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Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 14

den 20. Aug.

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Man hat oft die Frage aufgeworfen, warum die Irische Nation in manchen Dingen noch so weit zurück ist, da sie doch frühzeitig eine Menge Gelehrte hatte, und alle Jahrhunderte hindurch welche hatte? Und die Antwort, die man gewöhnlich gibt, ist; daß diese Gelehrten innerhalb der Klöster und Studierzimmer eingeschlossen waren, gewöhnlich Lateinisch schrieben, und auf die Nation im Ganzen keinen Einfluß hatten. Auch waren die mehresten dieser Schriftsteller mehr eigentliche Gelehrte, als schöne Geister, und eigentlich sind es doch diese letztern, die auf eine Nation im Ganzen wirken. Hierzu kommen die vielen bürgerlichen Kriege, und endlich die Unterdrückung, in der die Nation die letzten Jahrhunderte her unter England gelebt hat. Die harten Gesetze, unter denen die Katholiken seufzten, machten, daß zwey Drittheile der Nation


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in Armuth und Barbarey versanken. Und den Protestanten selbst fehlte es, und fehlt noch jezt an guten Schulen, und an einer besser eingerichteten Universität, als die Dubliner ist. Der guten Schulen gibt es in Irland nur wenige, und Erziehung überhaupt ist so theuer, daß diejenigen, die sich den Wissenschaften widmen, schon ein gewisses Vermögen durch sich selbst haben müssen, und eben dieses Vermögen hindert sie oft, es in den Wissenschaften sehr weit zu bringen.

Dem allen ohngeachtet hat Irland, selbst bis auf unsere Zeiten, so viel Gelehrte hervor gebracht, als irgend ein anderes Land, in Proportion sogar mehr, wenn Sie die große Anzahl Katholiken wegnehmen, die durch ihre civile Situation größtentheils in Barbarey versanken. Von der Menge der Irischen Schriftsteller kann Sie Twiß62 und Watkinson63 leicht überzeugen, und ich könnte noch verschiedene nennen, deren Namen sich nicht in beiden Werken befinden.


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Weit weniger ist eine andere Frage aufgeworfen worden, die doch einem Jeden, der Irland bereißt, einfallen muß: Warum sind die Iren so sehr in den Künsten zurücke? Wenn diese Nation so alt ist; wenn sie schon vor Jahrtausenden mit Ausländern Handlung trieb; wenn ihre Häfen schon vor Tacitus' Zeiten besser bekannt waren, als die Englischen — wie kommt es, daß man so wenig Spuren der feinern Künste unter ihnen findet? Alle Irische Alterthümer, die ich gesehen habe, als Waffen, Vasen, Hausgeräthe etc. sind von sehr plumper Arbeit. Statuen findet man gar keine, einige kleine Figuren ausgenommen, die sich ebenfalls sehr wenig durch die Arbeit empfehlen.

Ich gestehe, lieber Freund, daß ich diese Insel und ihre Alterthümer nicht genug kenne, um diese Frage zu beantworten. Doch will ich Ihnen darüber sagen, was ich denke. Zuerst beantworte ich die Frage mit einer andern: ‘von wem sollen die Iren die feinern Künste gelernt haben?’ So viel ich weiß, waren weder die Phönizier, noch die Carthaginenser, je von dieser Seite sehr berühmt. Doch dies wissen Sie, der Sie ein Gelehrter sind, besser als ich, und Sie können mich vielleicht hierinnen zurecht setzen. Gesetzt aber auch, daß diese Nationen größere Künstler hatten, als ich denke, daß sie hatten: folgt daraus, daß sich das auch auf ihre Colonien


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erstrecken mußte? Gewöhnlich bringen erste Colonien wenig mehr von ihrem Mutterlande mit, als was zu den Nothwendigkeiten des Lebens gehört; und wenn wir in Frankreich, in der Schweiz, etc. etc. Reste Römischer Kunst finden, so ist die Ursache, daß beständig Römische Familien in diesen Ländern sich niederließen, und, nicht sowohl sie bevölkerten, als mit den alten Einwohnern sich vermischten, sich ankauften, und unter ihnen sich niederließen. Es sind aber zwey ganz verschiedene Dinge, wenn eine Nation eine erste Colonie in ein Land schickt, oder wenn sich Individuen einer Nation successive bey einer andern niederlaßen. Im letztern Falle finden sich oft Leute von Stande, von Vermögen, von Erziehung. Auf diese Art ließen sich eine Menge Engländer in Amerika nieder; und dann wird das Tochterland gewissermaßen zum Mutterlande. Im erstern Falle hingegen bestehen die Colonisten gewöhnlich aus dem schlechtern Theile der Nation, und nicht selten aus dem schlechtesten.

Indessen meynt Watkinson, daß die Iren die Phönizische Baukunst mit sich gebracht hätten, und daß die bekannten runden Thürme, die viele für Dänische gehalten haben (vermuthlich mit Unrecht, weil diese Thürme, aller Wahrscheinlichkeit nach schon früher existirten, und weil in Dännemark keine existiren) Phönizischen


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Stiles seyen. Darauf will ich mich aber nicht einlassen, weil ich finde, daß noch Niemand etwas Zuverläßiges über diese Thürme hat sagen können. Äusserst alt müssen sie seyn, dann das Land ist voll davon, und war es sonst noch mehr, sie sind ohngefähr alle im nämlichen Stile gebaut, und Niemand sagt, zu was sie dienten.

Nach dem Untergange von Carthago nahm der Handel von Europa eine andere Richtung, und Irland wurde vielleicht alsdenn etwas vernachläßigt. Gesetzt aber auch, daß die südlichen Nationen diese Insel, wegen einiger ihrer Produkte beschiften, so folgt daraus nicht, daß sie ihr auch ihre Künste mitgetheilt haben. Überhaupt lehrt die Erfahrung, daß der Handel zwar die Künste hervorbringt, sobald eine Nation durch den Handel reich wird; keinesweges aber die Künste in denjenigen Ländern befördert, in welche die handelnde Nation blos geht, um Produkte zu hohlen. Nun finden wir aber keine Spur, daß Irland selbst jemals ein seefahrendes Land gewesen, oder durch eigenen Handel reich geworden sey. — Als hernach die Dänen einen Theil der irischen Küsten inne hatten, war Irland in einem solchen Zustande, daß es gewiß nicht an Künste dachte. Endlich kam dieses Land unter Englische Oberherrschaft und unter Englischen Druck, und Rebellionen, bürgerliche


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Kriege, Armuth und Elend waren zum Theil die Folgen davon.

Sehe ich endlich in die neuesten Zeiten der Irischen Geschichte, so finde ich einen Theil dieses Volks in Armuth und Barbarey; den andern reich, civilisirt, und nach ausländischem, allgemeinem Schnitte geformt. Die Großen bereisen, so wie die Engländer, das feste Land von Europa, und bringen Kunstwerke und Gemählde aller Schulen herüber, ohne dadurch die Kunst im Lande gemein zu machen, oder das Genie zu erwecken64


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Ich komme nunmehro auf einen andern Artikel, zu welchem meine letzten Worte mich sehr natürlich leiten. Die Gährung, die jezt in Irland herrscht, kann der Nation, gegenwärtig, nicht anders als nachtheilig seyn. Wenn die Gesetze in einem Lande nicht thätig ausgeübt, wenn die Polizey vernachläßigt, wenn die Partheien mächtig und gewaltsam werden — so müssen nothwendig viele Individuen leiden, viele ihre Geschäfte vernachläßigen, und die sittlichen Grundsätze des Volks zu Grunde gerichtet werden, wenn nicht gar häufiges Blutvergiessen daraus folgt. Wenn ein Volk in diesen Fall kommt, so ist es traurig für diejenigen, die in dieser Periode leben. Aber am Ende kommt jede Convulsion zu einer Crisis, und diese hat gewöhnlich gute Folgen für die künftige Generation.

Die Volunteers haben eine ausserordentliche Wirkung auf das Ganze der Nation gehabt, und die Sitten derselben, in vielen Betrachtungen, geändert. Die Großen mischten sich, als Volunteers, mit den mittlern Classen, und Leute von sehr verschiedenem Range kamen häufig zusammen auf den Fuß einer gewissen Gleichheit. Der Landedelmann aß und trank mit den Lords, und denen, die nur den Sommer auf dem Lande zubringen, und gewöhnte sich an eine gewisse Eleganz, die ihm vorher fremd war. Der Städter


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und der Mann von Kenntnissen theilte sich mit, und erweiterte den Ideenkreis desjenigen, der vorher mehr in der Einsamkeit lebte, oder sich blos an der Tafel und mit der Fuchsjagd belustigte. Der Einfluß erstreckte sich bis auf die niedern Classen, und durch allgemeine Mittheilung und Mischung hörte und lernte Mancher Dinge, an die er vorher nie gedacht hatte.

Die Volunteers nahmen bald eine Richtung, welche der Krone Englands und der Regierung des Landes, d. h. dem Irischen Parlemente, nachtheilig ward. Die berühmte Versammlung zu Dungannon brachte den Wunsch einer parlementarischen Reform ins Reine, und die Abgeordneten, die aus verschiedenen Grafschaften da zusammen gekommen waren, hatten Gelegenheit gehabt, sich einander mitzutheilen, und Funken, die in den Individuen zeither verborgen lagen, heraus zu schlagen. Die Abgeordneten kamen in ihre respektiven Gegenden zurück, und hatten auf das ganze umher Einfluß. Selbst der gemeine Bürger und kleine Landbesitzer fing an über Dinge zu denken, um die er sich vorher nicht bekümmert hatte. Aus der großen Versammlung entstunden bald kleinere. Jedermann fing an, an seine civile und politische Lage, an seine Rechte als Bürger, an seine Vortheile und an die Verbesserung seiner Umstände zu denken.


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Man sprach, man schrieb, man raisonirte, man untersuchte, man forschte weiter, man rieb an einander und eins brachte das andere hervor. Der Mensch ist von Natur träge, allein sobald er von etwas heftig getrieben wird, sobald andere ihn beständig in Bewegung erhalten, stossen, zerren und reiben, so bringt er Dinge aus sich, von denen er vorher selbst nicht wußte, daß sie in ihm lagen.

Man hat bemerkt, daß es zu Genf, während der letztern Unruhen, eine weit größere Anzahl von Leuten gab, welche schrieben, als je vorher, und daß viele, die nie vorher geschrieben hatten, und vielleicht nie geschrieben haben würden, sehr gut schrieben. Eben so ergreift jezt in Irland Mancher die Feder, der vielleicht nie geschrieben haben würde; und Mancher ließt, dem es vorher nie einfiel zu lesen. Die beständige Regheit, in der die Irische Nation jezt ist, bringt eine Menge gelegentliche Reden, Briefe und Sendschreiben hervor, die in die Zeitungen eingerückt werden, und wovon manche vortreflich abgefaßt sind. — Es thut mir leid, daß ich das Blat nicht mehr habe, in welchem eine meisterhaft abgefaßte Rede stund, die der Graf von Charlemont diesen Sommer an ein Volunteer-Corps hielt, das er zu Belfast musterte!65 Dieser Lord ist der General en Chef der Volunteers


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und ging ohngefähr Hand in Hand mit dem Bischoffe von Derry. Er ist ein großer Vertreter der parlementarischen Reform gewesen, und scheint es noch zu seyn; allein da er sieht, daß ein Theil der Volunteers immer weiter geht, und auch den Katholiken das Wahlrecht verschaffen möchte, fängt er an zurück zu treten. Er erklärte zu Belfast seine Meinung darüber, auf eine männliche, starke Art, voll Beredsamkeit und Verstand.