Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 2

Jenner.

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Sie werden natürlich fragen, lieber Freund, woher die Irischen Geschichtschreiber die Nachrichten nahmen, die ich Ihnen im vorhergehenden Briefe kurz zusammen getragen habe, worauf sie sich gründen, und mit was für Beweisen sie sie belegen? Diese Frage ist sehr natürlich, und ich werde sie bald weitläufig beantworten. Vorher aber lassen Sie mich einen Abriß von der Geschichte der Milesier geben, welche ohnstreitig die merkwürdigste Colonie war, die je nach Irland kam. Ihre Könige dauerten, freilich bisweilen unterbrochen, bis auf die Eroberung


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durch Heinrich II. und noch heut zu Tage behaupten verschiedene Familien von diesem Geschlechte abzustammen, und Manche gehen so weit, daß sie sagen, alle, die ein O' oder M' vor ihrem Namen haben, seyen dieses Ursprunges. Damit habe ich nun nichts zu thun, sondern will hier blos das ausziehen, was die Irische Geschichte von den Milesiern sagt.

Die Milesier waren die Abkömmlinge einer langen Reihe von Helden, die in Ägypten eine große Figur machten, und deren auch in den Traditionen verschiedener anderer Länder gedacht wird. Die Barden mögen, durch dichterische Zusätze, ihre Geschichte auch noch so sehr entstellt haben, so ist doch gewiß, daß man sie in den Schriftstellern verschiedener Europäischen Nationen angeführt findet. Vergleicht man diese mit den Irischen Chroniken, so bringt man folgendes Faktum mit ziemlicher Gewißheit heraus: nämlich, daß eine Ägyptische Colonie, ohngefähr tausend Jahre vor der christlichen Zeitrechnung, Spanien eroberte, und daß ein Theil derselben aus Spanien nach Irland überging, weil sie in einer Reihe von trockenen und unfruchtbaren Jahren nicht Nahrung genug für alle fanden. Dieser letztere Umstand läßt sich sehr leicht erklären, wenn wir die Lebensart bedenken, die alle herumstreifende Nationen führten, indem sie größtentheils von den freiwilligen Produkten der Erde lebten.


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Sir Isaac Newton, der nicht nur ein großer Physiker war, gibt in seiner Zeitrechnung76 eine Menge Beweise für die zwey angeführten Fakta, aus verschiedenen Schriftstellern. O'Connor hat diese Zeugnisse ausländischer Schriftsteller aus Newton zusammengetragen, und mit den Zeugnissen Irischer Schriftsteller verglichen. Da der Umstand wirklich merkwürdig und interessant ist, so kann ich mich nicht enthalten, Ihnen die zwey Tafeln abzuschreiben, so daß Sie zur Linken die ausländischen, zur Rechten die Irischen Schriftsteller finden.

{column 1}1) Eine wandernde Nation von Iberiern, von den Ufern des Schwarzen und Caspischen Meeres, ließ sich vor Alters in Spanien nieder77

{column 2}1) Die Iberischen Schotten, ein Volk, das am schwarzen Meere lebte, wurden aus ihrem Vaterlande vertrieben, und ließen sich nach mancherley Schicksalen, endlich in Spanien nieder78


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{column 1}2) Eine Spanische Colonie, die den Namen Schotten führte, ließ sich, im vierten Weltalter, d.h. im vierten Jahrtausend, in Irland nieder.79

{column 2}2) Kinea Scait — die Schotten und die Nachkommen der Iberischen Schotten waren eine Spanische Colonie, die sich ohngefähr 1000 Jahre vor Christi Geburt, in Irland niederließ.80

{column 1}3) Die Phönicier, die die ersten waren, welche Künste und Wissenschaften nach Europa brachten, hatten frühzeitig Verkehr mit den Iberischen Spaniern.81

{column 2}3) Die alten Iberischen Schotten lernten den Gebrauch der Buchstaben, die man auf dem festen Lande hatte, von einem berühmten Phenius, von welchem sie den Namen Phönische oder Phönicische bekamen.82

{column 1}4) Nil, Belus, Sihor, Osihor, Toth, Ogmius etc. etc. waren berühmte ägyptische Krieger, die die Welt mit dem Rufe von ihren Thaten füllten.83

{column 2}4) Nihul, Bilens, Sruo, Asru, Tait und Ogaman waren groß in Ägypten und in verschiedenen andern Ländern.84


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{column 1}5) Der Ägyptische Eroberer von Spanien bekam den Namen der Held Herkules.85

{column 2}5) Ein großer Held, der in Ägypten berühmt war, bekam den Namen Golamh und Milen-Espaine, d. h. der Überwinder oder Held aus Spanien.86

{column 1}6) Nil, Sihor, Osihor ? etc. etc. traten in die Fußstapfen der Phönicier und civilisirten und unterrichteten verschiedene Völker.87

{column 2}6) Niul, Sru, Asru etc. folgten dem Phenius und lehrten Künste und Wissenschaften.88

{column 1}7) In den Tagen des Herkules, oder des Ägyptischen Eroberers von Spanien, war eine große Dürre auf einem großen Theile der Erde.89

{column 2}7) Die Eroberung von Spanien und eine große Dürre, die zur nämlichen Zeit einfiel, nöthigte die Iberischen Schotten sich nach Irland zu flüchten.90


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{column 1}8) Herkules, oder der Held aus Spanien war der Sohn des Belus, wie man sagt.91

{column 2}8) Milea-Espaine oder der Held aus Spanien, war der Sohn des Beleus.92

Ich erzähle Ihnen nunmehro die Geschichte der Milesier, wie man sie in den Irischen Schriftstellern findet.

Verschiedene Ägyptische und Phönizische Colonien hatten Spanien nach und nach besetzt, und von Zeit zu Zeit kamen noch neue. — Diese häufigen Auswanderungen der beiden Völker stimmen genau mit der Bibel und den alten Schriftstellern überein, die öfters sagen, daß die Vortreflichkeit des Himmelsstriches, die thätige Lebensart der Einwohner und ihre einfache Kost, öfters diese Länder nöthigte, Colonien auszuschicken. — Die zahlreichen Colonien, die nach Spanien kamen und einige trockene Jahre, machten nun auch dieses Land für die Menschen zu enge. Ein besonderer Stamm, der den Namen Breoghan führte, entschloß sich auszuwandern und eine neue Wohnung zu suchen. Irland war ihnen, wie verschiedene Umstände zeigen, nicht unbekannt. (Ganz gewiß kannten die Phönizier Irland, und folglich war es auch den Spaniern


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nicht unbekannt, welche vielleicht schon vorher es befahren hatten, da sie, als Colonien der Phönizier und Ägypter, sehr frühzeitig einigen Handel trieben. Sie besinnen sich hier, lieber Freund, daß die Ägypter, in den allerältesten Zeiten, einen ausgebreiteten Handel trieben, und das lange vor der Zeit, in der sie anfingen, alle Fremde zu hassen und ihre Häfen zuzuschließen.)

Man stellte einige Berathschlagungen über die Sache an, und es wurde beschlossen, den Ith, einen Anführer aus dem Milesischen Hause, zu schicken. Er war ein tapferer Prinz und von vieler Erfahrung, und ging mit 150 auserlesenen Soldaten aus Gallizien nach Irland, um zu untersuchen, ob in diesem Lande für eine zahlreiche Colonie Platz sey. Er landete, wurde von den Dannonians gefragt, was sein Geschäfte sey, und verlangte dagegen zu wissen, wem die Insel gehöre. Da sie alle die Celtische Sprache redeten, verstunden sie einander vollkommen. Auf die Nachricht, daß Irland unter drey Brüdern stünde, die im Norden von Ulster wohnten, und gerade jezt Streitgkeiten mit einander hätten, ließ Ith funfzig Soldaten mit dem Schiffe und ging mit den hundert übrigen zu den drey Brüdern. Er sagte den Irischen Fürsten, daß er seinen Weg verfehlt habe, und zu landen genöthigt worden sey, daß er aber wieder abfahren


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wolle, so bald man sein Schiff ausgebessert habe. Die drey Brüder sahen, daß er ein Mann von vielem Verstande war, und machten ihn zu ihrem Schiedsrichter. Ith setzte sie zu rechte, und rieth ihnen, die Insel in drey Theile zu theilen, weil sie, wie er im Kommen bemerkt habe, fruchtbar und für alle drey hinlänglich sey. Kaum war er wieder nach seinem Schiffe zurück gekehrt, so fiel den Brüdern ein, daß er wohl einen Einfall ins Land thun könne, da er dessen Fruchtbarkeit so sehr gerühmt habe. Sie verfolgten ihn also; es kam zu einem Treffen; Ith widerstund so gut er konnte, und erreichte glücklich sein Schiff. Er kehrte nun zurück, um ein stärkeres Heer zu holen, starb aber unterwegs an seinen Wunden.

Die Engländer erzählen diese Begebenheit anders; allein die Irische Geschichte hat nicht nur weit mehr Wahrscheinlichkeit, sondern hängt auch mit der Chronologie besser zusammen; anderer Umstände zu geschweigen. Ich fahre fort.

Die Seefahrer stellten, als sie nach Spanien zurück kamen, den Leichnam ihres Anführers öffentlich aus, und Rache vereinigte sich mit andern und stärkern Bewegungsgründen, auf Irland einen Anfall zu thun. Dreyßig Schiffe wurden ausgerüstet und von vier tapferen Häuptern,


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von denen viele Orte in Irland in der Folge ihren Namen bekommen haben, kommandirt. Ein Nebel hinderte sie lange vom Landen, bis sie endlich im westlichen Munster ans Land setzten, und von da nach Teamor,93 wo die Irischen Könige ihren Hof hielten, marschierten.

Amergin, einer der vornehmsten Anführer dieser Colonie, und ein Sohn des großen Milesius, der vor kurzem gestorben war, verlangte von den Dannonischen Königen die Insel, und bot ihnen eine Schlacht an. Kurz die Milesier behielten in zwey Schlachten, in denen die drey Dannonischen Könige umkamen, die Oberhand, und machten sich zu Herren der Insel. Es ist wahrscheinlich, daß die Belgae, von denen noch immer ein Theil auf der Insel wohnte, ihnen, aus Haß gegen die tyrannischen Dannonians, tapfer beistunden; wenigstens findet man, daß Heremon, der erste Irische Monarch aus Milesischem Stamme, ihnen nicht nur große Freiheiten und Rechte zugestund, sondern auch die ganze Provinz Connaught einräumte, wo sie groß und ansehnlich wurden, und bis ins dritte christliche Jahrhundert ein beträchtliches Volk ausmachten.

Da Irland auf diese Art in die Hände der Milesier gefallen war, wurde es zwischen den zwey Prinzen Heber und Heremon geteilt. Warum


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Amergin, der dritte Sohn des Milesius ausgeschlossen wurde, wird nicht gesagt; man führt blos an, daß er Dichter, Philosoph, Geschichtschreiber und Gesetzgeber war: Eigenschaften, die ihn in den damaligen Zeiten vielleicht von der Regierung ausschlossen, weil Männer von dieser Profession gewöhnlich als Schieds-Richter und Verkündiger des göttlichen Willens angesehen wurden, und ihr Rang der höchste im Reiche nach dem Fürsten war. — Heber und Heremon regierten nicht lange in Frieden! Hebers Gemahlin bewog den König, einen Theil von seines Bruders Landen an sich zu bringen; Heremons Gemahlin trieb ihren Mann an, nichts abzugeben: und so entstund ein Krieg, in dem Heber seine Armee und sein Leben verlor.

Nicht lange nachher wurde Irland von einer Colonie von Picten angefallen, die aus Thracien gekommen und durch Gallien gegangen war. Die Iren behielten jedoch die Oberhand über sie, und nöthigten sie, sich auf den benachbarten Inseln niederzulassen, gaben auch einige Damen aus vornehmem Geschlechte ihren Häuptern zu Weibern. Diese Picten waren vermuthlich das Volk, welches nachher die Caledonischen Schotten genannt wurde, und das im Grunde eine Scythische Colonie war.


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Die Irischen Chroniken sagen ferner, daß sehr viele Nachkommen des Breoghan, welche Brigantes genannt wurden, nebst verschiedenen Dannonians, die noch auf der Insel waren, mit den Picten Irland verließen, und nicht nur die Hebridischen Inseln besetzten, sondern auch einen Theil von Schottland einnahmen und nachher ansehnliche Besitzungen in England hatten. — Die Milesier blieben nunmehro im vollen Besitze der Insel, und der Heremonische Stamm dauerte beinahe 1200 Jahre, d. h. bis ins zweyte Jahrhundert.