Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)
Brief 22
C***, den 14. Sept.
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Meine Kenntniß der Naturgeschichte hab ich hier gar sehr erweitert, wie wohl freilich nur in einem einzigen Zweige, nämlich der Seefische. Ich habe, vermittelst einiger Gelehrten, die Sache systematisch und klassisch verhandelt, und ich kann Ihnen jezt sehr genau sagen, wie der Rhombus, die Solea, der Scomber und andere Fische, aus denen die Lateiner sehr viel machten, aussehen und schmecken. Ich weiß, welche Fische
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auf dem mittelländischen Meere am besten sind, und welche an den Küsten von Irland und von Neu-Foundland. Ich weiß, daß die Amerikanische Schildkröte unendlich besser ist, als die Mediterranische, und daß man für letztere kaum eine Guinee gibt, indes man die erstere mit drey, vier, fünf und sechs bezahlt. Engländer und Iren sind unmäßig darein verliebt! Sie müssen öfters die Satyre Englischer Schriftsteller gelesen haben, wenn von der Glückseligkeit eines Londner Aldermanns die Rede ist, wenn er eine Schildkröte auf seinem Tische hat. Dieses arme Thier wird an den Küsten von Amerika gefangen, muß den ganzen langen Weg über den Ocean machen, sich oft viele Meilen weit zu Lande tragen lassen, dann noch oft viele Tage in einem engen Fasse schmachten, bis es die Ehre hat, für eine Gesellschaft von Europäischen Kennern sein Leben zu verlieren.
Scherz bey Seite Die moralischen Anmerkungen, deren man sich hier kaum erwehren kann, will ich Ihnen ersparen; aber das muß ich sagen, daß ich hier in meiner Erziehung versäumt worden bin, und daß ich alle diese Herrlichkeiten nicht nur äußerst unverdaulich, sondern höchst unangenehm im Geschmack finde. Ich gäbe für die herrlichste Amerikanische Schildkröte schwerlich ein Gericht guter Irischer Erdäpfel. Einmal brachte man einen Stör (Sturgeon) der
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neun Schuhe lang war und 217 Pf. wog. Das war nun eine große Herrlichkeit, und ich selbst wurde begierig und wartete mit Verlangen davon zu essen. Mir war, als ob ich ein Stück Leber auskaute, das vier Wochen in Fischtran gebeizt worden, und ich wußte nicht, wie ich mit Ehren den Bissen wieder aus dem Mund bringen sollte, den ich nicht ganz verschlucken, und noch weniger verdauen wollte.
Dieses weggerechnet, ist die Irische Küche delikat, überaus simpel und gesund, und der haut-gout hat hier bey weitem nicht so überhand genommen, wie auf dem festen Lande von Europa. Suppe gibts weder hier noch in England, weder zu Mittage noch zur Nacht. Wenn ja in manchen Häusern manchmal eine auf den Tisch kommt, so ist dies was besonderes, und ist eigentlich nicht viel anderes, als eine Fleischbrühe, besonders von Schöpsenfleisch.
Ich hab Ihnen wohl nie vom großen Irischen Canal geschrieben? man nennt ihn den großen, zum Unterschied eines oder mehrerer kleiner im Norden, und in der That ist es eine der größten Unternehmungen neuerer Zeit, die nicht durch eine Krone, nicht durch ein Parlement, sondern durch eine Subscription ausgeführt wird. Durch diesen Canal wird die Insel von Osten gegen
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den Südwesten schiffbar, der Liffey mit dem Shannon vereiniget, und also das irische Meer, oder der St. Georgen-Canal mit dem Ocean, queer durch die Insel. Man wollte diesen Canal von Dublin aus so viel als möglich in gerader Linie bis in die Gegend bey Athlone am Shannon führen, und auf einer neuen Karte von Irland ist er auch so angezeigt. Auf Kitchins Karte von Irland26 geht er ziemlich in gerader Linie von Dublin gen Westen. Allein, als es zur Ausführung kam, mußte man ihn nicht nur durch einen Sumpf von mehr als zwanzig Meilen leiten, sondern es fanden sich auch so viel andere Schwierigkeiten, daß man ihn gen Süden bringen mußte, bis tief hinab in die Grafschaft Queens-County27 Ich glaube, daß er diesen Sommer bis Maryborough in dieser Grafschaft fertig werden sollte, welches denn die Hälfte des ganzen Werks wäre.
Die Iren machen sich große Hoffnungen von diesem Canale; allein Lord T*** hat mich versichert, daß er, wenigstens jetzt, gar nicht die großen Vortheile einsähe. Inländische Schiffahrt ist einem Lande nur alsdann recht nützlich, wenn allgemeine Industrie in den innern Provinzen herrscht, und die Ausfuhr ihrer künstlichen sowohl als natürlichen Produkte, durch einen Canal befördert wird. Von dieser Art ist der
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Bridgewater Canal, und verschiedene andere in Nord-England, auf welchen nicht nur alle natürliche Produkte, besonders Steinkohlen, überaus leicht und wohlfeil von einem Orte zum andern, und in die Seehäfen gebracht werden; sondern durch welche auch Manchester, Warrington, Leeds und eine Menge anderer Städte, in denen viele hundert Fabriken sind, ihre Waaren in die Seehäfen, hauptsächlich nach Liverpool führen, und von daher, mit der nämlichen Leichtigkeit, Seide, Baumwolle und alle ausländische Waaren erhalten. Industrie und Handel existirten hier zuerst, und die Canäle wurden nachher gegraben. Allein damit geht es in allen Ländern nur langsam, und in Irland besonders langsam; und so wird dieser Canal zwar immer nützlich seyn, aber den Erwartungen der Iren nicht eher entsprechen, bis der Geist der Nation allgemein thätiger wird. Ich sah ein Stück von diesem Canal, ohnweit Dublin, und fand ihn überaus schön. Er scheint dauerhaft angelegt zu seyn, hat eine Reihe von Ulmen an seinem Ufer, und der Weg für die Pferde ist schön und fest.
Die Münze in Irland ist vollkommen die nämliche, wie in England, nur mit dem Unterschiede, daß der silberne geprägte Schilling, anstatt 12. Pence, 13. gilt, und folglich die Guinee 22. anstatt 21.
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Ich weiß nicht, woher diese Verschiedenheit kommt, aber das weiß ich, daß man um nichts gebessert ist, und daß man anstatt einen Schilling S. 1.1., und anstatt einer Guinee P. 1. 2. 9. bezahlt, so daß diese Verschiedenheit zu nichts dient, als die Rechnungsart beschwerlich zu machen, weil man beständig ungleiche Zahlen bekommt. Die halben Pence, die hier gäng und gäbe sind, werden auf der Insel geschlagen, und sind ganz nach dem Fuße der Englischen; auf der einen Seite ist das Portrait des Königes, und auf der andern, anstatt der weiblichen Figur Englands, die Irische Laute.28 Es ist eine Kupfermünze, die an Größe und Werth von dem französischen Sols wenig unterschieden ist. Da man weder hier noch in England keine kleinere Silbermünze hat, als die halben Schillinge, so würde es sehr beschwerlich seyn, eine so große Kupfermünze als die halfpence sind, in der Tasche zu tragen; allein die Krämer wissen glücklicherweise dieser Beschwerde abzuhelfen, und bis jetzt bin ich wunderselten im Falle gewesen, von dieser Münze Gebrauch zu machen, weil man gewöhnlich Schillinge und halbe Schillinge Six-pence fordert, und diese sind klein genug.
Irland ist, für mich, eher theurer als wohlfeiler, denn England. Die Lebensmittel
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mögen im Ganzen hier wohlfeiler sein, so wie auch die Leinwand; alles Übrige aber, was zur Kleidung gehört, steht gewöhnlich hier in einem höhern Preise. Alles, was aus England kommt, ist ganz natürlich hier theurer als dort, weil nicht nur die Fracht und der Gewinnst des Kaufmanns darzu kommt, sondern auch, weil die mehresten Englischen Waaren bey der Einfuhre nach Irland Abgaben bezahlen, und neue Englische Waaren, die ich in meinem Koffer habe, muß ich hier bey der Landung veraccisiren {verzollen}, oder sie sind contreband {Schmuggelware}.
Der Wein ist durchaus wohlfeiler in Irland, als in England, weil ihn der Ire gerade aus Frankreich, Portugal und Spanien hohlt, und bey der Einfuhr in sein Land nicht so viel zu bezahlen hat, als der Engländer in dem seinigen. Daher kommt es, daß man auch in den Wirthshäusern oft ziemlich guten Wein findet, da hingegen in dem Getränke, das man in den Englischen Wirthshäusern für Wein gibt, oft nicht ein Tropfen Wein ist. Es ist eine Art Brandtewein, oder Rum versetzt mit Honig, Zucker-Wasser etc. und mit Pflaumen- oder Schleensaft, wenn rother verlangt wird. Man braucht noch andere Ingredienzien, um einer jeden Weinart den Geschmack zu geben, den die wirkliche dieses Namens hat. Ein solches Getränke, ob schon kein
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Traubensaft, ist weder ungesund, noch unangenehm, noch wohlfeil; die Bouteille kostet gewöhnlich eine halbe Krone. Selbst an den Familientafeln in England, wird oft ein gemachter Wein gegeben, z. E. von Honig, oder von Rosinen, beide sind sehr gut. Nebst dem haben sie Stachelbeeren- oder Johannisbeeren-Wein; beyde sind stark und gut. Selbst der Birn und Äpfelmost (cider) sind oft überaus stark und sehr angenehm zu trinken; und ob schon beide im Lande gemacht werden, so wird doch oft die Flasche mit einem Schilling und mehr bezahlt. Der gewöhnliche Preis des Clarets (Bordeaux rouge) ist eine Krone, und für guten Burgunder und Champagner bezahlt man noch mehr. Demohngeachtet wird an den Englischen Tafeln so viel und mehr Wein getrunken, als in irgend einem Lande, und man gibt oft vier, fünf bis sechs verschiedene Sorten, Punch und Rum ungerechnet.
Die Kleidertracht der Iren ist von der Englischen wenig oder gar nicht unterschieden. Ein extrafeines Tuch, ein äusserst feiner Hut, seidene Beinkleider, seidene Strümpfe, weisse Westen und die feinste Leinwand zum Hemde, sind die gewöhnliche Tracht, und der ganze Staat. Man trägt hier und in England die Röcke von einer Art, die wir auf dem festen Lande Neglische und Fracken nennen, und die Weste gewöhnlich
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kurz abgeschnitten. Ganze Kleider werden nur bey ausserordentlichen Gelegenheiten getragen, und sind im gewöhnlichen Leben, und selbst in den Conzerten und größern Gesellschaften so selten, daß ich weder hier noch in England meine mitgebrachten Kleider tragen kann, wenn ich nicht eine Aufmerksamkeit erregen will, die höchst unangenehm ist. Ein Mann, der mit einem Haarbeutel, einem Degen und dem Hute unter dem Arme, zu Fuße auf der Gasse ging, würde vom Pöbel und Gassenjungen verfolgt, wo nicht gemishandelt werden. Selbst in London, wo doch beständig so viele Fremde sind, würde so ein Unfug allgemeine Aufmerksamkeit erregen. Gold und Silber sind auch höchst selten; doch passirt es überall, wenn es nur kein ganzes Kleid, und kein Haarbeutel dabey ist.
Der gemeine Mann in Irland ist bey weitem nicht so gut gekleidet, als in England, und noch auffallender ist der Unterschied in der Unreinlichkeit. Überhaupt zeigt sich hier ein merklicher Unterschied. In England scheint der Große so wohl, als die Gesetzgebung und ganze Regierung des Landes, eine gewisse Achtung für die niedern Stände zu zeigen; hier hingegen steht der gemeine Mann äusserst tief. In England gibts eine Menge Dinge, die blos für die Bequemlichkeit und zum Besten der niedern Stände
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sind; hier sieht man so wenig davon, als in Frankreich und in den mehresten deutschen Monarchien.
Die Frauenzimmer in Irland kleiden sich mit vielem Geschmack, und ihre Tracht ist von der des festen Landes, welche überall mehr oder weniger, die französische ist, wenig unterschieden. Sie beobachten, so wie überall, sehr genau die neuen Moden, ohne sich von den französischen despotisiren zu lassen. Auffallend war mirs, Kleider mit Schleppen bis in die niedern Stände herab zu sehen. So tragen z. E. alle Stubenmädchen hier im Hause, Röcke mit Schleppen und große Hauben. In diesem Aufzuge kehren sie täglich alle Zimmer aus, machen die Betten, und bringen Wasser in die Schlafzimmer.
Und hier, lieber Freund, lassen Sie mich meine Bemerkungen über ein Land enden, dessen Bekanntschaft ich mit Vergnügen gemacht habe. Komme ich, wie ich hoffe, künftiges Jahr wieder hierher, so will ich diese Bemerkungen, so wie ich mit dem Lande und den Menschen darinnen noch besser bekannt werde, fortsetzen und erweitern, und bey Gelegenheit die Irrthümer verbessern, die sich etwan in die gegenwärtigen Bemerkungen eingeschlichen haben. Ich bin weit davon entfernt, zu glauben, daß meiner Aufmerksamkeit nichts entgangen seyn sollte, und
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wenn ich eingestehe, daß in meinen Beobachtungen Fehler vorgegangen sind, so thue ich weiter nichts, als was jeder ehrliche Reisebeschreiber willig eingesteht, weil er aus der Erfahrung weiß, wie schwer es ist, gut und richtig zu sehen, und jedesmal den rechten Standpunkt zu treffen, von wo aus man seine Beobachtungen anstellen muß.
In einigen Tagen gehe ich wieder nach England zurück, und da ich in Manchester wahrscheinlich bald eine Gelegenheit finden werde, so will ich Ihnen von dort aus diese Papiere zuschicken.