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Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 1

London, im Januar 1785

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Als ich Ihnen, lieber Freund, bey meinem letzten Aufenthalt in Irland, vergangenen Sommer, über das Alter dieses Landes, die Sprache, Gelehrsamkeit und andere Dinge, allerhand Nachrichten gab, führte mich dieses auf weitere Untersuchungen. Ich habe seit der Zeit verschiedenes darüber zusammen getragen, das ich Ihnen nun, nebst allerhand Auszügen und Übersetzungen mittheilen will. Es fielen mir verschiedene Werke in die Hände, in denen ich nicht nur Unterricht, sondern auch eine Menge merkwürdiger und — ich darf sagen — wenig bekannter Dinge fand. Ich zog das und jenes aus. Am meisten aber interessirten mich drey Schriften, aus denen ich gerne einen Theil übersetzt und in einem Bande herausgegeben hätte. Da Sie mir aber letzthin schrieben, daß Dinge dieser Art, betreffend ein Land, das selbst nur unvollkommen in Deutschland bekannt ist, schwerlich Leser genug finden würde, um einem Verleger Hoffnung zu geben, daß er seine Rechnung dabey finden werde: gab ich die Sache auf. Nun aber schreiben Sie mir, daß Sie die Nachrichten über Irland, die ich Ihnen im Sommer


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1783 und 1784 aus diesem Lande zuschickte, herausgeben wollen, und dies bringt mich auf den Gedanken, meinen alten Vorsatz wenigstens zum Theil auszuführen, und in einen Anhang zu meinen Briefen zu bringen. Ich will also das Gesammelte zusammen tragen, so gut als die Zeit, die Sie mir bestimmen, es zuläßt; aus verschiedenen Werken Stücke übersetzen; aus anderen Auszüge machen und mit Bemerkungen vermehren, die ich bey meinem doppelten Aufenthalte in Irland gemacht habe.

Es würde für mich mühsam, und für den Leser beschwerlich seyn, wenn ich jedesmal anführen sollte, wo ich selbst rede, oder Auszüge gebe, vermehre, abändere, und bald aus dem, bald aus jenem Werke übersetze. Indessen will ich Sie mit den hauptsächlichen Schriften bekannt machen.

Philosophischer Abriß von Süd-Irland68

Vallanceys Versuch über das Altherthum der Irischen Sprache69


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Vallanceys Grammatik der Irischen Sprache70

In Rücksicht auf Geschichte hab ich Warners Geschichte von Irland vor mir gehabt,71 und das, was sich in der allgemeinen Geschichte befindet, nebst einigen Irischen Nachrichten. — Einiges hab ich aus der Englischen Biographie, aus Johnsons Lebensbeschreibungen der Englischen Dichter, und aus einzelnen kleineren Schriften — genommen.

Die mehresten, die von der ältern Geschichte dieses Landes reden, oder schreiben, haben einen ganz kurzen Weg, sie abzufertigen. Sie sagen, die Irischen Schriftsteller haben ihre Geschichte so mit Fabeln entstellt, daß es der Mühe eines vernünftigen Mannes nicht werth ist, viel Zeit darauf zu verwenden. Man verurtheilt also das Ganze, weil ein Theil davon fabelhaft aussieht. — — Diese Verfahrungsart dünkt


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mich sehr ungerecht, weil es bekannt ist, daß bey der historischen Fabel allemal einige Wahrheit zum Grunde liegt. Herr Bryant hat dieses in seinem Werke über die Mythologie und Geschichte der ältesten Völker des Menschen-Geschlechts klar erwiesen.72 Er hat gezeigt, daß der größte Theil der Griechischen Götterlehre sich auf wirkliche Geschichte gründe, deren Ursprung man unter Völkern suchen muß, die ungleich früher waren, als die Griechen. Er reducirt die Namen einer Menge Griechischer Gottheiten auf ihre ursprüngliche Wurzel, spürt ihrer Geschichte bis in das entfernteste Altherthum nach, und zeigt, wie genau manches mit den heiligen Schriftstellern übereinstimmt. Herr Court de Gebelin ging in vielen Betrachtungen den nämlichen Weg, ob er schon vielleicht nicht die Sorgfalt und gründliche Gelehrsamkeit eines Bryant besaß. Auch Vallancey hat in seiner Irischen Grammatik viele Irische Worte bis in die älteste Zeit zurück geleitet, und ihren Ursprung gezeigt.

Die älteste Geschichte von Griechenland war in den Händen der Dichter, und Herodotus hatte unstreitig aus diesen geschöpft. Wir wissen alle, daß diese Dichter die Geschichte entstellt haben; wir nennen diesen Theil den heroischen Theil der Geschichte, erklären


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ihn für fabelhaft, räumen aber doch ein, daß manche Wahrheit darinnen zum Grunde liegt. Herr Bryant hat den Ruf, mehr darinnen geleistet und aufs Reine gebracht zu haben, als irgend einer vor ihm.

Die Irische Geschichte war gleichfalls in den Händen der Dichter, der Barden, und vermuthlich sparten sie auch ihre Erfindungen nicht. Reine Wahrheit heraus zu bringen, ist vermuthlich sehr schwer; aber das Ganze deswegen zu verwerfen, wäre höchst ungerecht, um so mehr, da man noch jezt Irische Akten und Dokumente hat, die, wie Vallancey behauptet, viel älter sind, als unsere christliche Zeitrechnung, und eine große Sorgfalt zeigen, die Geschichte des Landes zu erhalten. Die Ursache, warum man diese Nachrichten so wenig kennt, ist, daß so gar wenige Irisch verstehen, und auch diese Wenigen das Alt-Irische, oder den Phönizischen Dialekt, selten kennen.

Ich habe viel zu wenig Kenntniß von alle dem, um in Untersuchungen darüber einzutreten. Meine Absicht ist hier blos, Ihnen vom Ganzen einen Begriff zu geben, und Sie mit den Meinungen derer bekannt zu machen, die die Sache am meisten untersucht, und die mehreste Kenntnis der Sprache hatten. Wenn Sie mich fragen, was ich selbst darüber glaube, so weiß ich


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kaum, was ich sagen soll. Ich habe nicht Kenntniß genug, um über gewisse Punkte ein Urtheil zu wagen, und am Ende wird es Ihnen sehr gleichgültig seyn, ob ich das, was ich Ihnen vorlege, selbst glaube, oder zum Theil glaube, bezweifle, oder ganz verwerfe etc. etc.

Ich will Ihnen nun einen Abriß von der ältesten Geschichte von Irland geben, so wie sie von den mehresten Schriftstellern dieses Landes gelehrt wird.

Der erste Zeitraum enthält ohngefähr 400 Jahre, und geht von der ältesten Geschichte dieses Landes bis auf den Einfall der Milesier. Der zweyte Zeitraum enthält die Geschichte der Milesier, oder, wie man gewöhnlich und besser sagt, der Heremonischen Könige, und begreift beynahe 1200 Jahre in sich; oder, wenn man will, vom Einfalle der Milesier bis auf St. Patrik, der den Iren die christliche Religion lehrte: und da enthält der Zeitraum 1300 Jahre. —— Mit der folgenden Geschichte hab ich hier nichts zu thun, denn ich rede blos von der ältesten; und überdieß ändert sich hernach manches, und man kann die Geschichte von St. Patrik bis auf die Englische Eroberung unter Heinrich II. als Mönchsgeschichte betrachten.


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Daß der erste Zeitraum die mehresten Mährchen enthält, ist natürlich, und gleichwohl sagen Usher, Loyd und Camden (die beiden letztern waren keine Iren), und andere Antiquarien, daß verschiedene Reste wahrer Geschichte darinnen enthalten seyen, die man annehmen sollte. Innes, der am meisten die alte Geschichte der Iren bestritten hat, sagt: daß unstreitig selbst in diesen Zeiten eine Art von Regierung in Irland war; vielleicht unter einem Könige, oder bloßem Anführer, und beruft sich {auf} einige ungewisse Traditionen der merkwürdigsten Verhandlungen. Alles das lasse ich an seinen Ort gestellt seyn. Genug, die Irischen Chroniken lehren: ‘daß ihr Land zuerst von einer Nichte des Erzvaters Noah bewohnt war, und das selbst vor der Sündfluth.’ Wie sie dahin gekommen, in Zeiten, in denen man vermuthlich wenig von der Schiffahrt wußte, darum lassen Sie sich unbesorgt.

Andere Irische Schriftsteller geben diesen Artikel als eine Fabel auf, behaupten aber, daß ihr Land unmittelbar nach der Zerstreuung des Menschengeschlechts zu Babel, von einigen Nachkommen des Japhet bevölkert worden sey; das ist 300 Jahre nach der Sündfluth. Partholan, der sechste Nachkomme von Magog, sahe den glücklichen Erfolg des Nimrod in Assyrien, wanderte


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aus, um ein Land zu finden, in dem er alleine regieren könnte, und kam nach Irland, oder wurde von Sturm dahin getrieben. Hier ließ er sich mit seinen drey Söhnen, ihren Weibern und tausend Mann, die er mit sich brachte, nieder. Die Nachrichten geben nicht nur den Tag an, wenn er landete, und die Namen der drey Söhne, sondern sie wissen auch von einem beliebten Windhunde, Knechten und Ochsen.

Diese Colonie lebte nicht lange in Ruhe, denn es kam bald ein gottloses Geschlecht von Nimrods Familie, Nachkommen des Ham herüber, welche die Iren Fomorians nannten, und welche beständige Unruhen auf der Insel stifteten. Diese Fomorians rebellirten endlich in Form, und nach langen Händeln und kleinen Kriegen kam es zu einer Hauptschlacht, in der die Partholonians den Sieg erhalten. Sie wollten sich ihrer Feinde auf immer entledigen, und tödteten alle, jung und alt. Der Haß war so groß, daß sie die Leichname unbegraben liegen liessen, wovon die Fäulniß und der Gestank so groß war, daß eine Pest entstund, die alle Einwohner der Insel hinwegrafte. — Die Geschichtschreiber, die dieses erzählen, sind in den Daten nicht einig; man folgt daher gewöhnlich den O-Flaherty, der sich unglaubliche Mühe gegeben hat, die Irische Chronologie zu berichtigen.


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Die Insel hatte nun auf dreyßig Jahre wüste gelegen, als 2029 eine neue Colonie kam. Diese war Nemedius, ein Nachkomme des Magog, sein Weib, vier Söhne und 1020 Mann. Sie kamen in dreyßig Schiffen vom schwarzen Meere. Bald nachher kam auch ein anderes Volk aus Afrika; es entstunden neue Kriege, die die Geschichtschreiber verschieden erzählen, und das Ende davon war, daß die Afrikaner endlich so geschwächt wurden, daß sie die Insel verließen, frische Hülfe aus Afrika hohlten, zurück kehrten, und die Nemedians so schwächten, daß diese, unter drey Anführern die Insel verließen. Der eine, Breac, ging nach Thracien mit seinem Gefolge, von welchem die Belgae abstammen, die die Iren in der Folge Fir-bolgs nannten; Jobath ging mit seinen Leuten nach Böotien, und Bridtan nach England, wo seine Nachkommen die Brigantes waren. — Ein altes Irisches Werk, auf dessen Autorität man gewöhnlich sehr viel hält, sagt, daß die Walliser in Britannien ursprünglich von diesem Bridtan abstammen, und einige der ältesten Verse ihrer Barden bestätigen es.

Die Nemedians hatten die Insel 217 Jahre inne gehabt, und die Afrikaner waren nun die einzigen Besitzer davon. Sie hatten keine regelmäßige Regierung, alles wurde durch das Recht


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des Stärkern ausgemacht, und das Land wurde am Ende wieder entvölkert bis 2657. Um diese Zeit kamen die Belgae oder Fir-bolgs wieder, mit einer Colonie von 5000 unter 5 Anführern.

Diesen Zeitpunkt nimmt Warner, ein Engländer, für die eigentliche Bevölkerung von Irland an, und meynt, daß die Colonie aus England kam. Er sagt: ‘es ist bekannt, daß die Belgae ein beträchtlicher Zweig der Gallier oder Celten waren, daß sie frühzeitig ansehnliche Colonien nach England schickten, und daß vermuthlich ein Theil derselben nach Irland übergewandert sey.’ Er gibt verschiedene Gründe für seine Meinung an, die ich übergehe, weil ich Ihnen, in der Folge, Vallanceys Muthmassungen geben will, die auf tiefere Untersuchung und Kenntniß der Sprache gegründet sind. — Ich fahre in der Geschichte fort.

Die fünf Anführer dieser Colonie waren Söhne des Dela, theilten die Insel in fünf Theile, so daß jeder Bruder sein eigenes Stück hatte, in dem er König genannt wurde. Slangey, dem die Provinz Leinster zugefallen war, war der Monarch des ganzen Landes, oder Anführer der Pentarchie, im Falle irgend einer Gefahr, oder besonderer Zufälle. In allen übrigen Fällen waren die fünf Reiche von einander unabhängig,


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und hatten beständige Händel mit einander. Diese fünf Brüder waren die ersten Könige von Irland, d. h. Könige, nach der damaligen Zeit, ohne Macht und vom Volke abhängend.

Auf diese Art besaßen die Belgae das Land 80 Jahre lang, da sie von einer anderen Colonie überwältigt wurden. In der ganzen Geschichte dieser Colonie, wie sie einmüthig von den Schriftstellern gegeben wird, ist nichts das nach der Fabel schmeckte, oder unwahrscheinlich wäre, wie Warner anmerkt. Und, setzt er hinzu, wenn die Juden, ehe sie Moses' Geschichte hatten, und ehe die Buchstaben erfunden waren, Mittel fanden, ihre Stammgeschlechter, Genealogien und andere merkwürdige Begebenheiten, von Adam an zu erhalten, warum sollten die Iren, die ein beobachtendes Volk waren, ihre Geschichte bis 13 oder 1400 Jahre vor Christi Geburt, nicht haben aufbehalten können?

Die Insel wurde nun von einer andern Colonie eingenommen, welche die Iren Tuatha de Danans nennen, und welche Nachkommen des Nemedius waren. Von dieser Colonie erzählt man allerhand erbauliche Geschichtgen, wovon ich Ihnen nur eine geben will; Sie sollen gleich sehen warum?


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Diese Danians waren große Schwarzkünstler, wohnten eine Zeit lang in Griechenland, gingen dann nach Norwegen, wo sie in großem Ansehen gehalten wurden, bis sie sich endlich in Irland niederließen, wohin sie den Stein des Verhängnisses mit sich brachten.73 Dieser Stein hatte wundersame Eigenschaften, wovon eine war, daß in dem Lande, in welchem er war, allemal ein Prinz aus Scythischem Geschlechte regieren sollte. — Als in der Folge ein Prinz aus Königlich Irischem Geblüte das nördliche Britannien (Schottland) eroberte, wünschte er, sich und seiner Familie den Besitz dieses Landes zu versichern, bat sich vom Irischen Monarchen diesen Stein aus, und ließ sich darauf krönen. Von dieser Zeit an wurde er in Schottland in der Abtei Scoon,74 der Residenz der Pictischen und Schottischen Könige sehr heilig aufbewahrt, bis Edward I. König von England, ihn mit Gewalt nahm und nach England brachte, um sich dadurch den Besitz von Schottland zu versichern. Er legte ihn unter den Stuhl, auf welchem die Könige von England gekrönt werden, wo ich ihn nur noch vor ein Paar Wochen in der Westmünster-Abtey gesehen habe. Als ich ihn vor zwanzig Monaten das erstemal sahe, war mir die Erklärung des Führers nicht verständlich, und ich konnte nicht begreifen, was dieser plumpe, garstige Stein unter dem ebenfalls höchst unansehnlichen


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Stuhle zu thun habe. Die gemeinen Leute nennen ihn jezt den Stein Jakobs, und der Knabe zu Westmünster sagt täglich mit vielem Ernste allen, die er herumführt, daß es ein Stück von dem Steine sey, auf dem Jakob einst schlief und die Himmelsleiter sahe. Ich möchte wohl einmal die Miene sehen, die die jezigen Könige annehmen, wenn sie auf diesem Stuhle sitzen, denn er wird, mit samt dem Steine, noch immer gebraucht.

Warner meynt, daß diese Dannonians wohl keyne andern seyen, als die, die aus England nach Schottland schwärmten, und sich vermuthlich nachher entweder alle oder zum Theil in Irland niedergelassen. Dem sey wie ihm wolle, genug sie besiegten die Belgische Colonie, die, nach der Niederlage, Irland verließ und sich auf die Inseln Ila, Arran, Man und einige andere Hebridische Inseln flüchtete. Die Dannonians besaßen das Land etwan zwanzig Jahre in Ruhe, als neue Ankömmlinge sich darinnen niederließen, und gar bald mit den Einwohnern zerfielen.75 Die Belgae, die auf den benachbarten Inseln wohnten, ergriffen die Gelegenheit und kamen auch wieder zurück. Es kam zu einer blutigen Schlacht, in der die Dannonians die Oberhand behielten, und die anderen entweder vertrieben, oder in eine Art von Sklaverey brachten.


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Sie blieben nunmehro, unter neun aufeinanderfolgenden Monarchen, 197 Jahre lang im vollen Besitze der Insel, bis die Milesier kamen und ihrem Namen und Geschlechte ein Ende machten.

Alle diesen verschiedenen Colonien, die Irland wechselweise besassen, sprachen die alte Celtische Sprache, obschon vermuthlich in verschiedenen Dialekten. Die Namen der Personen und die Benennungen der Orte verrathen diese Sprache vollkommen. Dieser Umstand erleichterte gar sehr die verschiedenen Einfälle und Eroberungen, da durch die wenige Verbindung durch Handel, die man etwan damals hatte, die Unzufriedenen in der Insel sich mit mächtigen Nachbarn verstehen konnten.