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Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 12

den 14. Aug.

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Heute, lieber Freund, will ich den Anfang machen Ihnen über einen Artikel zu schreiben, über den ich allerley gesammelt habe, und in dem Sie zum Theil auch die Unterredung finden sollen, die ich mit dem Obersten Vallancey auf dem Schiffe hatte.

Aus einem kleinen Aufsatze, den ich Ihnen vor etwa einem Jahre von Spencers Leben schickte, werden Sie sich besinnen, daß er unter der Königin Elisabeth als Regierungs-Sekretär nach Irland geschickt wurde. Bey seiner Rückkunft war man so wohl mit ihm zufrieden, daß ihm die Königin Elisabeth 3000 Iucherte43 Landes in der Gegend bey York schenkte. Es schien, daß es ihm hier wohl gefiel, er studierte Irische Geschichte und Alterthümer, und fing ein Werk darüber zu schreiben an. Es ist nie erschienen, aber seine Meinung über die Alterthümer dieses Landes überhaupt wissen wir.

‘Alle Gewohnheiten und Gebräuche der Iren,’ sagt er, ‘die ich bemerkt und mit dem verglichen habe, was ich darüber gelesen, könnten Stoff zu einer weitläufigen Abhandlung über den Ursprung und über das Alter dieses Volks liefern. Ich halte es in der That für älter, denn fast alle Völker unserer Zeiten, von


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denen ich etwas weiß. Wenn sich Leute von Belesenheit und gesunder Urtheilskraft darüber machten, so würde das ein überaus angenehmes und nützliches Werk geben.’

Es muß doch einiger Grund für das hohe Alterthum da seyn, von dem die Iren so viel zu erzählen wissen. Schon Tacitus sagte, ‘daß die Häfen und Seeplätze von Irland den Kaufleuten weit besser bekannt seyen, als die Brittischen.’ — Orpheus sagt ausdrücklich, daß die Argonauten bis nahe an die Insel Ierne schifften, ein Zeugniß, das älter ist, als irgend eines, das Rom ausstellen könnte. — Diodor von Sicilien spricht von einem Lande Iris, welches sowohl der Beschreibung, als dem Namen nach, sehr gut auf Irland paßt. Hibernia ist vergleichungsweise ein moderner Name. Irland ist das Scotia der Alten, eine Benennung, die zu mancherley Irrthümern Veranlassung gegeben hat, und wovon ich ein andermal reden werde.

Als der Gesandte Heinrichs V. auf der Kirchenversammlung zu Costnitz44 den Vorsitz verlangte, gründete er seine Ansprüche darauf, daß sein König Herr von Irland sey. — Dies konnte sich nun freilich wohl auf eine falsche Tradition, auf einen Irrthum gründen, aber es war doch gewiß schon damals ein sehr alter Irrthum, und


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es scheint, daß die Meinung von Irlands hohem Alterthume seit undenklichen Jahren existirt.

Irland hatte in einer Zeit, wo das westliche und nördliche Europa noch in der tiefsten Barbarey stack, im sechsten und siebenten Jahrhunderte, Gelehrte, berühmte Heilige und Männer von Namen. Die Gelehrten, die zu Zeiten Karls des Großen lebten, waren fast alle Iren. Die ersten Professoren der Pariser Universität waren Iren. Der Angelsächsische König Oswald ließ Gelehrte aus Irland kommen, um sein Volk in der christlichen Religion zu unterrichten. Alfred der Große ließ Irische Professoren kommen, als er sein Collegium zu Oxford stiftete, u.s.w. Ich könnte leicht mehrere Beyspiele anführen; aber diese zeigen deutlich, daß Irland sehr alt ist, und daß es unter den drey Reichen das älteste sey, werd ich noch besonders zeigen.

Zu dem allen kommt noch die alte Sage, die in Irland von Jahrhundert zu Jahrhundert fortgesetzt worden Ist, daß sie nämlich von einem alten Celtischen Volk, von den Phöniciern und Carthaginiensern, und andern abstammen, eine Sage, die doch etwas für sich haben, und sich auf Thatsachen gründen muß, worzu nun Vallancey mit einem Umstande kommt, der äusserst auffallend und sonderbar ist.


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Er behauptet, daß er die punischen Stellen verstehe, die wir in einigen Lustspielen des Plautus finden45, und die zeither niemand erklären konnte, weil sie wenig oder keine Ähnlichkeit mit dem Lateinischen haben. Vallancey sagt, er verstehe sie vollkommen, durch seine Kenntniß der Irischen Sprache. Wenn das so ist, so ist alles klar, ob es mir schon beynahe unglaublich vorkommt. Vallancey spricht von diesem allen mit der Überzeugung eines Mannes, der seiner Sache gewiß ist, und dem kein Zweifel übrig bleibt, über das, was er behauptet.

Ich machte ihm eine Einwendung, die einem jeden sogleich beyfallen wird: ‘Wie ist es möglich, daß die Irische Sprache — vorausgesetzt, daß sie die nämliche sey, welche die Carthaginenser redeten — sich 2000 Jahre lang, und länger so erhalten haben solle, und so sehr noch die nämliche sey, daß ein Mann, der jezt Irisch lernt, Stellen verstehen könne, die vor 2000 Jahren geschrieben worden? Ein Deutscher versteht mit Mühe, was vor Luthers Zeiten geschrieben wurde, und Reinecke Fuchs und andere Werke dieser Zeit sind ihm ganz unverständlich, wenn er sie nicht besonders studiert.’ — Vallancey hätte mir freilich auf diesen Einwurf ganz kurz so antworten können: ‘Das geht mich nichts an, und ich bekümmere mich nicht um das Wie und


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auf was Art. Was ich sage, ist ein Faktum, und alles Raisonniren und Argumentiren gegen Fakta ist lächerlich!’ — Allein er gab mir Gründe an, unter denen einige in der That so sind, daß sich schwerlich etwas dargegen sagen läßt.

Die Sprachen gesitteter Nationen ändern sich freilich ohne Unterlaß, der Engländer braucht schon ein Glossarium, um seinen Spencer zu verstehen, und den Chaucer kann niemand mehr lesen, als Leute, die von der Sprachkunde Profession machen. Sobald es ästhetische Schriftsteller in einer Sprache gibt, so wird raffinirt; man bildet aus und ändert, und nach etlichen Jahrhunderten entsteht so zu sagen eine andere Sprache. Ganz anders aber ist es mit Sprachen, in denen wenig oder gar nicht geschrieben wird, diese bleiben im Munde des Pöbels, pflanzen sich unverfälscht und unverändert Jahrhunderte lang fort, und der Enkel drückt sich in seinem engen Ideenkreise gerade so aus, wie sein Großvater . Ohne hier mich über die Ursachen einzulassen, warum die Sprachen uncivilisirter Völker unverändert bleiben und bleiben müssen, will ich mich blos auf die allgemeine Erfahrung berufen. Auffallende Beyspiele hiervon hat man oft, unter andern, in Amerika gehabt, wo Europäer Wilde zu Führern nahmen, mit denen sie viele hundert deutsche Meilen weit reisten,


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und die überall mit ihrer Sprache fortkamen. Wer weiß nicht, wie viele Ähnlichkeit alle Sprachen, die von der Slavonischen abstammen, noch heut zu Tage mit der Muttersprache haben, obschon die Böhmen, Polaken, Wenden etc. etc. durch eine Menge Veränderungen gegangen sind, und sich weit mehr mit andern Nationen vermischt haben, als die Iren. — Was die Sprache eines Volkes am meisten ändert, ist, wenn ein anderes Volk sich bey ihm niederläßt, wie die Römer in Frankreich und Spanien, die Sachsen und Normäner in England, die Nordischen Barbaren in Italien etc. etc. Lassen Sie uns nun sehen, ob Irland jemals in diesem Falle gewesen ist?

Daß die Römer sich niemals in Irland niedergelassen haben, braucht keiner weitern Erinnerung; die Sache ist ausser allem Zweifel. Auch findet man in der alten Irischen Geschichte nicht die geringste Spur, daß sich irgend eine fremde Nation in diesem Lande niedergelassen habe, bis auf den Einfall der Dänen. Die Dänen aber sind nie einheimisch in Irland geworden, und haben sich nie mit den alten Einwohnern gemischt. Sie lebten längst der Küste, legten da Plätze an und hatten ihre Läger; sie besassen aber keine inländische Stadt, sondern wurden, im Gegentheil, von den Iren verabscheut, mit denen sie in beständigem Kriege lebten, und von denen sie


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sich nie vollkommen Meister machen konnten. Auch ist bekannt, daß diese Dänen zuletzt theils aufgerieben, theils wieder aus dem Lande vertrieben wurden.

Und so finden wir denn die Iren unverändert und unvermischt bis auf den Einfall der Engländer unter Heinrich II. Von dieser Zeit an ging in der Sprache der Iren eine große Veränderung vor, nicht aber in der Irischen Sprache. Bemerken Sie wohl diesen Umstand, denn ich glaube, er ist einzig in seiner Art. Die Englische Sprache wurde in Irland eingeführt, ohne sich im geringsten mit der Irischen zu mischen. Man lernte Englisch, ohngefähr wie der Deutsche Französisch lernt, und die Irische Sprache wurde darum, daß sehr viele sie lernten, eben so wenig Englisch, als die Deutsche, darum daß alle Leute von Erziehung Französisch verstehen, Französisch geworden ist. Ja die deutsche Sprache ist weit mehr fanzösirt, als die irische anglisirt worden, denn, so wie ein Theil der Iren die Englische Sprache annahmen, so gaben sie ihre Landessprache nach und nach ganz auf. Hierzu kommt noch, daß eine große Menge der heutigen Irischen Familien ursprünglich Englische sind. Viele alte Iren lebten viel in England, und manche wurden dort erzogen. Auch der Umstand, daß es in der Irischen Sprache


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fast keine Bücher gibt, trug nicht wenig bey, die Landessprache unter der gesittetern Classe von Menschen nach und nach zu verdrängen. Sollten Sie wohl glauben, lieber Freund, daß es unter allen den Personen, die ich in Irland kenne, nicht vier gibt, die in eine zusammenhängende Unterredung in der Irischen Sprache sich einlassen könnten? Und selbst diese wenigen haben blos eine nebelhafte Kenntnis dieser Sprache. Gleichwohl ist sie noch heut zu Tage die eigentliche, wahre und gemeine Sprache von mehr als drey Viertheilen der Nation, ja viele gemeine Leute verstehen keine andere. Es begegnet mir öfters, daß ich Landleute anrede, und eine Antwort bekomme, die ohngefähr so klingt non stai Steeckson oder so etwas. Und was meynen Sie wohl, daß diese Worte bedeuten? Nichts anderes als ‘ich verstehe nicht Sächsisch.’ Selbst diese Worte zeigen, in welcher Reinigkeit sich diese Sprache erhalten hat, denn England heißt in der Irischen Sprache noch heut zu Tage Sachsen, und Englisch Sächsisch.46 — Ich schrieb Ihnen einmal, daß ich einige Italienische Worte in der Irischen Sprache aufgefangen habe, z. E. come statte, welche das nämliche bedeuten, als come stato 47, allein dieses scheint blos von ohngefähr zu seyn, denn Irland hatte nie etwas mit den Italienern zu thun.


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Wenn ich zeige, daß die Irische Sprache keine Veränderung erlitten hat, so zeige ich zugleich auch, daß sie sich in ihrer barbarischen Ursprünglichkeit erhalten. Dadurch ist aber keinesweges gesagt, daß die Nation selbst in einer gewissen Barbarey geblieben sey. Im Gegentheil finde ich, durch Untersuchung, daß dieses Volk eine sehr große Menge Gelehrte aufzuweisen hat, und daß eine Menge bekannter Namen vergangener Jahrhunderte, denen man gewöhnlich ein anderes Vaterland zuschreibt, ächte Iren waren. Die Sache ist ausser Zweifel und Sie sollen ein andermal mehr darüber haben. — Irland hatte also, selbst in den Zeiten der allgemeinen Dunkelheit, im medio aevo, seine Gelehrten. Allein diese schrieben Lateinisch, und manche, in der Folge Englisch, und auf die Landessprache hatten sie nicht den geringsten Einfluß. Manche haben freilich auch in der Irischen Sprache geschrieben, und Vallancey sagt, daß er Manuscripte aus den entferntesten Zeitaltern gelesen habe; allein so lange Vallancey nicht einige übersetzt und überhaupt mehr Licht darüber gibt, so lange getraue ich mir nicht das Geringste über diesen Punkt zu sagen. —

Ich fragte: Wenn so viele glaubwürdige Nachrichten über Irlands Alterthümer existiren, warum ist die ältere Geschichte dieser Nation so


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sehr in Dunkel gehüllt, so sehr, daß Manche alles für fabelhaft, wenigstens für ganz unzuverläßig halten, was wir von Irland vor Heinrich II. wissen? Und warum tappen die Irischen Geschichtschreiber so sehr im Dunkel, hauptsächlich aber Leland,48 der die ausführliche Geschichte dieses Landes geliefert hat? Vallancey's Antwort war, daß Leland diese Manuscripte nicht verstünde, und daß Niemand sie je benutzt habe. Auf das konnte ich freilich nichts antworten, ich erzählte es aber dem Grafen T**, und dieser sagte mir, daß er wisse, daß man dem Leland Manuscripte zugesandt habe, an denen er viele Monate lang zu lesen gehabt haben würde, daß er sie aber nach drey Stunden zurück geschickt habe.

Alles dies reizt die Neugierde, und ist gewiß sehr interessant, und, ich darf sagen, für die Mehresten ganz neu. Machen Sie daraus, was Sie wollen. Wenn Sie mich aber fragen, was ich selbst davon halte, so antworte ich: Ich weiß selbst noch nicht. Manches ist mir in der That einleuchtend genug, und verschiedene Gründe, die ich Ihnen hier vorgelegt habe, hab' ich nicht von Vallancey, sondern sie sind meine eigenen.


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