Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 7

den 15. Jul.

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Gestern war ich zu Bessborough, einem der feinsten Landsitze im südlichen Irlande. Er liegt an der südlichen Seite des Sure, ein Paar Meilen unter Carrick, und gehört dem Grafen von Bessborough, der, nebst seinem Sohne, seit vielen Jahren in England lebt, und nicht einmal zum Besuch in sein Vaterland kommt. Die Güter haben etliche Meilen im Durchschnitte und liegen in einer lieblichen Gegend, die zwar ganz flach, aber von allen Seiten mit Bergen umgeben ist. Das Haus hat deswegen von allen Seiten herrliche Aussichten. Das Gut ist etwas im alten Stile angelegt, hat aber eine Menge Schönheiten und ein herrliches Grün. Nirgends hab ich so große Wiesen gesehen, die durch Einfassungen von hohen Bäumen in verschiedene Partien getrennt sind. Das Haus ist ein edles Gebäude, obschon die Zimmer nicht so groß sind, als man sie jezt baut, und im alten Stile meublirt.

Ich hatte hier öfters von den Gemählden gehört, die hier sind, und ich fand in der That einige sehr schöne, historische Stücke, unter andern eine vortrefliche Anbetung der Hirten, von Jordans; allein ein großer Theil dieser Gemählde sind Copien.


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Hier ist unter andern der Kopf und das Geweihe eines mouse oder moose deer, und dies gibt mir Gelegenheit von diesem Thiere zu reden. Ich besinne mich, vor vielen Jahren gelesen zu haben, daß man dieses Thier in die Classe der fabelhaften setzte. Dies ist nun falsch, denn daß es existirt hat, ist ganz ausser Zweifel. Ich selbst habe Beweise genug davon. Das aber ist freilich auffallend, daß man in keinem andern Lande von diesem Thiere etwas wissen will, und daß selbst in Irland seit Jahrhunderten keine Spur von seiner Existenz ist. Daß es auf der Insel war, weiß man nicht nur aus alten Schriftstellern, sondern besser aus den Gerippen, Köpfen und Geweihen, die man in großer Menge in den Sümpfen gefunden hat und noch bisweilen findet. Vor einigen Jahren fand man auf dem Sitze des Lord Grandison, fünf und zwanzig Meilen von hier, beinahe das ganze Gerippe eines solchen Thieres, und noch heute sagte mir ein glaubwürdiger Mann, daß er ein Geweihe mit dem Kopf besitze, der um ein Gutes größer als der Kopf eines Ochsen sey. Der Kopf, den ich zu Bessborough sahe, ist ohngefähr von der Größe eines mittelmäßigen Pferdes, und die äussersten Enden des Geweihes sind acht bis neun Fuß von einander, ja man hat Geweihe, an denen diese Breite über zehn Fuß beträgt. Die Enden des Geweihes sind nicht, wie die des


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Hirsches, sondern löffelartig, wie die des Damhirsches. Ihr Gewicht läßt sich nicht beurtheilen, denn da sie so lange unter der Erde und in Sümpfen gelegen, sind sie porös, und also um ein gutes leichter geworden; indessen wiegen manche noch immer etliche Zentner.

Das erste, was einem hierbey auffällt, ist die Stärke, die dieses Thier gehabt haben muß, wenigstens im Genicke, um eine solche Last zu tragen: das zweyte, wie dieses Thier in den Wäldern hat leben können, mit diesem so breiten Geweihe. Das Allersonderbarste aber bey der ganzen Sache ist, daß dieses Thier seit Jahrhunderten von der Erde verschwunden ist, denn das Amerikanische Thier dieses Namens ist nicht nur gar viel kleiner, sondern es scheint auch in andern Betrachtungen ein ganz anderes Thier zu seyn. Die Natur scheint also hierinnen einen ganz andern Weg gegangen zu seyn, als sie gewöhnlich thut, denn wir finden sonst durchaus, daß sie das, was sie einmal hervorgebracht hat, erhält und fortpflanzt.

Von diesem Irischen Thiere komme ich auf ein Irisches Instrument, und das ist der Dudelsack (bagpipe). Dieses musikalische Instrument ist dieser Nation besonders eigen; hier ist es eigentlich zu Hause und präsidirte sonst bey allen


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Tänzen, Lustbarkeiten und Festen. Man hat gewisse National-Arien und Tänze, die darauf gespielt werden, und wornach die Landleute noch jezt bisweilen tanzen; wiewohl sie, wenigstens hier herum, mehr in Trägheit und Schläfrigkeit zu leben scheinen, als Neigung zur Freude, Heiterkeit und Belustigungen zu haben. Indessen steht dieses Instrument noch immer in Ehren, und ich fand letzthin einen Land-Edelmann, der es nicht nur sehr gut spielte, sondern wirklich zur Würde eines musikalischen Instruments erhoben hatte. Anstatt der einfachen Pfeife hat sein Dudelsack fünf, deren eine wie eine Trompete gekrümmt ist. Die Hauptpfeife, die wie die Flöte mit den Fingern gespielt wird, hat mehr Löcher, als der gewöhnliche Dudelsack, und unter den Pfeifen, durch die die beiden Luftsäcke verbunden sind, ist eine, deren Löcher mit Klappen versehen sind. Auf diese Art wird das Ganze sehr complicirt, denn der Spieler muß mit dem rechten Arme nicht nur den Wind dirigieren, und mit den Fingern dieser Hand auf der Hauptpfeife spielen, sondern er muß auch mit dem unteren Theile der nämlichen Hand auf diesen Klappen herum fahren, und die Luft da bald sperren, bald auslassen, gerade so wie bey der Klappe, die am untern Theile einer Flöte ist. — Ich fand die Töne dieses Dudelsacks äusserst sanft und angenehm, fast wie eine Flöte,

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nur mannigfaltiger, auch kann der Mann, nach regelmäßiger Musik, alles darauf spielen. Ich weiß nicht, ob ich die Ökonomie des Ganzen so deutlich beschrieben habe, um Ihnen einen Begriff davon zu geben? Es ist schwer, denn ich kenne kein Instrument, mit dem ich es vergleichen kann.

Vor'm Jahre schrieb ich Ihnen viel von der Anzahl der Einwohner in Irland, und von dem Verhältniß der Protestanten gegen die Katholiken. Ich hatte damals Berechnungen vor mir, die mit vieler Sorgfalt gemacht worden, und gleichwohl sehe ich jezt, daß kein Mensch etwas gewisses darüber weiß. Da die Misvergnügten seither alles angewandt haben, die Katholiken in ihr Interesse zu ziehen, so hat man sich ganz natürlich sehr genau nach der Anzahl der Letztern erkundigt. Allein die Meinungen darüber sind so verschieden, daß ich auch bey dieser Gelegenheit, die alte Bemerkung bestätigt finde ‘daß alles menschliche Wissen so gar ungewiß ist.’ Je mehr ich forsche und nachfrage, je mehr höre ich auch verschiedene Meinungen, und so gerathe ich je mehr in Dunkel und Ungewißheit. Darinnen sind alle einig, daß die Katholiken im Königreiche die größere Anzahl ausmachen: und das ist die einzige Gewißheit, die ich herausbringen kann. Manche sagen, die Katholiken seyen 3. zu 1. ja manche sagen jezt gar


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sie seyen 4. zu 1. Was die richtige Bestimmung so schwer macht, ist, daß die Proportion in den verschiedenen Provinzen höchst ungleich ist. Z. B. hier in unserer Nachbarschaft rechnet man 10 Katholiken gegen 1 Protestanten. Im Norden aber ist es anders, denn dort haben die Protestanten ihren Hauptsitz.

Eben so verschieden sind die Meinungen über die Zahl der Einwohner überhaupt. Ich habe eine Menge darüber gehört; allein alles, was ich mit Gewißheit heraus bringen kann, ist, daß diese Zahl über zwey Millionen und nicht ganz drey Millionen ist. Allein über die Zwischenzahl ist man sehr uneinig.

Eben so geht mirs auch mit den andern Dingen; je mehr ich forsche, je mehr höre ich auch verschiedene Meinungen, und die dritte und vierte widerspricht oft schnurstracks der ersten. So besinne ich mich z. B., daß ich vor einem Jahre sehr viel über die Butlerische Familie fragte, und die Geschichte des Herzogs von Ormond las. Diese Familie ist so merkwürdig, und ihre Geschichte so sonderbar, daß ich mit verschiedenen Männern darüber sprach. Ich hörte damals durchaus, daß man die gegenwärtigen, jährlichen Einkünfte des jetzigen Hauptes der Familie auf 12,000 Pf. setzte. Gegenwärtig höre ich,


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und das von Leuten, die es wissen können, daß es 30,000 Pf. sind, daß aber viele Schulden auf den Gütern liegen.

Ein anderes auffallenderes Beispiel dieser Art: Ich habe viel über die Massacre nachgeforscht, die die Katholiken im Norden von Irland gegen die Protestanten verübt haben sollen. Die Schriftsteller sind sehr verschieden in der Angabe der Zahl der ermordeten Protestanten, und ich darf sagen, daß ich fast alle Decimalen zwischen 20,000 bis 80,000 gefunden habe. Eine solche auffallende Verschiedenheit zeigt, daß die ganze Sache in Dunkelheit gehüllt ist, und daß die Protestanten das Ding übertrieben haben. Ich forsche weiter und finde, daß die Katholiken die ganze Sache leugnen. Und endlich sagt mir Lord T**, daß er ein authentisches Manuscript aus der Zeit gesehen habe, und daß er von der ganzen Sache weiter nichts glaube, als daß die Katholiken und Protestanten auf alle Art einander anfielen, daß beyde Partheyen einander schadeten, und tödteten so viel als sie konnten, und daß vermuthlich mehr Protestanten als Katholiken dabey umgekommen. So viel ist gewiß, daß man eine ansehnliche Lücke in der Bevölkerung dieses Theils von Irland fand, und daß England eine protestantische Colonie herüber schickte, unter deren Nachkommen gegenwärtig die große Anzahl von


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Presbyterianern ist, die die Verfassung von Irland umstossen wollen.