Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 11

den 13. Aug.

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Noch nie hab' ich Ihnen, lieber Freund, von einer Bekanntschaft geschrieben, die ich auf dem Schiffe gemacht habe, als ich letzthin herüber kam. Unter verschiedenen Leuten, unter denen einige Aktricen, und Brereton, ein guter Londner Schauspieler waren, befand sich ein starker, männlicher, wohlaussehender Mann, mit dem ich bald in Gespräch kam. Er sprach wie ein Gelehrter, ob ich ihn schon eher für einen Officier halten mochte. Wir sprachen von Ossian, Macpherson, Johnson, Court de Gebelin etc. etc. und er schien mit allen eine genaue Bekanntschaft zu haben. Er verstund Irisch, und dies brachte uns in eine lange Unterredung über die Alterthümer dieses Landes. Er sagte mir eine Menge wunderbarer Dinge, machte Anspruch auf große Kenntnisse der alten Sprachen, und die Alterthümer aller Länder, haute verschiedene Gelehrte von großem Namen nieder, schien


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mit der gelehrten halben Welt in Briefwechsel zu seyn, kurz, sprach so viel in dem Tone, daß ich ihn endlich für einen gelehrten Prahler hielt, und eine Unterredung aufgab, die er fortzusetzen willig zu seyn schien. Wie sehr bedauerte ich nachher meinen Irrthum, als ich hörte, daß es der Oberste Vallancey war. Er sagte mir seinen Namen, allein ich verstund ihn nicht, und wollte nicht wieder fragen, weil ich glaubte, es sey ein unbekannter Name. Ich erfuhr erst nach der Landung, in wessen Gesellschaft ich gewesen war, und welche Gelegenheit ich verloren hatte, genauern Unterricht über eine Menge Hiberniana zu empfangen, einen Unterricht, den vielleicht kein jeztlebender Mann besser geben kann, als Vallancey. Allein dies erinnerte mich auch zu gleicher Zeit an das, was Lord Chesterfield sagt: ‘daß selbst wahre Gelehrsamkeit, wenn sie zu sehr hervorbricht, für Prahlerey genommen werden kann.’ — Ich will Ihnen nun einiges von diesem Mann erzählen, das Sie vielleicht nicht wissen.

Herr Vallancey40, der, wie ein Schriftsteller sagt, allein eine Reise nach Irland verdient, ist ein Engländer, und ward auf der Schule Eton (die beste Englische Schule für Classische Gelehrsamkeit) erzogen. Er erlangte frühzeitig eine genaue Kenntnis der Alten, und alles dessen, was man Schulgelehrsamkeit nennt. In


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einem Alter, in welchem man gewöhnlich Worte und Materialien zu den Wissenschaften sammelt. legte er sich auf die irische Sprache, mit solchem Fleiße, daß er bald seine Lehrer weit hinter sich zurück ließ. Er setzte dieses Studium in der Folge bey der Armee und bey seinen übrigen Geschäften fort, und wußte unter allen Zerstreuungen eines militärischen Lebens (er ist jezt Oberster Ingenier von Irland41) Zeit für die Wissenschaften zu sparen, und er hat jezt den Ruf, nicht nur einer der besten Classischen Gelehrten und Antiquarien, sondern auch der größte Irische Sprachgelehrte zu seyn, welches um so viel auffallender ist, da wenig Iren vom Stande oder Erziehung ihre Sprache verstehen, und auch diese wenigen nur unvollkommen. Denn wenn sie da jemand versteht, so hat er sie von gemeinen Leuten gelernt, so daß er diese verstehen und sich selbst gut und schlecht verständlich machen kann. Vallancey aber trieb diese Sprache kritisch, und studierte alle Irische Manuscripte, die vielleicht ausser ihm kein jeztlebender Mensch gelesen hat. Daher kömmt es denn auch, daß er über die alte Geschichte von Irland, Irische Sprache, Alterthümer und Gelehrsamkeit ganz andere Meinungen hat, als die gewöhnlichen. Er war einst

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Sekretär der Dubliner Gesellschaft. Diese ließ einmal, um Bericht über gewisse Sachen zu erhalten, einen Mann kommen, der diesen Bericht am besten geben konnte. Der Mann verstund kein Irisch, und da fand sich, daß in der ganzen Gesellschaft kein einziger Ire war, der Irisch verstund, als der Engländer Vallancey.

Er hat mancherley über Irland geschrieben; sein wichtigstes Werk aber ist eine Irische Grammatik, die einzige, die den Namen einer Grammatik verdient. Die eine Hälfte derselben besteht aus Abhandlungen über die Celtische Sprache, über die ältesten Völker, die sie redeten, etc. etc. Auf ihn mag die Irische Nation mit ein wenig Abänderung das anwenden, was Cicero von sich sagt, als er Archimedes' Grab fand. ‘So würde diese ansehnliche und einst gelehrte Stadt Griechenlands (Syracus) das Grab ihres Mitbürgers nicht gewußt haben, wenn sie es nicht von einem Fremden erfahren hätte.42


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