Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 3

Dublin, den 19. Jun. 1784

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Gestern war ich beim hiesigen alten Männer-Hospital, (old men's Hospital) einer der besten Einrichtungen dieser Art, die man sehen kann, und ohnstreiting das wichtigste Charitätshaus, das Irland aufzuweisen hat. Vierhundert alte, ausgediente Soldaten empfangen hier Wohnung, Nahrung und Kleidung. Das Gebäude ist ein Viereck, dessen vier Seiten einen großen, reinlich gehaltenen Hof einschließen. Es liegt etwas höher als der übrige Theil der Stadt, hat verschiedene Alleen, grüne Plätze und einen Garten um sich herum. Der Zugang ist durch eine Allee von alten Bäumen, an deren Ende man das Portal sieht, welches, ohne besondere architektonische Schönheiten zu haben, sehr gut in die Augen fällt. Auf einer Seite wohnt der Comander in Chief, d. h. derjenige Englische General, der alle in Irland stehende königliche Truppen kommandirt. Es ist gegenwärtig der General Pitt, ein Verwandter des Ministers. Er sollte eigentlich in den Casernen wohnen; allein er hat hier eine schönere


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Wohnung, und läßt seinen Platz in den Casernen für andere Generale, die gewöhnlich so viel Raum einnehmen, daß es oft den subalternen Officieren an Platz fehlt.

Das Speisezimmer der Invaliden ist ein ungeheurer Saal, in welchem alle vierhundert Mann mit ihren Officieren (unter denen aber keine höheren als Hauptleute sind) speisen. Die Gemeinen haben fünfmal in der Woche Fleisch, Fleischbrühe und Brod, zweymal bloß Brod und Käse. Abends bekommen sie Gerste. Sie sind in eine Art Uniform, von grobem, rothen Tuch gekleidet, blau aufgeschlagen. Sechs schlafen in einem Zimmer. In einer Ecke dieses Gebäudes steht ihre Capelle, wovon der Caplan unter ihnen wohnt. Im Speisesaal hängt Gewehr für nicht ganz tausend Mann, das mit vielem Geschmacke ausgestellt ist. Über den Fenstern hängen eine Menge Portraite von Vicekönigen in Lebensgröße. Kurz, das ganze hat ein schönes, gefälliges und reinliches Ansehen.

Vielleicht ist es Ihnen nicht unangenehm, lieber Freund, einen Begriff von der hiesigen Universität zu haben? Man nennt sie the Trinity College, nach Art der Englischen Universitäten, die eine große Menge Collegien haben; hier aber ist alles in einem einzigen beysammen. Ich hab


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Ihnen schon vor einem Jahre von dessen Größe und dem Umfange der Gebäude geschrieben. Sie können sich einen Begriff davon machen, wenn ich Ihnen sage, daß, ausser den öffentlichen Hörsälen, der Bibliothek, dem Museum, Speisehause, Anatomie, eine Buchdruckerey etc. auf dreyhundert Studenten darinnen wohnen mit ihren Priorat-Hofmeistern, wenn sie welche haben, Aufwärtern und Bedienten. Auch ist da eine eigene Kirche und die Wohnungen aller Lehrer. Der Fond zur Unterhaltung alles dieses, und zur Bezahlung der Lehrer besteht in liegenden Gründen, die dem Collegium gehören. Die öffentlichen Examens und überhaupt alle öffentlichen Verhandlungen werden in einem großen Gebäude gehalten, das blos darzu ist. Man baut gegenwärtig ein neues, welches in einem schönen und großen Styl angelegt ist, mit einem Portale, das auf einer Säulenreihe ruht.

Das ganze Collegium, mit allem darzu gehörigen, steht unter dem Prevost, der einen ansehnlichen Rang und jährlich auf dreytausend Pf. hat. Er wohnt in einem schönen Gebäude, das neben der Vorderseite des Collegiums steht, und hat einen eigenen Garten. Hinter diesem ist ein Garten, oder vielmehr ein großer grüner Platz mit Sandgängen, und hinter diesen ist eine Art Park, von dem ich Ihnen vergangenes Jahr


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geschrieben habe. Es ist ein ungeheures Stück Grasland, mit Gängen und Alleen von alten Bäumen rings umher: ein herrlicher Platz! —

In der Buchdruckerey werden nicht nur alle Bücher und öffentliche Schriften für das Collegium, sondern auch andere gedruckt, und das Einkommen davon gehört der Universität.

Das Museum ist ein schöner, großer Saal, in welchem eine Sammlung von Naturalien, Münzen, Kunstwerken, Antiquitäten und Seltenheyten mancherley Art aufgestellt ist. Die ganze Sammlung zusammen ist sehr artig und interessant zu sehen; wenn man aber jeden Zweig besonders nimmt, so ist er höchst unvollständig, und will sehr wenig sagen. Ich habe Naturalien-, Antiquitäten- und Münzsammlungen von Privatpersonen gesehen, die weit beträchtlicher sind. Das artigste ist das, was Capitän Cook hierher geschickt hat, z. E. die Figur eines Otaheiten (Einwohners von Tahiti), wenn er in die Schlacht geht, und eine andere, wie man zu den Begräbnissen auf dieser Insel geht. Auch haben sie eine Mumie.

Die Anatomie und das chymische Laboratorium sind in einem Gebäude beysammen. Die anatomischen Präparate hab ich viel besser und zahlreicher zu Strasburg und an andern Orten


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gesehen; aber nirgends hab ich eine so ansehnliche Sammlung von wächsernen Figuren gesehen, als hier, besonders von Weibern in Kindsnoth. Sie sind alle in Lebensgröße und sehr gut gearbeitet. — Das Gerippe des so genannten Irischen Riesen ist sieben Fuß zehen Zoll lang, und sieht sonderbar genug aus. Weit sonderbarer aber ist ein anderes von einem Manne, dessen knorpelichte und feste Theile allmählig zu Knochen wurden. Er verlor nach und nach den Gebrauch seiner Füsse, seiner Ärme etc. etc., dann versteinerten sich seine Kinnbacken, so daß man ihm nur flüssige Sachen eingiessen konnte, bis er endlich gar keine Nahrung mehr einnehmen konnte, und so umkommen mußte.

Um noch etwas von dem eben genannten Irischen Riesen zu sagen; Berkeley, der nicht an Materie glaubte, stellte ohne Unterlaß Versuche an, die sehr sonderbar waren, und zum Theil ins Grausame fielen. Unter anderem fiel ihm ein, zu wissen, ob man den Menschen, durch künstliche Mittel, eine beträchtlich größere Länge geben könnte, als ihm die Natur zugedacht hat. Er nahm einen armen Knaben aus der Gegend von Cloyne, wo er damals Bischoff war, und dehnte ihn durch allerhand Mittel täglich aus, so daß der Knabe in seinem sechszehnten Jahre sieben Schuhe lang war. Allein seine Glieder waren


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ausser allem Verhältnisse, seine untere Kinnlade ungeheuer, und sein Schädel von gewöhnlicher Größe. Dabey war er äusserst schwach und gebrechlich an Körper und Seele und starb vor Alter in seinem zwanzigsten Jahre.

Der Versuch war in der That von grausamer Art; allein Sie werden die Neugierde und den Untersuchungsgeist des Bischoffs wenigstens einigermaßen entschuldigen, wenn Sie bedenken, daß er glaubte, die ganze Natur sey für physische Experimente gemacht, und daß er sich selbst eben so wenig davon ausnahm, als andere Geschöpfe. So verlangte ihn z. E. gar sehr, zu wissen, wie es einem Menschen zu Muthe sey, der am Galgen stirbt. Er hing sich also auf, doch so, daß er vorher alles zubereitete, um sich zu rechter Zeit zu helfen und sich vom Stricke los zu machen. Allein, um wahrhaft die Gefühle eines Gefangenen zu haben, mußte er die Rettung bis auf den letzten Augenblick verschieben. Kurz, er war nicht mehr mächtig, sich selbst zu helfen, und es war ein Zufall, der ihm sein Leben rettete.

Die Bibliothek ist vortrefflich eingerichtet, und steht in einem schönen Saale, der größer ist, als der, auf welchem die Leipziger Rathsbibliothek steht, ob schon schwerlich mehr Bücher hier


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seyn mögen, als auf jener. Über den großen Fenstern sind kleinere, um welche rings herum eine geräumige Gallerie geht, deren Geländer mit marmornen Büsten großer Männer, alter und neuer Zeiten, besetzt ist, und immer vermehrt wird. Die Bibliothek ist alle Tage offen, und, was noch mehr ist, wird gebraucht! Eigentlich hat niemand ein Recht darzu, als die Studenten, doch mögen auch andere Leute sehr leicht die Erlaubnis des Gebrauchs vom Direktor erhalten. Die Manuscripte werden in einem besonderen Zimmer aufbewahrt.

Der Prevost {Provost} ist so ziemlich souverain; doch ist die höchste Instanz ein Collegium, das aus dem Erzbischoff von Dublin, dem Lord Canzler, dem Prevost etc. etc. besteht.

Unter den Professoren ist jetzt ein Berliner, für die deutsche und französische Sprache, und ein Portugiese, für die spanische und italienische.

Ich schrieb Ihnen vergangenes Jahr, daß es zwey französische Kirchen hier gibt, aber das wußte ich nicht, daß die eine eine eigentlich reformirte, die andere eine anglikanische ist. Man macht aber so wenig Unterschied, daß einer der Geistlichen, der sonst an der reformirten Kirche


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stund, jetzt an der anglikanischen ist. Auch eine deutsche Gemeinde hat man hier, die größtentheils aus Dänen besteht; ihr Prediger ist auch ein Däne. Dieser so wohl, als die französischen Geistlichen, erhalten ihre Bezahlung durch den Vicekönig; dies geschieht zur Beförderung des Handels und zur Bequemlichkeit der Ausländer, die sich etwan hier niederlassen wollen.

Die Stadt Dublin wird täglich verschönert, und ob ich schon nur neun Monate abwesend gewesen bin, so finde ich doch eine Menge Veränderungen vor. Man mag aber die Stadt so sehr verbessern, als man will, so werde ich mich doch nie an den entsetzlichen Anblick gewöhnen, den die ungeheure Menge von Bettlern darbietet. Man ist nirgends vor ihnen sicher, so bald man zu Fuße geht, und es gibt Gassen, in denen sie einen Schaarenweise anfallen. Der schönste Spaziergang, den ich jemals im Innern einer Stadt gesehen habe, St. Steven's Green, ist für mich, aus dieser Ursache, der lästigste Weg, den ich kenne. Ich kann schwerlich eine ganz hinreichende Ursache dieser vielen Bettler angeben, ob man mir schon sagt, daß die Trägheit des gemeinen Volks, auf der einen Seite, und die Nachläßigkeit der Polizey, die in diesem Punkte vom Lord Mayor abhängt, schuld daran sind. Man versichert mich, es seyen hier, wie


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an anderen Orten, öffentliche Häuser, in denen man die Bettler beschäftigen könne. Im Ganzen muß ich die Bemerkung bestätigen, die ich schon vergangenes Jahr gemacht habe: daß es hier nur zwey Classen von Menschen zu geben scheint, Reiche und Arme! Alle Gassen wimmeln von Kutschen, Chaisen und Sänften, mit und ohne Kronen (coronets), von reitenden Bedienten und Livreen; ich sehe Pracht, Eleganz, gemahlte Wappen, etc, etc. und — arme, kothigte, elend gekleidete Leute. Einem, der von Manchester kommt, wo Wohlstand so allgemein ist, fällt dieses doppelt auf. — Ein anderer Umstand, der die Dürftigkeit der mittlern Stände zeigt, ist der Mangel an schönen Gebäuden, Gartenhäusern und Landsitzen um die Stadt herum. Der Adel und die Güterbesitzer haben ihre Sitze im Lande herum, und der mittlere Stand, der Bürger, der sich gewöhnlich zunächst um die Städte anbaut, scheint hier zu arm darzu zu seyn. Dublin gehört in den ersten Rang der Europäischen Städte, und in der Entfernung von einigen Meilen von ihr, ist nichts, schlechterdings nichts, das die große Stadt ankündigt.

Der Luxus unter den Reichen ist hier gewiß sehr groß! Es ist auffallend, wenn man zu Dublin die ungeheure Menge Boutiquen sieht, die alle eine Folge des Aufwands der Reichen


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sind. Modekrämer-Läden gibt es unzählige, und in allen guten Gassen sieht man alle Arten des feinsten und elegantesten Hausgeräthes, aller Art, hinter der gläsernen Vorderseite der Boutiquen aufgestellt. Die Verkäufer, welche öfterer Weibspersonen als Mannspersonen sind, sind fast durchgängig reinlich und modisch gekleidet. — Meine Kenntnis der hiesigen Einwohner ist, wie ich schon vergangenes Jahr klagte, ganz einseitig. Ausser zwey Englischen Hauptleuten und zwey Französischen Geistlichen, welche insgesammt Fremde sind, kenne ich hier keinen Menschen aus dem Mittelstande; ich sehe nichts als Vornehme und Reiche. Wenn ich in ein Haus komme, so bin ich gewohnt, eine Menge Bediente, ungeheure Zimmer, Camine von Italienischem Marmor, prächtige Bodenteppiche, alles Tischgefäße von Silber und feinem Porzellan, alle Meublen vom feinsten Stoffe und gutem Geschmack — kurz, Fülle und Überfluß zu sehen. Den Kaufmann, den Geistlichen, den Arzt, den Professor, den Künstler etc. etc., von allen diesen kenne ich nichts; wohl aber seh' ich die Armuth des niedrigsten Theils der Menschen, die sich in ihrer ganzen Blöße öffentlich zeigt. Setzen Sie sich nun in meine Stelle, und fühlen Sie, wie stark dieser Contrast auf mich würken muß!


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