Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 6

Sonnabends, den 10. Jul.

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Ich hab Ihnen noch nie geschrieben, lieber Freund, daß wir von Dublin nach C*** einen Umweg nahmen. Wir verließen, nicht weit von Dublin, die Landstraße, und gingen sechs und zwanzig Meilen weit links, in die Grafschaft Wicklow, wo Lord T** einen ansehnlichen Strich Landes hat. Er hat dort ein kleines Haus gebaut, und ein paar Hundert Acres Land für sich genommen, und theils zu seinem Vergnügen angelegt, theils fruchtbar gemacht. Die Gegend umher ist sehr wild; allein um das Haus herum lacht das schönste Grün und die Plantationen von Bäumen und allerhand Gewächsen, geben vortrefliche Spatziergänge. Auf der einen Seite des Hauses erheben sich Hügel, an denen nackte, steile Felsen, mit angebauten grünen Flecken, oder Gebüschen und Bäumen abwechseln. Um diese Hügel herum windet sich ein ansehnliches Wasserstück, das der einen Ecke vollkommen das Ansehen einer wüsten Insel gibt. Längst dem Wasser und den Felsen hin geht ein schmaler Weg, der so


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einsam und so romantisch ist, als immer eine romantische, dichterisch schwärmende Einbildungskraft ihn denken kann. Er führt um die Felsenecke herum, und bringt, theils durch Wiesen, theils durch angelegte Waldungen, auf verschiedene Anhöhen, von denen man eine weite Aussicht hat. Hin und wieder eine Öfnung bekommt, durch die man bald Wasser, bald grüne Hügel, bald malerische Felsen sieht.

Ich bin seit langem an keinem Orte gewesen, der so stark auf meine Einbildungskraft gewirkt hätte. ‘C'est la demeure de deux amans’ rief ich mit dem Verfasser der neuen Heloise aus; der Wohnsitz zweyer Liebenden, die, abgesondert von der Welt, sich selbst genießen wollen. Dann fiel mir die Stelle ein, wo Lord Bomston dem St. Preux ein Asylum anbietet. ‘Ich habe einen Landsitz in York,’ sagt er, ‘einen Platz, der für zwey Liebende gemacht ist’ und so fährt er in der Beschreibung davon fort. —

Wir speißten da zu Mittage, übernachteten, und kehrten den andern Tag wieder auf


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die Landstraße, die wir etwan funfzehn Meilen davon fanden.

In der Gegend um Carlow machte ich eine Bemerkung, die ich schon mehrmals gemacht habe, und die alle Reisende beständig im Gedächtnis haben sollten. Ich fuhr in einem offenen Phaeton und war erstaunt und ergötzt durch die Schönheit der Gegend. Das Land, viele Meilen um Carlow herum, ist der schönste Strich, den ich in Irland gesehen habe. Alles ist fruchtbar und ziemlich wohl angebaut, die Berge sind von der schönsten Form und wechseln ab mit reizenden Thälern. Größere und kleinere Flüße schlängeln sich in einem Ufer, dessen Grün bis in das Wasser reicht. — Und warum hab ich alles das nicht eher gesehen, da ich diesen Weg doch schon zweymal gemacht habe? Weil es tiefe Nacht war, als ich das erstemal durchreißte, und weil ich das zweyemal in einer zugemachten Kutsche in tiefer Unterredung war.

Ich bin äußerst begierig zu erleben, zu was es noch endlich mit den Irischen Händeln kommen wird; denn zu etwas muß es kommen, ehe viel Jahre vergehen. — Ich schrieb Ihnen letzthin von einer Gesellschaft Dubliner Bürger, die nun aus mehr als dreyhundert


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Personen besteht, sich oft auf dem Tholsel versammelt und über die Geschäfte des Vaterlandes berathschlagt. Letzthin lud diese Gesellschaft alle Grafschaften ein, Abgeordnete nach Dublin zu schicken und im Rahmen der ganzen Nation sich an die Krone zu wenden; um die Irische Regierungsform abzuändern. Da aber hierzu eine geraume Zeit nöthig ist, so hat diese Gesellschaft für gut befunden, sich schon vorläufig an den König zu wenden, sie brachte also vergangene Woche eine Petition zum Vice-König, mit dem Ersuchen, sie dem Könige zu senden. Das Hauptersuchen dieser Petition ist, das gegenwärtige Parlement zu zertrennen und dann zur Reforme zu schreiten. Die Ausdrücke gegen das Parlement sind äusserst heftig und beleidigend. Der Vicekönig gab ihnen eine Antwort, die Lord T** so eben von ihm selbst empfangen hat, und die ich vortreflich finde. Er sagt ihnen darinnen, daß er zwar ihrem Ansuchen willfahren, und diese Petition an den König schicken wollte; aber zu gleicher Zeit würde er auch seine gänzliche Mißbilligung derselben mit schicken, da sie, diese Petition, ein falsches Licht auf die Gesetze und das Parlement von Irland würfe, und dahin abzweckte, das Ansehen von beiden zu schwächen. — Man sollte glauben, daß ganz Dublin diese Petition unterzeichnet hätte, und gleichwohl

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kommt sie von niemand anderm, als von einer Gesellschaft, deren mehreste Mitglieder Leute ohne Stand, ohne Vermögen und ohne Ansehen sind. Es fangen so gar viele Volunteers nunmehro an, solche Maasregeln zu mißbilligen, und viele Männer ziehen sich zurück, ob schon das Corps der Volunteers in der Zahl noch immer zunimmt.

Demohngeachtet leben wir hier in Süd-Irland noch ganz ruhig; es gibt hier wenig Presbyterianer, weil dieser Theil von Irland größtentheils von Katholiken bewohnt wird. Viele Leute sagen nur, daß man hier herum fast zehn Katholiken auf einen Protestanten rechnen könne. Aber ganz anders ist es im Norden! Sie wissen, lieber Freund, daß ein großer Theil von Nord-Irland einst von einer Englischen Colonie besetzt wurde, und also größtentheils protestantisch ist; und unter diesen Protestanten gibt es die vielen Presbyterianer, die hauptsächlich die jetzigen Unruhen betreiben. Die beiden Hauptstädte hierzu sind Londonderry und Belfast. Die armen Katholiken schwanken noch immer umher, und viele Leute befürchten, daß diese am Ende am schlimmsten dabey fahren werden, weil jene Parthey listiger ist und sich allemal leichter aus der Schlinge zu ziehen wissen wird.


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Daß die Antwort des Vicekönigs nicht angenehm war, ist leicht zu begreifen, und er hatte ein Paar Tage darauf einen unangenehmen Vorfall im Schauspielhause. In einem der Zwischenakte stimmte das Orchester eine Musik an, die häufig gespielt wird, und die unter dem Namen ‘God save the King’ bekannt ist. Sogleich schrie ein Mann aus einer Loge, man solle den Volunteers-Marsch spielen. Da der Herzog gegenwärtig war, glaubte das Orchester, es müsse auf diesen Ruf nicht hören. Hierüber entstund ein allgemeiner Lerm, man pfiff und zischte den Vicekönig aus, schrie gegen ihn, und als er unbeweglich in seiner Loge sitzen blieb, warf man endlich Orangen- und Zitronenschaalen in solcher Menge nach ihm, daß er sich zurückziehen mußte, und im Herausgehen schlug jemand nach ihm. Der Thäter wurde sogleich gefangen und fortgeschaft; auch fing man einige andere Personen, die aber der Pöbel, auf dem Wege nach dem Schlosse, wieder mit Gewalt frey machte.

Solche Auftritte machen großen Lerm, haben aber gewöhnlich keine weiteren Folgen, und manche Leute sind ganz ruhig dabey. Andere aber befürchten eine Begebenheit, die, wenn sie jemals geschehen sollte, ungeheure Verwirrung und vielleicht großes Blutvergießen anrichten würde. Die Misvergnügten thun alles mögliche,


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die Katholiken an sich zu ziehen, und machen ihnen deswegen unendliche Hoffnungen und große Versprechungen. Sollte es nun je darzu kommen, daß die Katholiken diese Parthey ergriffen und gemeine Sache machten, so würde auf dieser Insel eine Macht entstehen, welcher die königlichen Truppen mit allen denen, die für die Regierung sind, kaum gewachsen seyn würden, wenigstens nicht beym ersten Ausbruche.

Letzthin schrieb ich Ihnen einiges über die Dubliner Universität; seitdem aber ist mir ein Buch in die Hände gefallen, dessen Verfasser sehr ausführlichen und genauen Bericht über diese Universität hat. Ich will Ihnen einiges daraus ausziehen, von dessen Richtigkeit ich versichert bin.

Das Gebäude besteht aus zwei Squares, welche drey und dreyßig Gebäude enthalten, in deren jedem acht Zimmer sind, die größeren Gebäude, als die Bibliothek, Halle, Kirche etc. etc. ungerechnet. Ein großer Theil der Bücher ist zuerst vom Erzbischof Usher gesammelt worden, der ein Mitglied des Collegiums war, und ohnstreitig der gelehrteste Mann, den es je hervor gebracht hat. Dieser Usher ist der nämliche, der auswärts unter dem Namen Usserius so berühmt ist. — An neuern Büchern ist diese Bibliothek nicht sehr vollständig, obschon Fond genug da


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ist, alles anzuschaffen, was gekauft zu werden verdient. —

Die Königin Elisabeth stiftete und begabte dieses Collegium. Die ursprüngliche Stiftung bestund aus einem Prevost, drey Fellows und drey Scholars, welche Zahl nach und nach vermehrt wurde bis auf zwey und zwanzig Fellows, siebenzig Scholars und dreyßig Sizers. Sieben der Fellows heißen Seniors, und diese haben die Regierung des Ganzen, doch so, daß sie dem Prevost unterworfen sind, ohne dessen Einwilligung sie nichts thun können. Sie haben sehr wenig zu thun, sie examinieren blos, geben Achtung, daß die Junior Fellows ihre Pflicht thun, und halten wöchtentlich etwan ein Paar öffentliche Vorlesungen. Sie haben jährlich über siebenhundert Pfund Einkünfte. Die übrigen funfzehn sind Juniors. —

Die Scholars werden gemacht, wenn sie drey Jahre im Collegium gewesen sind. Die Seniors machen sie, je nachdem er mehr oder weniger Progressen gemacht hat. Sie sind dann vier Jahre lang Scholars, d. h. bis sie master of arts werden. Hierauf können diese Scholars Junior Fellows werden, und sie werden abermals von den Seniors gewählt. Die Juniors haben jährlich vierzig Pfund, nebst dem, was sie für das Lesen (lectureship) bekommen, welches


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zusammen gegen hundert Pfund macht. Allein wenn sie arbeitsam sind und sich bey den Studenten beliebt zu machen wissen, so bekommen sie so viele Schüler, daß sie sich jährlich ein ansehnliches Einkommen machen können. Sie halten ihre Vorlesungen nicht wie die Professoren der deutschen Universitäten, sondern es ist mehr ein Privatunterricht, indem sie eine gewisse Anzahl junger Leute auf ein Zimmer nehmen, und sie so unterrichten, fragen etc. etc. ohngefähr wie Schüler. Auch die ganze Disziplin gleicht mehr einer Schule, als einer Universität, indem die Lehrer die jungen Leute für eine Menge Dinge strafen können. Dies sind besonders Geldstrafen.

Ausser diesen Lehrern gibt es noch besondere tutors of College, die auf die Zimmer des Studenten kommen, und da zwey, vier und acht zusammen unterrichten.

Die Studenten werden in drey Classen eingetheilt: 1) Fellow-commoners, 2) Pensioners, 3) Sizers. Die ersten heißen Fellow-commoners, weil sie mit den Fellows speisen, wofür sie jedoch nicht viel mehr bezahlen, (vierzig Pfund für das Mittagsessen) als die Pensioners, die unter sich speisen. Die Sizers bezahlen nichts für ihren Tisch, bringen die Schüsseln auf die fellow-tables, bedienen sie an der Tafel,


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und speisen alsdenn vom Überreste. Sie tragen schwarze gowns (eine Art Mäntel) von grobem Stoffe, ohne Ermel. Die Pensioners tragen gowns von der nämlichen Form, aber von feinem Stoff mit hangenden Ermeln und Quasten. Die Commoners tragen das nämliche, aber mit Ermeln und samtenen Kragen. Adeliche und Ritter (knights or baronets) tragen gowns von der nämlichen Form, aber mit Quasten von Gold und Silber. Zu ihrer Bedienung haben sie alte Weiber; doch können sie sich nebenher auch ihre eigne Bedienten halten.

Ausser diesen Collegians (Studenten, die im Collegium wohnen, unter denen eine Menge junger Leute aus den besten Häusern sind) gibt es ohngefähr noch einmal so viel, die ihre Wohnungen in der Stadt haben und blos die Vorlesungen besuchen, so daß man die Zahl aller Studierenden zwischen fünf und sechshundert setzt. — Man kann hier in allen Fakultäten seine Studien vollenden.

Ausser den vorhin genannten Lehrern gibt es noch eigentlich genannte Professoren, die man the king's professors nennt, und die eigentlich Collegien, über Theologie, Arzneykunde und Rechtsgelehrsamkeit, lesen sollen; allein man sagt mir, daß sie diese Vorlesungen sehr nachläßig


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besorgen, und daß die Studenten sie noch nachläßiger besuchen. Die Theologen z. E. studieren größtentheils auf ihrem Zimmer diejenigen Werke, über die sie examinirt werden, und die Examens scheinen nicht eben sehr hart zu seyn. Sie werden zuerst vom Dekan der Diöcese, zu der sie gehören, examinirt, und dann von ihrem Bischoffe. Desto strenger sind die Examens der eigentlichen Schul-Wissenschaften. Nach Ebräisch wird gar nicht gefragt. Dies letztere fällt einem protestantischen Ausländer sehr auf; aber, wie mich dünkt, mit Unrecht! In Sachsen muß jeder Geistliche über diese Sprache examinirt werden; tausende quälen sich damit, verschwenden eine ungeheure Zeit, und was ist der Vortheil davon? Wir wissen alle zur Genüge, daß es unter hundert Geistlichen nicht viere gibt, die, so bald sie ein Amt haben, die hebräische Bibel wieder ansehen. Zudem erwerben sie sich eine so unvollkommene Kenntnis dieser Sprache, daß nur sehr wenige es dahin bringen, Ausleger des Alten Testaments zu werden, d. h. Schwierigkeiten und Dunkelheiten, die sich in den Übersetzungen finden, aus dem Originale aufzuklären. Und dies ist doch der einzige, eigentliche Zweck; und wie viele unter tausenden bringen es dahin? Überdies kennt ein jeder, der seinen Zuhörern Schwierigkeiten des Alten Testaments auflösen will, die Schriften gelehrter Hebräer, in denen

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er sich helfen kann. Das ist freilich alles wahr, wird man mir einwenden, ‘Allein Sie bedenken nicht, daß unter der Menge, die hebräisch lernen, hin und wieder ein hebräisches Licht aufsteht und ein Lehrer und Aufklärer dieser Sprache wird, die, wenn sie von wenigern gelernt würde, nach und nach ganz vergessen werden würde.’ Diesen Einwurf will ich unbeantwortet, und die Sache denjenigen auszumachen überlassen, die zur Classe gehören und zugleich Verstand, Billigkeit und Unpartheylichkeit haben.

Die Rechtsgelehrten sind, wie ich höre, eben so nachläßig, und diejenigen, die sich dieser Profession widmen, gehen gewöhnlich in den sogenannten Tempel, wo sie Gelegenheit genug haben, die Rechte ihres Landes zu studieren, und mehr brauchen sie nicht.

Wo die Ärzte ihre Schuljahre zubringen, und an wem sie ihre ersten Versuche probiren, weiß ich nicht: nur das weiß ich, daß viele sich sehr wenig um das Scientistische dieser Kunst bekümmern. Viele aber studieren in England und Schottland.

Ausser den sogenannten King's Professors hat die Dubliner Universität noch verschiedene andere, die vermöge eines Privatvermächtnisses unterhalten werden.


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