Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 16

den 30. Aug.

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Unter den Verwandten des Hauses ist gegenwärtig ein Mann hier, der öfters und lange auf dem festen Lande gereißt ist, und mit dem ich mich manchmal über beliebte Gegenstände jenseits des Wassers unterhalte. Er führt mich durch seine Bemerkungen manchmal auf Dinge, die ich


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oft auf dem festen Lande gesehen, und über die ich nie weiter gedacht habe, weil ich daran gewöhnt war. Einer der größten Vortheile des Reisens ist unstreitig die Urtheile über Länder zu hören, die nicht unser Vaterland sind, und von Personen zu hören, denen dieses Land ebenfalls fremd ist. Die Urtheile von Leuten verschiedener Nationen über irgend ein Land sind immer interessant, und mehrentheils sehr verschieden, weil die mehresten durch ein Medium sehen, das sie aus ihrem eigenen Lande mitbrachten. Ich belustige mich oft mit den National-Vorurtheilen, belustige mich um so mehr damit, da ich selbst ziemlich frey davon zu seyn glaube. In der That hab' ich nur zu viel Gelegenheit gehabt, in acht Jahren meine Vorurtheile dieser Art abzulegen. Mit Verdruß bemerke ich durchaus, daß bey allen diesen National-Vorurtheilen mein armes Deutschland am schlimmsten behandelt wird.

Es ist hier zu Lande etwas so unerhörtes, einen Deutschen um sich zu haben, daß Leute, die hieher kommen, und mich nicht weiter genau kennen, es sich nie träumen lassen, daß ein Deutscher neben ihnen am Tische sitzt. Da höre ich denn manchmal erbauliche Sachen, und Lord T**, der alle allgemeinen Urtheile und Sagen von Nationen haßt, ist dann boshaft genug, zu bemerken, daß ein Deutscher da ist. Nun wissen


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Sie, lieber Freund, daß jede Entschuldigung, die sich in einem solchen Falle machen läßt, den, der sie machen muß, in eine ungeschickte Lage bringt. ‘Ah! Ich bitte um Verzeihung’ ist das kürzeste, was sich sagen läßt. Wenn aber einer aus Höflichkeit mehr sagt, so kann ich mich kaum des Lachens enthalten; denn natürlich kann er nichts anders, als etwas Abgeschmacktes sagen. ‘Er trinkt wie ein Deutscher’ sagte letzthin Jemand, (ob ich schon keine Nation kenne, die so viel trinkt, als die Engländer und Iren) und als es der Graf relevirte {offenbarte}, gerieth der Mann in seinen Entschuldigungen in einen solchen Wirrwarr, daß wir alle lachen mußten. Ich bemerke oft mit Erstaunen, wie schief selbst diejenigen, die in Deutschland gewesen sind, dieses Land ansehen, und wie wenig richtige Begriffe sie davon haben. Da England bisweilen die Österreichischen Truppen besoldet hat, so glauben viele, der Kaiser sey ein kleiner Prinz, der eine große Armee halte, die er aus seinen armen Staaten nicht bezahlen kann.

In einigen Tagen gehe ich wieder nach England, ob ich gleich gern noch länger hier bleiben möchte. Denn nie hab ich einen Ort gesehen, der so sehr nach meinem Geschmack wäre, als dieser Feensitz. Ich hab' Ihnen vorm Jahr eine Menge davon geschrieben, allein ich finde, daß, je länger und je näher ich diesen


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Ort kenne, je reizender wird er. Ich hab' nun eine Menge Landsitze gesehen, unter andern erst vor drey Tagen einen, der berühmt ist; aber nirgends hab ich die ausserordentliche Mannigfaltigkeit, die unbeschreibliche Nettigkeit, nirgends so viel Natur mit so weiser Kunst, nirgends so viel Dichterisches und Romantisches, nirgends so viel Größe, Erhabenheit und Einfalt gesehen. Die Clodagh oder Clodiah, oder wie die Iren sie nennen, die Clogher, macht einen Weg von beynahe drey Meilen durch das Gut, und dieser ganze Weg ist sorgfältig angelegt, und fast durchaus mit Bäumen aller Art umgeben, die doch nicht das Ansehen einer Allee haben. Die Ufer selbst wechseln ins Unendliche ab! Bald hab ich eine große, offene Wiese vor mir, bald drängt ein steiler Hügel den Fluß zusammen, bald erheben ich dicht an seinem Ufer steile, halbmoosigte, halb mit Bäumen verwachsene Felsen. An einem andern Orte erhebt sich am sanften Abhange ein dichter Wald, oder Kühe und Schaafe weiden an dem grünen, offenen und sanftaufsteigenden Hügel. Bald find' ich ein Plätzgen, wo Gestrippe eines mittäglichern Climas wild unter einander wachsen, bald stoß ich auf einen Baum, der sich durch sein vorzügliches Alter und seine majestätische Form von den übrigen auszeichnet. Bald schleicht der Fluß sanft im ebenen und tiefen Bette, bald wälzt er sich geräuschvoll über

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Felsen hinweg, deren Rücken er mit weissem Schaume zeichnet.

Unsere Morgenritte bringen uns gewöhnlich auf irgend eine Anhöhe, deren es um C*** herum eine Menge gibt, und von denen man manchmal eine dreyßig Meilen weite Aussicht hat. Von einem solchen Berge, drey Meilen vom Hause, sieht man über andre Berge hinweg, das Meer in der Gegend von Dungarvon {Dungarvan}, und zwey ungeheure Thäler, wovon das eine den bessern und angelegten Theil der Güter des Grafen enthält; in dem andern sieht man den Sure, der viele Meilen lang majestätisch dahin fließt, von Hügeln und Bergen umgeben, die mich ohne Unterlaß an die Gegenden am Rhein erinnern. — Auf diesem Berge errichtet jezt der Graf dem verstorbenen Lord P** ein Denkmal. Dieses Denkmal ist ein hundert Fuß hoher Turm, auf jeder Seite mit einer steinernen, sechs Fuß hohen Urne. Der Thurm selbst wird ganz im Stile jener alten Thürme gebaut, von denen ich Ihnen zu einer andern Zeit geschrieben habe.

Seit meines armen Freundes Schütz67 Tode, hab ich die Kunst sehr vernachläßigt und


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wenig gezeichnet, bis diesen Sommer, da die Schönheiten der Gegend hier herum mich anlockten. Ich habe dann verschiedene Gegenden aufgenommen; allein ich fühle, daß es mit der Kunst ist, wie mit andern Dingen, und daß man ohne beständige Übung rückwärts geht. — Irland ist das Land für den Landschaftszeichner. Das was man the face of the Country nennt, das heißt, die großen Formen und Massen, als Berge, Hügel und Felsen, der Lauf der Flüsse, kurz alles, worauf der Mangel des Anbaus keinen Einfluß hat, ist vielleicht nirgends so schön als in Irland und in der Schweiz: und hierzu kömmt noch in Irland die ungeheure Menge von Ruinen, als Kirchen, alten Thürmen, Capellen, Abteyen, Klöstern und zum Theil auch zerstörten Schlössern und Häusern, die alle mit dem schönsten Epheu reich bewachsen sind. Kurz der Irischen Landschaft fehlt nichts als ein Italienischer Himmel, der Wärme und Sanftheit gibt, und beides ist hier höchst selten. An Bäumen fehlt es freilich auch, allein um die Güter der

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Reichen herum gibt es Bäume aller Art genug für das Studium des Landschaftsmahlers.

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