Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 20

Kilkenny, den 9. Sept.

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Mit Vergnügen führe ich Sie in diese Stadt, die vor andern Städten Irlands, so wie auch die Gegend umher, so vieles voraus hat. Die Luft ist hier reiner, der Himmel heiterer, die Tinten {Farben} der Landschaft wärmer, und die Steinkohlen haben einen feinern Rauch, weil man eine besondere Art brennt, die hier gefunden wird. Die Stadt liegt auf zwey mäßigen Anhöhen, von denen man eine reizende Aussicht auf ein Land hat, das besser gebaut und stärker bewohnt ist, als an andern Orten dieser Insel, die ich gesehen. Kurz, hier vereinigt sich alles, um der Sitz des größten, reichsten und mächtigsten Edelmannes zu sein, der je existirte. Ich rede vom Herzoge von Ormond, diesem großen, mächtigen Manne, der in der Geschichte Irlands so merkwürdig ist, und dessen Nachkommen ihm so unähnlich sehen. Lassen Sie mich, lieber Freund,


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Ihnen einiges von der Geschichte dieser Familie erzählen.

Mir fiel zu C*** ein Werk in die Hände, das in drey Folianten enthielt —— die Geschichte Jakobs II Herzogs von Ormond. Sie können denken, daß meine Aufmerksamkeit und Neugierde nicht wenig erregt ward. Freilich hatte ich keineswegs Lust, drey Folianten zu lesen, um die Geschichte eines Edelmannes zu lernen; aber den Eingang mußte ich lesen. Der Verfasser geht in ein spätes Alterthum zurück, und beweißt, daß die Herren Butler (dies ist der Familienname) ich weiß nicht, ob im neunten oder zehnten Jahrhunderte schon berühmt waren. Dann zeigt er, daß sie schon in den Akten des zwölften Jahrhunderts als Butler von Irland vorkommen. Dies war eine Würde, die sich ohngefähr durch Erzschenke übersetzen ließ, denn im Englischen heißt butler das, was die Franzosen Maître d'Hotel oder bouteiller nennen. Als solche hatten die Herren Butler gewisse Rechte und Einkünfte in Irland. Dann bekamen sie die Peerschaft und hießen Earls of Butler, und zuletzt wurden sie in den Herzogsstand erhoben und bekamen den Titel Ormond. Und nun fiel diese Familie auf einmal. Der unglückliche Herzog von Ormond verlohr unter Georg I. nicht nur den Herzoglichen Titel, sondern auch die Peerschaft


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und fast alle seine Güter. Er selbst flohe nach Frankreich, und hatte nie Muth genug, gleich anderen zurück zu kommen und auf Discretion Gnade zu suchen.

Man hat mich versichert, daß sein jährliches Einkommen sich auf 300,000 Pf. belief, welches denn beynahe zwey Sächsische Millionen wären. Da ich diese Summe viel zu übertrieben glaubte, so fragte ich andere Leute darüber, und diese sagten mir, daß die Familie jezt so viel aus den Gütern ziehen würde, wenn sie sie noch hätte. Dies macht nun freilich einen Unterschied, weil seit der Zeit alle pretia rerum ausserordentlich gestiegen; aber die Summe ist noch immer so ungeheuer, daß ich schlechterdings nicht daran glauben kann. So viel ist indessen gewiß, daß ihm fast die ganze Grafschaft Kilkenny gehörte, und daß er ansehnliche Güter in verschiedenen andern Provinzen hatte. Ausser seinem Residenzschlosse zu Kilkenny hatte er Lustschlösser und eine Menge Landhäuser, und hielt eine Art Hof, von dem seine Familie noch diese Stunde etwas beybehält, ob sie schon keinen anderen Titel hat, als Herr und Frau Butler. Das gegenwärtige Haupt der Familie soll jährlich 12,000 Pf. haben. Er läßt seine Kinder in England und in der hohen Kirche erziehen. Man vermuthet, daß der älteste Sohn, so bald er mündig


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ist, das wird thun sollen, worzu der Vater zu stolz war. Wenn er sich als Protestant dem König darstellt und um Gnade bittet, wird er ganz gewiß die Peerschaft wieder erhalten, und vielleicht auch etwas von den verwirkten Gütern.

Das Schloß zu Kilkenny hat, ehe man hinein kommt, vollkommen das Ansehen der Residenz eines Fürsten; wenn man aber in den Schloßhof kommt, so sieht man, daß von den vier Seiten, welche das Quadrat des ganzen ausmachen, eine völlig in Ruinen verfallen, eine zweyte schlecht reparirt, und die dritte unbrauchbar ist. Und doch ist in der vierten noch Platz genug für eine Familie, die auf einem so großen Fuß lebt, als die Butlerische. Das Innere dieser Seite zeigt noch immer die ehemalige Größe. —— Man vergleicht dieses Schloß, wegen der Aussicht und der Gegend umher, mit Windsor-Castle, dem großen Schloße, das Wilhelm der Eroberer, Eton gegenüber, baute, und wo der jetzige König sich oft aufhält. Sie kennen diese Gegend, lieber Freund, aus Povens Forests of Windsor22. Diese Aussicht füllte mich mit ausserordentlichem Vergnügen; sie hat wirklich etwas Italienisches, und vereinigt damit Cultur und romantische Wildheit.


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Aber fast eben so anziehend als sie, sind ein Paar Gemählde, von denen Twiß nichts erinnert, und wovon das eine eine Madonna mit dem Christkinde ist. Man hatte schon vorher meine Aufmerksamkeit darauf erregt, durch eine Geschichte, die mir sehr abentheuerlich vorkommt. Der König von Preussen habe nämlich von diesem schönen Correggio gehört, habe ausdrücklich deswegen einen Kenner nach Kilkenny geschickt, und 30,000 Pf. dafür anbieten lassen. Gestehen Sie, daß dieses eine Anekdote ist, die wohl verdient, wieder erzählt zu werden. Der König von Preussen, der 30,000 Pf. für einen Correggio bietet! Auch dann noch, wenn ich die Pfunde in Thaler verwandele, ists noch auffallend genug. —— Ich sahe nun dieses Gemählde, und vermuthe, daß man sich mit dem Namen des Mahlers geirrt hat, denn es ist vermuthlich ein Raphael, kein Correggio. —— Daß die Familie auch eine noch größere Summe ausgeschlagen haben würde, versteht sich.

Irische Schriftsteller nennen Kilkenny sehr majestätisch — die Marmorstadt. In der That sind nicht nur eine große Menge schlechter Häuser, Treppen, Gartenmauern, etc. etc. von Marmor, sondern es ist auch eine ganze Gasse damit gepflastert. Dies fiel mir nun im geringsten


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nicht auf, denn das schlechte Städtchen Aelen im Canton Bern ist gerade im nämlichen Falle. Die Ursache ist, daß es da so eine große Menge Marmor gibt, daß jede andere Steinart, wegen der Zufuhr, theurer seyn würde. Ich sahe verschiedene Hütten um die Stadt herum, die um nichts besser waren, als die Irischen Hütten, die ich Ihnen beschrieben habe. Sie waren aber von Marmor, welcher vermuthlich näher und wohlfeiler war, als Leim und Stroh.

Auf der andern Anhöhe der Stadt steht der Pallast des Bischoffs von Osseri {Ossory}, welcher nichts mehr und nichts weniger als ein mittelmäßiges Haus ist. Von der Bischöflichen Kirche, welche dicht darneben steht, hab ich sehr viel in einem Tour through Ireland gelesen; ich habe aber nie die erhabenen Merkwürdigkeiten daran ausfindig machen können, ob es schon ein großes, altes und ehrwürdiges Gebäude ist.

Mit weit mehr Aufmerksamkeit betrachtete ich ganz nahe bey dieser Kirche, einen jener Thürme, die Irland besonders eigen sind, deren Twiß bey zwanzig auf der Insel zählt, und aus denen kein Mensch weiß, was er machen soll. Ich habe deren drey gesehen, keiner


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aber ist so vollkommen erhalten, als der hiesige. Alle Antiquaren haben sich die Köpfe darüber zerbrochen, und jeder hat eine eigene Muthmassung. Sie sollen aus den Zeiten der Dänen herstammen, gleichwohl aber gibts in Dänemark keine. Sie sind alle rund, fast alle von gleicher Höhe und gleicher Dicke, haben alle fast keine andere Öfnung als eine kleine Thüre, die aber so hoch über dem Boden ist, daß niemand mit der ausgestreckten Hand auch nur bis an de Fußschwelle reichen kann, und alle stehen nahe bey einer Kirche, oder wenigstens bey Trümmern, die ehemals eine Kirche waren. Mit den Muthmassungen der Gelehrten darüber, will ich Sie verschonen, um Ihnen das Vergnügen nicht zu rauben, Ihre eigenen zu machen. Ich selbst habe gar keine gemacht, sondern gestehe demüthig meine tiefste Unwissenheit.

Übrigens sind in Kilkenny eine Menge Familien, die von ihren Renten leben; der Handel wird in solchen Städten höchlich verachtet, und die Gesellschaft ist sehr angenehm, weil man aus dem geselligen Leben und seinen Annehmlichkeiten ein Studium macht. Hier haben Sie vollkommen die Beschreibung von Lausanne und ohngefähr vom ganzen Pays de Vaud. Man legt sich auf Ton, Annehmlichkeit, Moden, Liebenswürdigkeit; man sinnt Feste,


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allerhand Spiele und hunderterley Dinge aus, die Zeit angenehm hinzubringen, während daß der Einwohner von Basel, Manchester, Frankfurt, Hamburg, etc. etc. auf seinem Comptoir sitzt, und, wenn er Abends in Gesellschaft kommt, manchmal auf seinem Gesichte eine Rechnung von Procenten trägt.

Der Bischoff setzte die Anzahl der Einwohner von Kilkenny auf 12,000 und in der That wäre genug Platz für sie in dieser Stadt, welche Twiß eine kleine, angenehme Stadt (a pleasant little town) nennt; allein ich glaube nicht, daß die Bevölkerung so stark ist; ich bin zu sehr an Vergrößerungen dieser Art gewöhnt. — Man kann diese Stadt durch zwey Hügel, in zwey Theile theilen, deren einen man die Irische, den andern die Englische Stadt nennt.