Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 4

Jenner.

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Zu Anfange des fünften Jahrhunderts führte der heilige Patrick die christliche Religion in ganz Irland ein, d. h. in allen Provinzen der Insel, und unter der größten Anzahl von Einwohnern,


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denn ganz wurde die alte Religion nie verdrängt, bis nach der Eroberung durch Heinrich II. (Von St. Patrick hat man an die sechzig Lebensbeschreibungen, im Falle Sie Lust haben sollten, genauer mit ihm bekannt zu werden. —) Die neue Religion gab nun vielen Dingen eine andere Gestalt in diesem Lande, aber auf den Karakter der Nation scheint sie wenig Einfluß gehabt zu haben. Die Regierung blieb, mit wenig Verwechselungen, die nämliche, nämlich ein Monarch und vier Provinzialkönige, die, nach Einführung der christlichen Religion, so wie vorher, ohne Unterlaß mit einander Streit hatten, bald mit einander, bald mit dem Monarchen Krieg führten, einander verdrängten, und gegenseitig die Provinzen der andern an sich brachten; so daß die Pentarchie bisweilen unterbrochen wurde. Von fünf Königen starben, so wie vorher, nicht drey eines natürlichen Todes. — — Es ist zu verwundern, daß in diesen Zeiten von beständigen Unruhen und Blutvergießen, diese Insel einen größern Antheil von Gelehrsamkeit besaß, als irgend ein anderes Land von Europa; wie ich in der Folge zeigen will. Die Ursache davon ist, allem Vermuthen nach, daß die Gelehrten mehrentheils in Klöstern lebten, und, abgesondert von der Welt, wenig Antheil an den politischen Unruhen nahmen.


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Bey Gelegenheit der Einführung der christlichen Religion muß ich noch das sagen, daß St. Patrick keinesweges der erste war, der sie lehrte. Nicht nur Palladius, sondern schon vor ihm hatten verschiedene daran gearbeitet, und das, allem Vermuthen nach, schon seit dem Ende des zweyten Jahrhunderts, aber ohne großem Erfolge.

Von St. Patricks Zeiten an wird die Geschichte von Irland zuverläßiger, ohne daß sie im Grunde viel dabey gewinnt. Die Geschichte fiel nunmehro in die Hände der Mönche, und ich will in der Folge zeigen, daß die alten Barden bessere Geschichtschreiber waren, als sie.

Zu Ende des achten und zu Anfange des neunten Jahrhunderts, eröffnete sich in Irland eine neue Scene von Barbarey und Blutvergiessen, die, wenn man einige wenige Jahre von Ruhe ausnimmt, 200 Jahre lang dauerte. Brian Boromy97, der in der letztern Hälfte des zehnten Jahrhunderts regierte, vertilgte endlich diese Barbaren und stellte Ruhe, Sitten, Gesetze und Wissenschaften wieder her. Er war unstreitig einer von jenen Geistern, die die Vorsehung von Zeit zu Zeit herabzuschicken scheint, um das Menschengeschlecht zurecht zu setzen. Er fand sein Volk so verdorben, und die Neigung zu bürgerlichen


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Kriegen so wenig ausgerottet, daß ein Theil der Iren selbst mit den Dänen gemeinschaftliche Sache machte, um sich ihm zu widersetzen.

Es ist merkwürdig, daß in dieser ganzen Periode von 200 Jahren die Iren und Dänen sich nie eigentlich mit einander vermischten, ob schon die letztern bisweilen in allen Theilen der Insel zerstreut waren, und mitten unter Irischen Familien lebten. Die Eingebohrnen betrachteten sie allezeit als Fremde und Feinde, und bemühten sich ohne Unterlaß, sich ihrer zu entledigen. Auch haben sich die Dänen als eine eigene Colonie, nie im Innern des Landes niedergelassen, sondern hatten die Häfen und Küsten inne.

Nach Brian's Tode führten die Iren ihre Kriege unter einander fort, wie sie zu allen Zeiten gethan hatten, und zerrütteten sich endlich so sehr, daß ihr Land endlich so zu sagen von einem Englischen Edelmanne erobert wurde. Dermod, König von Leinster, wurde, nach einer Menge begangener Ungerechtigkeiten, von seinem Reiche vertrieben, und suchte bey Heinrich II. von England Hülfe. Heinrich gab ihm Erlaubniß, in England Freywillige zu suchen, die ihm beystehen möchten. Richard, Sohn Gilberts, Grafen von Pembroke, brachte eine unbedeutende Armee zusammen, mit der er bald den größten Theil der


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östlichen Küste eroberte. Man nennt ihn insgemein Strongbow, von der Armbrust, die er führte. Heinrich II. wurde nun eifersüchtig auf seinen Unterthan, der deswegen erklärte, er habe alles für seinen König gethan. Der König schickte eine ansehnliche Armee nach Irland, der sich die ganze Insel, ohne daß Blut vergossen wurde, unterwarf. Dies geschahe 1171.

Der letzte Theil der Irischen Geschichte, in dem die Insel unter Englischer Botmäßigkeit steht, gehört nicht zu meinem Zwecke! Ich will also nur einiges weniges erinnern.

Heinrich II. hatte nicht das allergeringste Recht auf diese Insel; ja er konnte auch nicht den allergeringsten Vorwand abgeben. Sie gehörte ihm sogar nicht einmal durch das Recht der Waffen, denn die Iren hatten ihn nicht beleidigt, und er hatte nichts gethan, den vertriebenen Dermod wieder einzusetzen. Strongbow kann als der Eroberer der Insel betrachtet werden, und der König hatte zu dem, was sein Unterthan sich erwarb, kein Recht, weil dieser Unterthan als ein Freiwilliger ging, worzu er, so wie jeder andere, durch die allgemeine königliche Erlaubnis berechtigt war. Die Könige von England nannten sich nunmehro Lords von Irland, waren aber viel zu sehr mit Frankreich


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und mit ihren eigenen bürgerlichen Kriegen beschäftigt, um wirkliche Herren eines Volks zu seyn, deren Fürsten oder Große nie eigentlich unterworfen worden waren. Die Häupter der ansehnlichen Familien betrachteten sich, bey unzähligen Gelegenheiten, als unabhängig, thaten was sie wollten, und waren den deutschen Edelleuten in den mittleren Zeiten ähnlich. Dies war eine neue Quelle beständiger Kriege und Grausamkeiten, und Irland wurde nie ganz von den Engländern unterworfen, bis unter den Regierungen der Königin Elisabeth und Jakobs I.