Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 10

den 10. Aug.

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Was den gemeinen Iren noch lange in Unwissenheit und in einer Art von Barbarey erhalten wird, ist der gänzliche Mangel an Unterricht, ein Mangel, dem man vielleicht in einem Jahrhunderte nicht ganz wird abhelfen können, weil


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er aus mehrern Ursachen entsteht, deren jede, besonders genommen, sich nur langsam und mit Mühe heben läßt.

Es ist zu allen Zeiten ein Grundsatz der Staatsklugheit gewesen, daß man, um ein Land ganz zu unterwerfen, ihm seine Sitten und Gebräuche, Religion und Sprache nehmen müsse. Je mehr sich in diesen Artikeln Unterschied unter den Menschen befindet, desto mehr betrachten sie einander als Fremde, und desto größer ist die Entfernung, in der sie gegeneinander bleiben. Der Unterschied in diesen Dingen wirkt besonders stark auf das gemeine Volk, welches, wenn man sie ihnen nimmt, gewöhnlich einen Theil seines National-Charakters verliert. Selbst die Kleidung gehört hierher, und die Englische Regierung nahm den Schottischen Hochländern, nach dem Aufruhre im Jahr 1745, nicht ohne Ursache ihre National-Tracht. In Irland befolgte man bis auf einen gewissen Grad die nämlichen Grundsätze. Heinrich II. gab diesem Lande seine Sprache und seine Religion. (Es ist bekannt, daß die christliche Religion in Irland nie ganz allgemein ward, als nach der Eroberung.) Man führte also die Englische Sprache in Irland ein; allein ich werde an einem andern Orte zeigen, daß durch diese Einführung keinesweges eine Vermischung der beyden Sprachen entstand,


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wie z. E. In Gallien, Hispanien, etc. etc., wo die lateinische Sprache sich mit der alten vermischte, und auf diese Art endlich eine dritte entstand, die nun die Sprache der Nation wurde. Die Englische Sprache machte in Irland ihren eigenen Weg, ohne daß die Irische dadurch vertilgt wurde. Dadurch ist es nun geschehen, daß der größere Theil der Nation gar keine Sprache hat. Die Regierung vernachläßigt das Irische, und das Englische wird vom gemeinen Volke entweder gar nicht, oder unvollkommen erlernt.

In welcher Sprache soll nun unterrichtet werden? In der Englischen! sagt die Regierung: und in der That wird der protestantische Gottesdienst durchaus in dieser Sprache gehalten. Allein es ist eine bekannte Sache, daß unter dem gemeinen Landvolke wenige Englisch lesen können, folglich weder Bibel noch Gebetbücher haben. Ja ich bin überzeugt, daß viele nicht so viel Englisch wissen, als nöthig ist, eine Predigt zu verstehen. — Ihre Kinder regelmäßig in eine Schule zu schicken und da unterrichten zu lassen — darzu sind die Mehresten zu arm, zu nachläßig, zu träge — oder es fehlt auch wohl an Anstalten. — Sie müssen also in der Irischen Sprache lesen: und hier findet sich eine noch größere Schwierigkeit! Robert Boyle ließ auf eigene Kosten die Irische Bibel des Bischofs


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Bedell drucken, und seine Absicht war gewiß vortreflich, ob sie schon ganz fehl schlug. Sie ist in Irischen Buchstaben gedruckt, welche der gemeine Mann schon längst nicht mehr kennt, und überdies ist sie jezt so theuer und so selten, daß man sie nur in den Büchersammlungen der Neugierigen findet.

Man hat eine Irische Bibel in Romanischen Buchstaben, allein sie ist in Irland kaum bekannt. Sie wurde für die Schottischen Hochländer gedruckt, unter die man sie, mit den glücklichsten Wirkungen, vertheilt hat.

Man hat, wie ich höre, verschiedene Irische Erbauungs-Bücher, die in Romanischen Buchstaben gedruckt, und folglich einem jeden lesebar sind; allein viele mag es ihrer wohl nicht geben, wenigstens werden sie nicht häufig gebraucht. Ich gab verschiedenen Personen den Auftrag, mir welche unter dem Landvolke aufzusuchen; allein diese sind hier herum, wo ich wohne, mehrentheils Katholiken, und so war es keine leichte Sache, solche Bücher zu finden.

Was den Unterricht der niedrigsten Stände unter den Katholiken betrifft, kann ich unmöglich mit Bestimmtheit erfahren. Die Regierung bekümmert sich wenig darum, und es scheint mir, daß ein jeder so ziemlich thut was er für


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gut findet. Ich glaube, sehr wenige Kinder besuchen regelmäßig eine Schule, und was sie da lernen, läßt sich leicht denken. Die Katholische Religion erlaubt keine Bibel, wenn die Leute auch eine hätten, ihr Gottesdienst ist größtentheils lateinisch; die Geistlichen haben keinen Ort im Lande, wo sie studieren können; mit den Schulmeistern ist es noch schlechter bestellt, und die Landleute sind schmälich arm. — Hin und wieder mag eine Ausnahme seyn, wo etwan reiche katholische Familien einigen Einfluß auf die Gegend haben, in der sie leben, die Lage ihrer katholischen Mitbrüder zu Herzen nehmen, und durch Privat-Sorgfalt, Stiftungen etc. etc. mehr oder weniger umher wirken.

Auch muß ich noch anmerken, daß vieles von dem, was ich hier überhaupt gesagt, hauptsächlich von Süd-Irland gemeint ist. Im Norden, wo es nicht nur ungleich mehr Protestanten, sondern auch im Ganzen nicht so entsetzliche Armuth gibt, ist es in vielen Dingen besser; indessen sind auch da noch genug Ursachen, die noch lange eine Hindernis der Aufklärung des gemeinen Volks seyn werden.

Ich habe schon sonst gesagt, daß die Irischen Frauenzimmer der bessern Stände eben so artig, so schön, so weiblich delikat sind, als


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man sie irgendwo sehen kann. Vielleicht haben sie mehr Naivetät; mehr Leichtigkeit im geselligen Betragen, und mehr Lebhaftigkeit als die Engländerinnen. Man sagt, die Weiber seyen sehr getreu und gute Hausmütter. Im Ganzen erhalten sie mehrentheils eine gute Erziehung, und erlernen mehr oder weniger, jene Talente und Künste, die einer Person Eleganz geben, ihre gesellschaftliche Fähigkeiten erhöhen, und ihren Umgang reicher, unterhaltender und angenehmer machen. Sie kleiden sich wie die Engländerinnen, deren Moden sie folgen, ohne sich jedoch so sklavisch an sie zu binden, daß sie nicht bisweilen ihren eigenen Weg gehen sollten. Übrigens lieben sie die Moden und das Ausländische immer so sehr, als ich es irgendwo bemerkt habe.

Die Männer sind starke, ansehnliche, wohlgebildete Körper; ich verstehe abermals blos die bessern Stände. Sie sind mehrentheils gesund, und scheinen geselliger zu seyn, als die Engländer. Muth ist ein Eigenthum der Iren, und auch auf dem festen Lande rechnet man sie unter die besten Europäischen Soldaten. Es ist bekannt, wie sehr Kaiser Franz seinem Sohne die Iren in der Armee empfahl. Der Ruf, den sie beim weiblichen Geschlechte haben, ist bekannt. In der That hab ich noch in keinem Lande so fruchtbare Ehen gesehen, als hier. Das Verhältnis ist


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auffallend, ich mag sie auch mit einem Lande vergleichen, mit welchem ich will. Man bemerkt hier nicht, was auf dem festen Lande fast überall der Fall ist, daß die vornehmern Stände weniger Kinder haben, als die mittlern und geringern. Im Gegentheile, findet man die zahlreichsten Familien eher unter jenen, als unter diesen.

Das gemeine Volk ist weder so lang, noch so wohlgewachsen, noch von so schöner Farbe, als das Englische. Der Unterschied zwischen ihnen und den Iren der bessern Stände, ist so groß, daß man sie für ein anderes Volk halten möchte. Ihre Farbe ist gar nicht die, die man in einem so gemäßigten Himmelsstriche, wie der Irische ist, erwarten würde. Sie haben mehr das Braune der mittäglichen Völker, ohne ihre Frische, ihre Lebhaftigkeit und ihr Feuer zu haben. Ihr Braun fällt eher ins Gelbe, oder in eine Schattirung, die noch schlimmer ist. Es ist nicht das von der Sonne Verbrannte, denn über diese hat man sich hier nicht zu beschweren; sondern vielmehr etwas Verwildertes, etwas, das durch Regen, Wetter und Sturm veraltert ist. Die Ursachen von allem dem mögen wohl mancherley seyn. Die vornehmsten sind ohnstreitig ihre elende Kost, ihre armseligen, ungesunden Hütten, die Feuchtigkeit in der sie beständig sind, und der Rauch und Dampf, von dem sie in ihren Wohnungen


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geräuchert werden. Das äusserste Elend, in dem sie leben, der Druck der Armut, und der gänzliche Mangel aller Kenntnisse, würdigt ihre Seele herab, macht ihren Geist träge, und prägt in ihr Gesicht die Ausdrücke von Trägheit, Erschlaffung, Erniedrigung und thierischer Sinnlichkeit.