Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 1

Dublin, den 13. Jun. 1784

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Herzlichen Dank, lieber Freund, daß Sie mich so bald nach meiner Landung in Irland mit einem Briefe bewillkommnen, denn schon hab' ich Ihren Brief vom 27. May erhalten. Dieser ist also nicht länger als sechszehn oder siebzehn Tage gelaufen, und ich bemerke mit Freuden, daß, wenn Wege und Wind gut sind, wir gar nicht so entsetzlich weit von einander leben.

Das Meer fängt allmählig an, mir günstiger zu werden. Wir landeten den 8ten früh um drey Uhr nach einer ziemlich sanften Überfahrt (ein seltenes Ding zwischen England und Irland) von vierzehn Stunden. Ich war diesmal nicht vier Stunden lang krank und auch in diesen litte ich nur sehr wenig. Dafür muß ich freilich jezt ein wenig bezahlen. Wer auf dem Meere krank ist, ohne sich zu übergeben, soll, nach der Landung, ein Brechmittel brauchen, um die Galle fort zu schaffen, die allemal erregt wird. Dies hielt ich für unnöthig, und so fühlte ich Hitze, Kopfschmerzen, Ermüdung und Entzündung in der Brust.

Wenn man auf dem Meere nicht zu viel von der Krankheit leidet und die Bewegungen des Schiffes nicht zu rauh sind, so ist so eine Überfahrt so unangenehm eben nicht! So wie wir


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auf die Bay von Holyhead steuerten, weidete ich mich mit Vergnügen an der Aussicht, die die hohen Berge auf beiden Seiten der Insel Anglesea und besonders das äusserste südliche Vorgebirge der Bay, gewähren. Nach drey Stunden verschwand der Anblick vom Lande, und ich fühlte, zum erstenmale in meinem Leben, die Größe, mit der das unermeßliche Gewölbe des Himmels einen jeden füllen muß, der nicht durch andere Umstände zum Fühlen unfähig gemacht ist. Da schwimmt der hölzerne Pallast dahin, und um mich her seh ich nichts als die runde, platte Scheibe des Meeres eingeschlossen, auf allen Seiten, durch eine halbe, ausgehöhlte Kugel, das Gewölbe des Himmels. Unsere Einsamkeit wurde auf eine Viertelstunde durch ein Schiff unterbrochen, das nach Parkgate segelte, und das wir in der Entfernung von etlichen Meilen sahen. Nachher erschien in einer geringeren Entfernung the King's Cutter, (eine Fregatte gegen die Contrebandirer) {Schmuggler} welche unser Paketboot mit der großen Flagge begrüßte. Jedes Begegnen auf dem Meere wird interessant.

Manche Leute wissen viel zu erzählen von dem Anblicke der beiden Küsten, den man ohngefähr auf der Mitte der Überfahrt haben soll. Sie sagen, man sehe gar deutlich gegen Osten das Vorgebirge von Holyhead, und gegen Westen


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die hohen Gebirge der Grafschaft Wicklow. Ich gestehe gerne, daß ich von vier Uhr an bis um neun Uhr, da ich zu Bette ging, keinen Schimmer von Land gesehen habe, ob schon das Wetter bis gegen Sonnenuntergang helle war. Alles war alsdann in Dampf gehüllt, und so bin ich noch nie so glücklich gewesen, einen Sonnen-Auf- oder Untergang mitten auf dem Meere zu sehen.

Bey der Einfahrt in die Dubliner Bay gibt es niedrige Orte, und da wir gegen eilf Uhr mit der Ebbe dahin kamen, mußten wir wieder zwey Meilen zurück steuern, weil der Wind zu stark war, um Anker zu werfen. Ohne diesen Umstand, und ohne die allemal langweilige Fahrt durch den letztern Theil der Bay hätten wir unsere Überfahrt in zehn oder eilf Stunden machen können.

Vorgestern war ich in einem der hiesigen Schauspiel-Häuser, in Smoak Alley {Smoke Alley}, und sahe Farghair's unanständiges und unmoralisches Lustspiel the beau Stratagem29. Das Haus ist nicht so groß wie das Leipziger, und hat, ausser dem Parterre, nur zwey Ränge Logen über einander, und die Gallerie. Gleichwohl sind gewöhnlich in diesem Hause die besten Schauspieler, und wie man sagt, ist es oft nicht voll. Von aussen hat es ein sehr schlechtes Ansehen; das


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Innere ist gut, ohne weiter etwas Besonderes zu haben. Des Vice-Königs Loge steht ganz auf dem Proscenium, und hat einen Baldachin. Ich sahe ihn und die Herzogin; er legte sich einmal weit aus der Loge heraus, um mit jemandem zu sprechen, wofür er zwey Minuten lang ganz entsetzlich ausgepfiffen wurde.

Erst künftigen Sonntag verlassen wir die Stadt. Mrs Siddons,30 dieses theatralische Wunder, die in ihrer Art viel größer seyn soll als Carrik war31, ist vor acht Tagen hier angekommen, und sollte zu Anfange dieser Woche auftreten. Allein dies ist von einem Tage zum anderen verschoben worden, und nun spielt sie erst auf den Sonnabend. Und dies ist die Ursache unsres langen Aufenthalts zu Dublin. Sie spielt auf dem kleinern Theater, und hat tausend Guineen für zwey und zwanzig Abende. Dieses kleinere Theater steht unter dem Vicekönig, das größere unter dem Mayor. Überdies ist auch ein Opernhaus hier, aber für Englische Oper. Glauben Sie wohl, daß ich nicht ein einziges mal dort gewesen bin? So gleichgültig bin ich gegen Dinge geworden, in denen ich sonst das höchste Interesse fand!

Dem Anscheine nach ist jezt hier alles ruhig, obschon in allen öffentlichen Blättern Feuer lodert.


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Der bessere Theil der Nation sieht mit Verachtung, mehr als vergangenes Jahr, auf alle die Schreyer gegen England und das Parlement. Ich sehe immer mehr und mehr, daß die Parthey, die so viele Unruhe in Irland stiftet, die nämliche ist, welche die Königin Maria aus Schottland vertrieb, Carln I. aufs Blutgerüste brachte, sich beständig der Krone widersetzte, und bey allen Gelegenheiten nach Independenz strebte. Kurz, die mehresten sind Presbyterianer, alte und neue (old light and new light) welche den eigentlichen Calvinisten am ähnlichsten sind, und gerade die nämlichen politischen Grundsätze haben, die die wahren Calvinisten überall und zu allen Zeiten gezeigt haben. Es sind die nämlichen, von denen ich Ihnen einmal schrieb, daß sie im letzten Kriege die Parthey der Amerikaner nahmen, und von denen gegenwärtig ein großer Theil für Fox ist. Kurz, sie sind beständig in der Opposition, und man findet ihrer unter den Kaufleuten mehrere, als vielleicht in irgend einer andern Classe. In England sind sie mehrentheils in sehr guten Umständen; viele derselben nennen sich aufs neue Whigs.