Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 9

den 2. Aug.

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Letzthin ritte ich nach Carrik, und als ich nahe an der Stadt war, stieß ich auf einen Leichenzug, den ich wohl vom Anfange bis ans Ende hätte sehen mögen. Es war ein ächtes, alt-Irisches Begräbnis, mit Klageweibern, dergleichen man jezt nur auf dem Lande antrift, und auch da nicht einmal mehr allgemein. Leute von Stande begraben jezt ihre Todten in der Stille, mehrentheils sehr früh, und schicken blos ihre Bediente mit dem Leichname. In West-Irland hat sich der alte Gebrauch mehr erhalten, und man sagt mir, daß noch viele Familien, die auf dem Lande leben, ihre Todten mit alle dem Geschrey, Pomp, zur Schau gezeigten Schmerz und erkauften Thränen begraben, wofür das Land sonst so bekannt war. Ich will jemanden reden lassen, der mehr von diesen Begräbnissen gesehen hat, als ich.37

‘Man begräbt hier die Todten mit aller möglichen Schau, die man nur aufbringen kann;


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und wenn der Zug durch eine Stadt, oder ein Dorf kommt, oder irgend jemandem von Ansehen begegnet, so bricht er in lautes Geschrey und Heulen aus.’

Der Gebrauch ist, so wie die mehresten Gebräuche des Landvolks in allen Ländern, sehr alt; ja vielleicht einer der ältesten, von denen die Geschichte weiß, denn die Griechen und Römer hatten ihn von den Morgenländern, wo wir die ältesten Spuren davon unter den Hebräern finden. In den heiligen Schriftstellern lesen wir: ‘Rufe die Klageweiber, daß sie kommen mögen.’ —‘Der Mensch geht zu seiner langen Heimat, und die Wehklagenden gehen in den Gassen umher’ — ‘Wir haben über euch getrauret, aber ihr habt nicht geklagt’ etc. —

Sonst hatte man in Irland einen Barden, der zur Ehre des Verstorbenen eine Elegie schrieb, welche von seinen guten Eigenschaften, von seiner Abstammung, von seinen Reichthümern etc. handelte. Und der Refrain war allemal:‘O! Warum starb er!’ Wie z. B. folgendes:

O! Warum starb er! er, der so würdig war zu leben! Er, der aus dem edlen Blute des Heber stammte, dem Sohne Gallum's des tapferen Führers!


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O! Warum starb er! er, der mit einem Weibe gesegnet war, der schönsten von Scota's Töchtern; einem Weibe, die nur lebt, seinen Verlust zu beklagen!

O! Warum starb er! er, ehe er seine Söhne sehen konnte ruhmvoll im Felde, und seine Töchter glücklich in ihrer Liebe!

O! Warum starb er! er, der alles zum Leben hatte; dessen zahlreiche Rinder auf der Weide blöckten, und dessen Schaafe die Hügel bedeckten!

O! Warum starb er! er, der Herr des goldenen Thals war! O ihr, die ihr von seiner Güte lebtet, Unterthanen und Getreue! Warum entrisset ihr ihn nicht dem Tode, ihn, der so oft Euch zu Ruhm anführte und mit Lorbeeren gekrönt euch zurück brachte! etc. etc.

So der Barde; die Weiber sangen ihm nach mit kläglichem Geheule. Man nennt diese Gesänge, vermuthlich vom heulenden Tone, Oghunano, Hullaloo, Ogh-agus and Keenagh. — Da diese Gesänge jezt von Leuten ohne alle Kenntnisse gemacht werden, so sind sie öfters im höchsten Grade lächerlich. — Im Homer finden wir um Hektors Leichnam, seine Gemahlin, seine Mutter, und seine Schwester, die wechselsweise reden und seinen Ruhm singen; die übrigen Klagenden accompagniren. Die Conclamatio


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der Römer war nichts anderes, als der Irish cry, und die mulieres praeficae entsprechen vollkommen den Irischen Klageweibern, die den Trauerzug anführen, und deren Geschrey und Geheule zu entsetzlich ist, als daß man wahren Schmerz darinnen vermuthen sollte.

Daß dieser Gebrauch bey den Phöniziern herrschte, sehen wir aus dem Virgil, der in der Beobachtung des Costums sehr genau und correct war. Das Trauergeschrey, von dem er bey Didos Tode eine Beschreibung gibt, ist dem Irischen überaus gleich. ‘Die Häuser werden von Klagen, Geschrey und weiblichem Geheule erschüttert.’38

So lange der Leichnam39 im Hause ist, liegt er auf einem Bette oder Bret, gekleidet in weiße Leinewand, und einen Teller voll Salz auf seiner Brust. Das Salz ist vermuthlich das Bild des unvergänglichen Theils, während daß der Körper das Bild der Verwesung ist. Die Klagenden (Keenaghers) sitzen um den Leichnam herum. Die Sache selbst heißt Wachen (Wakes)

Diese Wachen sind gesellige Versammlungen, sind Schmäuse, zu denen man von Nahem


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und Fernem kommt. Die Alten rauchen Tabak, trinken Whiskey und erzählen Geschichten um den Leichnam herum, während daß die Jüngern in der Scheune oder in einem andern Zimmer, wenn anders eins da ist, sich auf andere Art belustigen, oder wohl gar nach dem Dudelsack tanzen.

So unsinnig auch diese letzte Gewohnheit seyn mag, so wird sie Ihnen doch nicht sehr auffallen, wenn Sie bedenken, daß in den Dörfern bey Leipzig, die Verwandten und Nachbarn sich zur Tafel setzen, sobald der Verstorbene begraben ist, und einen Schmaus halten, von welchem viele betrunken nach Hause gehen.

In Irland wird mancher zum Bettler, um seinen Vater oder seinen Sohn mit Anstande zu begraben. Man erzählt von einer alten Frau, die ein paar Guineen für ihr anständiges Begräbnis gespart hatte, und die nun lieber betteln ging, als daß sie sie angegriffen hätte.