Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 5

C***, den 8. Jul.

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Ich war gestern in Neu-Genf, oder wie es vermuthlich in Zukunft heißen wird, Neustadt (the new town). Schon vergangenes Jahr schrieb ich Ihnen, daß unter dem Vicekönige Temple, welcher vor dreyzehn Monaten Irland verließ, das Irische Parlement 50,000 Pf. für die Genfer bewilligt habe. Der König versprach ihnen ein Stück Land, welches nicht nur zu einer großen Stadt vollkommen zureicht, sondern auch jeden Einwohner zum Besitzer eines


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ansehnlichen Stück Landes machen kann. Es gehört der Krone, weil es meistens verwirktes Land (forfeited land) ist, dessen ehemalige Besitzer es unter der Königin Elisabeth, Wilhelm III. etc. verloren. Es liegt 7 Meilen unter Waterford, am Fluße Sure, der hier ohngefähr wie das Meer betrachtet werden kann, denn die Kriegsschiffe können, zu allen Zeiten, bis hierher kommen. Das Fort Dungannon {Duncannon} liegt an der östlichen Seite des Flusses, und gegen über, an der westlichen, ist die kleine Stadt Passage, welche in den Umfang dieses Stücks Kronlandes fällt. Dieses Städgen also, nebst einer ganz steilen Felsenreihe, die sich gerade hinter dem Städtgen erhebt, sollten die Genfer nebst dem übrigen Lande, das sich weiter hinunter nach der See zieht, empfangen.

Lord Northington folgte dem Grafen von Temple im Juny 1783, und unter ihm schienen alle Verhandlungen mit den Genfern, die unter Temple angefangen worden, zu schlafen. Ich sprach Herrn Claviere hier vergangenen Sommer, und er beklagte sich bitterlich, über die Schwierigkeiten, die sich von verschiedenen Seiten zeigten, über Verzögerung und Langsamkeit, und über unbefriedigende Antworten, die vom Vice-Könige kämen. Du Rovere' war unterdessen zu London und trieb die Verhandlungen dort. Viele


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der Schwierigkeiten, die man ihnen in den Weg legte, erregten sich die Genfer selbst, indem sie ihre Forderungen zu hoch spannten. Ich beziehe mich unter andern auf das, was ich Ihnen vorm Jahre von dem Rechte, Freeholders zu machen, schrieb.

Indessen waren schon verschiedene Familien zu Waterford angekommen, und mehrere kamen im September und Oktober; sie mietheten sich unterdessen zu Waterford ein. Als, unter Pitt's Regierung, zu Anfange des Jahrs 1784, ein neuer Vicekönig kam, nahmen die Unterhandlungen einen vortheilhaftern Weg für die Genfer. Zu der alten Commission wurde noch eine neue ernannt, an deren Spitze der Graf von T*** ist, weil ein ansehnlicher Theil dieser Grafschaft ihm gehört, weil er darinnen residirt und großen Einfluß hat. Man bestimmte nun die Bedingungen näher. Es wurde festgesetzt, daß jeder Genfer fünf und zwanzig Pfund haben sollte, um die Reise von Genf hierher zu machen: eine Summe, die diejenigen, die gekommen sind, auch wirklich empfangen haben. Allein das Städtgen Passage, den Felsen, und die Ernennung oder Collatur eines Pfarrers, der am Felsen seine Kirche hat, wollte man ihnen nicht zugestehen. Die Commission machte einen Bericht an die Regierung und wandte ein, daß man Passage


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und den Felsen als den Schlüssel von Waterford betrachten müsse, und daß es also nicht nur beleidigend für die Stadt Waterford sey, den Schlüssel zu ihr, Fremden in die Hand zu geben, sondern auch gefährlich. Zwar sagen einige, daß das Fort Dungannon der eigentliche Schlüssel zu Waterford sey, und daß die Kriegsschiffe, die herauf kommen wollten, unter den Kanonen dieses Forts fallen müßten; allein andere sagen, daß man auch in der Nähe von Passage passiren könne, ohne von dem Feuer des gegen über stehenden Forts Dungannon erreicht zu werden. Man sagte auch den Genfern, daß sie überdies mit dem Felsen, der ganz steil und also unfruchtbar ist, nichts anfangen könnten. Diese Schwierigkeiten, und verschiedene andere, kamen endlich so weit, daß die Genfer vor zwey Monaten Irland wieder verließen, einige wenige ausgenommen, die, ohne weiter etwas zu bedenken, sich zu Waterford niedergelassen haben.

Auf diese Art sind nun alle Unterhandlungen abgebrochen; die fünf und zwanzig Pfunde haben diejenigen, die sie empfangen, nicht wieder zurück gegeben.

Indessen war doch der Platz für die neue Stadt bestimmt, und allerhand Baumaterialien dahin geführt worden. Ich sahe die Grundlage


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zu verschiedenen Häusern gegraben, und einen großen Platz für einen Square abgestochen. Dieser Platz ist ganz eben, ob schon ein Theil der Stadt etwas abhängig gegen das Meer liegt. An einer Seite dieses Square's sollte das Collegium erbaut werden, in welchem man eine Erziehungs-Akademie errichten wollte, für welche Irland die Genfer vorzüglich wünschte, und woran es in der That in diesem Lande fehlt. Es hat zwar verschiedene sehr gute Schulen, allein diese sind, wie gewöhnlich, für Latein und Griechisch. Das Land umher, welches gegeben werden sollte, ist mehrentheils gut, und an manchen Orten so gut, als ich es irgendwo gesehen habe. Die Lage ist in jeder Betrachtung vortreflich, und die Aussicht herrlich. Das Land wechselt dort zwischen Hügeln und Ebenen ab, überall lacht das schöne Grün, und der Fluß hat vollkommen das Ansehen eines edlen Sees, an dessen gegenseitigem Ufer sich wieder Berge erheben. Die Felsen über Passage sind ganz romantisch, und so dicht am Meere, oder am Fluße, daß sie das kleine Städtgen ganz zu bedecken scheinen. Da man nun angefangen hat, die Stadt zu bauen, so fährt man fort, ohne zu wissen, wen man hinein setzen wird. Vermuthlich amerikanische Loyalisten, die im letzten Kriege viel gelitten, oder von den dreyzehn Provinzen ausgetrieben worden sind. Einer der Bauherren sagte mir,

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man könne Englische, oder andere Fabrikanten herbey ziehen, die willig die Vortheile annehmen würden, die man den Genfern zugedacht.

So viel ist gewiß, daß die Genfer in ihren Forderungen sehr weit gingen, und dabey nicht genug Rücksicht auf die Collision nahmen, in die ihre Forderungen mit den Vortheilen und der Lage der alten Einwohner dieser Grafschaft kommen möchten. Ich will kein zuverlässiges Urtheil fällen; aber so viel scheint mir klar zu seyn, daß die Genfer sich zu sehr als Personen betrachteten, die für diese Insel wichtig wären. Überdies waren ihre Hoffnungen durch verschiedene Land-Edelleute und durch einen Theil der Volunteers zu hoch erregt und zu sehr geschmeichelt worden. Ich habe vergangenes Jahr manchmal in den öffentlichen Blättern gelesen: das edle, das tugendhafte, das patriotische, das unterdrückte Genf. Irische Mißvergnügte betrachteten sie als Leute, die in ihrer eigenen Lage wären, und machten gewissermaßen gemeine Sache mit ihnen. Man sahe sie als Unglückliche, Beleidigte, Verfolgte an, deren Sache an die Menschheit appellierte, als Verfechter einer Freiheit, die von Tyrannen unterdrückt worden, als Catonen, deren Tugend den Untergang ihres Vaterlandes nicht überleben wollte. Ein Theil der Volunteers ließ Addressen an die Genfer in den Zeitungen


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drucken, in welchen sie ihnen ihre Protektion anboten und die zu beschützen versprachen: ein Anerbieten und ein Versprechen, das ich nie recht verstanden habe, denn was wollten, im Grunde, die Volunteers mit ihrem Schutze und ihrer Vertheidigung in einem Lande sagen, das ein Parlement und Gesetze hat?

Die Gegend hinter Waterford, die ich von dieser Seite noch nie gesehen hatte, ist überaus artig, und ich würde sie herrlich und vortreflich nennen, wenn es ihr nicht an dem fehlte, woran es fast überall in Irland fehlt, an Bäumen. Dieser Mangel fällt einem Fremden ausserordentlich auf, weil jedermann da, wo Wege sind, auch Bäume erwartet. Ich besinne mich, daß Irland irgendwo die waldige Insel (the woody island) genannt wird, und das war es auch in der That, ehe man eine Belohnung aufs Niederhauen der Bäume setzte. Da sie aber einmal niedergehauen sind, so läßt das Vieh, das an ihrer Stelle weidet, keine mehr aufkommen. Um die Landsitze herum gibt es Bäume genug; allein diese werden gepflegt, und ein großer Theil derselben sind gepflanzt worden und werden noch immer gepflanzt. — Nicht weit unter Waterford fällt der Newre {Nore} in den Sure {Suir}, ein großer erhabener Anblick! Auch ist dort eine hübsche Insel im Fluße, die nicht, wie diese Fluß-Inseln oft sind, blos flach


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ist, sondern aus Anhöhen, Felsen und Ebenen besteht. Der Sure und Newre zusammen machen nun, nebst dem Drucke des Meeres, einen Fluß, der eine, auch zwey Meilen an manchen Orten breit ist; gleichwohl können sehr große Schiffe nicht bis Waterford herauf kommen, ausgenommen bey der größern Fluth, (Springtide) welche monatlich nur einmal ist. Die Kriegsschiffe bleiben deswegen in der Gegend von Passage liegen, von wo aus sie zu allen Zeiten ins Meer stechen können; für gewöhnliche Schiffe aber ist die Schiffahrt von Waterford zu allen Zeiten leicht und gut. Man hat jetzt ein Paketboot, das regelmäßig zwischen Waterford und Milfordhafen in Südwallis, läuft, und auch Briefe führt; aber der gewöhnliche Weg für die letztern, ist zwischen Dublin und Holyhead.

Von der neuen Stadt gingen wir dann noch ein Paar Meilen weiter, um, nach allen unsern Expeditionen, auf einem Landsitze zu Mittage zu essen, der am Ufer des Flusses oder vielmehr am Meere liegt, denn der Fluß kann hier nicht anders als eine Bay betrachtet werden. Wir waren bey zwanzig Personen an der Tafel, die alle von verschiedenen Landsitzen zusammen gekommen waren. Wir kamen auf 24 Meilen weit! Wie lächerlich würde es in Sachsen seyn, so weit nach einem Mittagsessen zu gehen; und doch hatten


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wir Zeit, alles zu sehen und zu untersuchen, und uns noch überdies in Waterford aufzuhalten. Freilich wechselte der Graf die Pferde, und es war Nacht, als wir die Tafel verließen.