das Land das Christentum angenommen.

Die Manuscripte, die Macpherbiss noch im siebzehnten Jahrhundert besaß, und die Keating und O'Flaherty noch gesehen und zum Theil benutzt haben, hab ich schon oben angeführt. Auch gibt es noch, wie mich Herr Vallancey versichert hat, verschiedene andere Manuscripte in Privatsammlungen, die sehr ächt, und zum Theil noch nie gebraucht worden seyn sollen. — Die merkwürdigsten bekannten Irischen Urkunden sind ohnstreitig die, die im fünften Jahrhunderte zusammen getragen wurden. Im Jahre 455 kehrte St. Patrick wieder nach Leinster zurück, nachdem er sieben Jahre in Munster das Christenthum gelehrt hatte. Sein Ansehen war nunmehro sehr groß; die Fürsten betrachteten ihn als einen gechickten Mann, liessen ihn in ihren Staatsversammlungen


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sitzen, und bezeigten große Achtung gegen seinen Rath. Auf seinen Rath soll es geschehen seyn, daß Logary II. die Häupter, die Geschichtschreiber und die Antiquarien des Königreichs zusammen berief, um ihre öffentliche Urkunden zu untersuchen und von ihren Verbindungen mit der heidnischen Religion zu reinigen. Man brachte alle alte Urkunden zusammen, und neun Männer wurden niedergesetzt, sie in Ordnung zu bringen. Das Werk wurde vor die Versammlung gelegt, gebilligt, und in den Archiven unter dem Namen ‘das große oder tiefe Altherthum’110 niedergelegt. Man machte von diesem Werke eine große Menge Copien, die man der Sorgfalt der Bischöffe übergab und in den Kirchen niederlegte. Der Menge dieser Copien hat man es vermuthlich zuzuschreiben, daß ein Theil derselben den Verwüstungen der Dänen und Engländer entgangen sind, und daß man noch heutzutage in Bibliotheken und Kabinettern davon hat, als das Buch von Ardmagh — den Psalter von Cashel — das Buch von Glendaloch — Leabhar Gabala und verschiedene andere, die Keating anführt. — Auch berief Logary die große Nationalversammlung zu Tara, wovon ich Ihnen weiter oben geschrieben habe, und ließ die Verbesserungen, nach dem Gebrauch seiner Vorfahren, in den königlichen Psalter eintragen.


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Selbst in den unbeschreiblichen Zerstörungen der Dänen, die alles vor sich her verbrannten, Zerstörungen, von denen die Geschichte keines Landes ein Beyspiel hat, findet man, daß es immer einige Männer gab, die die Urkunden ihres Landes zu retten suchten, und daß manche in unbewohnte Striche und Höhlen mit ihren Büchern flohen. Auch im zehnten Jahrhunderte, unter dem Monarchen Brian, finden wir einen Umstand, den ich nicht übergehen darf. Er sah die Barbarey, in die Irland, während der Dänischen Kriege, zurück gefallen war, und suchte die Wissenschaften wieder herzustellen. Die Geistlichen und Mönche hatten ihre Kirchen und Klöster verlassen, nachdem die Dänen ihnen alle Einkünfte genommen hatten. Viele wurden umgebracht, und andere verließen das Land. Die Gelehrten gingen schaarenweise auf das feste Land, wo sie bey Carolus Calvus111 Schutz und Hülfe fanden. (Hier ist zugleich auch die Ursache, warum die Wissenschaften, die vom fünften Jahrhundert an in Irland blüheten, auf einmal verbannt waren.) Brian stellte einige Schulen und Klöster wieder her, errichtete Anstalten für Erziehung und Erlernung der Wissenschaften, und setzte den Gelehrten Besoldungen aus. Was aber hauptsächlich hierher gehört, ist, daß er den Adel, die Bischöffe und Gelehrten nach Cashel berief, und die Irische Geschichte von der Zeit


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an, wo man aufgehört hatte, sie zu schreiben, nachholen und in den den Psalter von Cashel eintragen ließ. Dies zeigt offenbar, daß nicht alles verloren gegangen war. Alle Anwesende unterzeichneten den fortgesetzten den Psalter von Cashel, alle Provinzialkönige erhielten Copien, und es wurde festgesetzt, daß nichts für wahre Geschichte zu halten sey, als was durch diese Revision gegangen war. Allein auch von diesem Werke ist vieles in den unglücklichen Englischen Kriegen und barbarischen Zerstörungen verloren gegangen.

Ein anderes Werk, dessen Ansehen sehr hoch steht, ist das sogenannte Buch der Rechte von Munster112 Es enthält unter andern verschiedene historische Nachrichten und die Einkünfte der Könige von Munster. Binen, St. Patricks Nachfolger im Sitze zu Armagh, fing dieses Werk zuerst an; ich kann aber nicht sagen, wer die sind, die es fortgesetzt haben.

So viel also läßt sich sagen, daß so weit zurück, als bis auf St. Patrik, man einigen Irischen Urkunden nachspüren kann, und daß wirklich aus dieser Zeit noch einiges existirt. Aber man kann sich freilich leicht vorstellen, daß diese Werke nie Gelehrte gefunden haben, die sie mit der kritischen Sorgfalt behandelt hätten, die man auf die Manuscripte der Lateinischen und Griechischen


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Schriftsteller gewandt hat. Man kann sich leicht vorstellen, daß diese Werke allmählig verfälscht, ergänzt, vielleicht auch wohl gar zum Theil abgeändert worden seyn mögen. Allein auch das, was man noch hat, ist nie allgemein benutzt und bekannt gemacht worden. Darüber werden Sie sich wohl nicht wundern, daß, aller Sorgfalt ungeachtet, die die Iren zu allen Zeiten für ihre Geschichte trugen, so wenig authentisches heutzutage übrig ist! Bedenken Sie die unglücklichen, bürgerlichen Kriege, die die Iren ohne Unterlaß mit einander führten; die Zerstörung, ja ich möchte sagen die völlige Umkehrung der Insel durch die Dänen, die, mehr oder weniger, 200 Jahre lang darinnen wüteten; die Verwüstungen, die die Engländer von Heinrich II. an bis auf Wilhelm III. angerichtet; die Grausamkeiten eines Olivier Cromwells, der, wohin er ging, alle Kirchen und Klöster verbrannte, von denen ich noch jezt unzählige Trümmer gesehen habe: — nehmen Sie dies zusammen, und Sie werden sich wundern, daß noch irgend etwas übrig ist.

Ich gehe nun weiter hinaus in frühere Zeiten zurück! — — Daß man schon vor St. Patrick alte schriftliche Nachrichten hatte, ist klar, weil sie auf seinen Rath zusammen gebracht wurden. Auf was sie geschrieben waren, hab ich nirgends


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finden können; daß man vor St. Patricks Zeiten, den Gebrauch, auf Pergament zu schreiben, nicht kannte, räumt der Ire O'Connor ein. Eben so wenig läßt sich mit Gewißheit sagen, ob die Urkunden, die man zu St. Patricks Zeiten hatte, die nämlichen waren, die unter der Aufsicht der National-Versammlungen zu Tara verfertigt worden seyn sollen, von deren ersten Stiftung, unter Ollam Fodla, die Irischen Schriftsteller so viel und so ausführlich erzählen? Mancher Ire wird gerade mit Ja antworten. Ich habe nicht genug Kenntniß von der Sache um eine Meinung zu wagen, sondern will nun in die ältesten Zeiten der Irischen Geschichte zurückgehen, und Ihnen überhaupt mittheilen, was ich darüber entweder gefunden oder gedacht habe.

Daß wir mündliche Tradition nicht ganz verwerfen können, ist eine ausgemachte Sache, denn sonst müßten wir die ganze, mehr als tausend Jahre lange Geschichte der Erzväter, von Adam an, schlechterdings verwerfen. Moses mag, wie die Herren Michaelis, Schlözer und andere vermuthen, schriftliche Nachrichten vor sich gehabt haben, aber weit hinaus gingen sie gewiß nicht. ‘Zudem ist ein Volk, das den Gebrauch der Buchstaben nicht kennt, weit aufmerksamer und sorgfältiger mit der mündlichen Tradition.’ — — ‘Aber die Iren hatten frühzeitig


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den Gebrauch der Buchstaben von den Phöniziern oder Carthaginensern, deren Sprache sie redeten, und von denen sie des Handels wegen besucht wurden?’ Das mag seyn, ich will es jezt an seinen Ort gestellt lassen, und annehmen, daß das Land Jahrhunderte bewohnt wurde, ehe es den Gebrauch der Buchstaben kannte. Folgt daraus, daß die ältere Geschichte desselben gänzlich zu verwerfen sey? Freilich ist es abgeschmackt, von Noah's Nichte, vor der Sündfluth, zu reden, aber die weisern Iren halten sich auch dabey nicht auf. Worauf sie vorzüglich bestehen, ist die Geschichte ihrer Milesier, und, daß das Land, als diese kamen, schon eine geraume Zeit lang bewohnt war. Kein Land trug so viele Sorge für seine Geschichte wie dieses, und die Barden waren die Geschichtschreiber von Profession. Da die Bardenschaft, wenn ich so sagen darf, erblich war, so war es desto leichter, die mündliche Tradition, im Falle sie anfangs nicht schreiben konnten, vom Vater auf den Sohn zu erhalten. Diese historischen Nachrichten waren anfangs in Versen, und dies stimmt vollkommen mit der Geschichte der ältesten Völker überein. Es ist bekannt, daß die Griechen lange Zeit keine andere Geschichte hatten, als in Versen. Pherecydes, der der erste gewesen seyn soll, der in Prose schrieb, kann nicht viel eher, als hundert Jahre nach Homer

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gelebt haben. In der Bibel finden wir häufig, daß die Thaten der Krieger vom Volke gesungen wurden. Tacitus sagt von den alten Deutschen, daß sie keine andere Nachrichten von sich hatten, als in Versen. Von den Curetes {Kouretes}, welche die Weisen und Philosophen der Titanen waren, wird erzählt, daß sie ihre Genealogien, ihre Kriege, und kurz alle merkwürdige Thaten in Gedichten erhielten, die sie auswendig wußten, und die sie dem Orpheus und Sanchuniaton mittheilten, welche beyde aus diesen Nachrichten schöpften. Daß alle Dichter dieser Art die Geschichten mit Märhgen von ihrer eigenen Erfindung ausputzten, ist nicht nur natürlich zu erwarten, sondern wir wissen es auch mit ziemlicher Gewißheit. Indessen lagen doch allemal Thatsachen zum Grunde, wie es Herr Bryant von der Griechischen Götterlehre erwiesen hat: und die Irischen Barden hatten vor andern das Besondere, daß sie ausserordentlich sorgfältig in der Erhaltung ihrer Geschlechtsregister und der königlichen Thronfolge waren. Die Irische Geschichte gibt hiervon Beyspiele in Menge, und man findet diese Sorgfalt der Barden selbst in den unruhigen Zeiten und blutigen Kriegen. Die nachfolgenden Schriftsteller wurden dadurch in den Stand gesetzt, in ihren Berechnungen ziemlich genau zu seyn. So erhielten die Barden die Genealogie der Milesischen Linie mit sehr wenigen, oder gar

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keinen Fehlern. Man hat die ganze Reihe von mehr als vierzig Heremonischen Königen, (d. h. von Heremon, dem ersten Milesischen Könige) in einer Ordnung, die, wenn sie erdichtet ist, mir ein weit größeres Werk zu seyn scheint, als es ist, wenn ich es ganz für Wahrheit nehme. Die Chronologen haben diese Genealogien mit der Länge der Regierungen der vorhergehenden Monarchen verglichen, und man hat gefunden, daß die Jahre, die heraus kommen, ganz ausserordentlich mit dem Laufe der Natur übereinstimmen. Auf diesen Grund haben die Iren ihre technische Chronologie gebaut, und O'Flaherty behauptet, daß diese Chronologie die genaueste ist, die wir von irgend einem Volke der Welt haben.