Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 19

C***, den 7. Sept.

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Die einzige Ordnung, die ich in diesen Briefen beobachte, ist, daß ich so viel als möglich die Gegenstände mische, um wenigstens von dieser Seite nicht langweilig zu werden. Heute also von etwas anderm, und zuerst von der Sprache der Irländer. Sie wissen, daß diese Nation eine eigene hat; aber das wird Sie befremden, daß man unter Leuten vom Stande fast niemanden findet, der sie versteht. Die mehresten verstehen nicht das Geringste davon, und kennen keine andere Muttersprache, als die Englische. In der That wird aller Schulunterricht und aller Gottesdienst in der Englischen gehalten, welche so ziemlich jedermann versteht, wenigstens sind die Ausnahmen selten. Gleichwohl spricht bey weitem der größte Theil der Nation Irisch, denn der Pöbel redet unter sich keine andere Sprache. Bücher gibt es keine darinnen, als einige Gebet-Bücher,


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und die Bibel, und auch von dieser weiß ich nicht, ob man sie ganz hat. Ich habe öfters, wenn ich Landleute beysammen gefunden, scharf aufgehört, habe aber nie das allergeringste davon verstehen können. Sie ist ganz guttural, selbst noch mehr als die Züricher, und äusserst unangenehm fürs Ohr.

Ich habe nicht bemerkt, daß sie irgend eine besondere Ähnlichkeit mit den Sprachen hätte, die mir mehr oder weniger bekannt sind. Manchmal glaubte ich, ein Italienisches Wort zu hören, und auf Nachfrage hab ich gefunden, daß einige die nämliche Bedeutung hatten, als die nämlichen Worte in dieser Sprache. Daß sie mit der Englischen Sprache viel mehr Ähnlichkeit habe, als mit irgend einer anderen kultivierten, kann ich nicht finden. Sie können selbst zusehen, wenn Ihnen etwan Twiß in die Hände fällt, in dessen Reisebeschreibung sich ein Verzeichnis von etwan hundert Worten findet. Mit der Wallisischen und Schottischen soll sie sehr viel Ähnlichkeit haben, so sehr, daß manche Leute dieser drey Nationen sich bis auf einen gewissen Grad sollen verstanden haben. Wenigstens ist das Wallisische eben so guttural, hart und unangenehm. Ich habe gefragt, ob sie mit dem Celtischen, z. E. {zum Exempel} mit dem Originale von Ossian, viel Gleichheit habe;


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ich vermuthe es, aber niemand konnte mir es sagen. Von dem Englischen, das die gemeinen Leute hier sprechen, versteh ich nur sehr wenig.

Was der Landschaft hier einen Theil ihres Reizes benimmt, ist die Kahlheit ihrer Berge. So weit als ich das Land hier rings herum kenne, so hab ich überall die höhern Theile der Berge ganz ohne Waldung gesehen. Da das Land sonst ganz voller Wälder war, sahe man dies als ein Zeichen der Wildheit und für ungesund an, und setzte allen denen einen Preiß aus, wie in den unangebauten Gebieten von Amerika, die die Wälder ausrotten würden. Man ging nun wacker daran, haute die Wälder nieder, ohne etwas an ihre Stelle zu setzen, oder, wegen der Höhe, Beschwerlichkeit und Schärfe der Luft, setzen zu können. Das Vieh, das man nachher dahin schickte, rottete nach und nach auch die jungen Sprößlinge aus, die etwan aus den alten Wurzeln hin und wieder hervorwuchsen. Auf diese Art sind nun die Berge kahl, wenn nicht etwan ein Gutsherr einen Theil derselben sorgfältig wieder angebaut hat, und es wächst nichts auf denselben, als Farren- und Heidekraut, (bruyere) ein Mittelding zischen Gras und Gestrippe, dessen Samen der Auerhahn sehr liebt, weswegen ihn auch die Franzosen Coc de bruyere nennen. Einiges hat


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eine weisse Blüthe, anderes ein rothe. Eine dritte Gattung, die die Engländer furs {furze} nennen, hat eine gelbe Blüthe, wächst ziemlich hoch und findet sich sehr häufig an allen ungebauten Orten in Irland so wohl als in England.

Wegen Mangel der Wälder gibt es hier kein anderes Wildpret, als Haasen und Kaninchen; die Damhirsche findet man blos in den Parken, der eigentliche Hirsch ist sehr selten, und Rehe gibt es keine, so wenig als wilde Schweine. Wildes Geflügel aller Art und mehr, als ich auf dem festen Lande kenne, gibts in großer Menge, Wölfe nur sehr wenig; Füchse desto mehr, denn sie werden, wegen der par force Jagd, nie getödet, sondern sorgfältig erhalten.

Giftige Thiere, als Scorpionen, Schlangen, Kröten, etc. etc. findet man auf der ganzen Insel nicht. Man hat den Versuch gemacht, es bleibt aber keine am Leben. Was die Ursache dieses wunderbaren Phänomens seyn mag, kann mir niemand sagen. Auch waren sonst keine Frösche in Irland. Erst unter Wilhelm III. hat man sie herübergebracht, und noch jezt sind sie in geringer Anzahl und machen keyn Geschrey, wie auf dem festen Lande. —


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Die Eichen schätzt man hier vorzüglich wegen ihrer Schaale zum Schwarz färben, und weit mehr wegen des Schiffbaues. Sie werden, für den letztern Zweck, selbst den Englischen vorgezogen, weil sie sich noch weniger als diese, splittern. Wenn eine Kanonenkugel in ein Schiff geht, so thut sie gewöhnlich weit weniger Schaden, als die Holzsplitter, welche umher fliegen und die Mannschaft mehr verstümmeln als tödten. Die Irische Eiche läßt die Kanonenkugel durch, und bekommt blos ein rundes Loch. Diese Eichen aber sind klein, und gegen unsere deutschen sehr mager und unansehnlich. — Desto größer und schöner sind die hiesigen Eschen, Buchen und Ulmen. Ja es gibt hier alle Arten von Bäumen, die ich nur irgendwo zerstreut gesehen habe. Dem ohngachtet verbraucht man weit mehr Steinkohlen, als Holz. Öfen gibt es hier so wenig als in England.

Die herrschende Religion ist in Irland die nämliche als in England, d. i. die Bischöffliche, oder so genannte hohe Kirche. Für diese sind hier vier Erzbischöffe und achtzehn Bischöffe, deren Einkünfte im Ganzen beträchtlicher seyn sollen, als die der Englischen.20 Dem Bischoffe von Derry


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gibt man jährlich auf neuntausend Pfund; dem Erzbischoffe von Armagh nicht viel weniger. Der von Osseri {Ossory}, welches nur ein Anfangs-Bisthum ist, dreytausend. — Ich vermuthe, daß dies alles, wie gewöhnlich ein bisgen vergrößert ist. Diese Summen sind aber so stark, daß, wenn man sie auch um ein Drittheil herunter setzte, noch immer eine gewaltige Summe bleibt für Männer, die nicht den Aufwand zu machen brauchen, zu dem gewöhnlich die katholischen Bischöffe auf dem festen Lande genöthigt sind. Nebst dem haben sie den Vortheil, daß sie ihre Brüder, Söhne, Neffen etc. etc. versorgen, und zwar so versorgen können, daß sie manchmal einem zwey, drey Pfarreyen geben können, ohne daß das Publikum sich darüber aufhält. Der Bischoff von Osseri {Ossory}, soll über tausend Pfund aus seinen Pfarreyen gehabt haben, ehe er Bischoff ward. Diese Pfarreyen (Livings) läßt man durch junge oder arme Geistliche besorgen, die der Pfarrer (Rector) nach Belieben wählt und bezahlt. Sie heißen Curates.

Dieses geschieht gar sehr auch in England. Gewöhnlich beobachtet der Bischoff, in Vergebung


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der Pfründen, einen gewissen Anstand; denn wenn er es zu arg macht, so zieht er sich allgemeines Geschrey und Verachtung zu. So hatte z. E. ein Bischoff seinem Sohne — ich weiß nicht ob eilf oder dreyzehn Pfründen gegeben, und wurde dadurch das Scandal des ganzen Landes. Einst schrieb er einem seiner Geistlichen, er werde Morgen durch den Ort reisen und wünsche, daß der Pfarrer für ihn, seinen Sohn und seinen Bedienten die Mahlzeit bestelle. Der Pfarrer sagte dem Wirthe, der Bischoff von — werde Morgen mit samt seiner ganzen Klerisey hier her kommen, und der Wirth rüstete eine Mahlzeit für zwanzig Personen.

Was den Irischen und Englischen Bischöffen ihre Einkünfte ein wenig schmälert, ist, daß sie ein Haus in der Hauptstadt halten, und als Peers, den Winter da zubringen müssen. Die Bank der Bischöffe kommt, im Hause der Lords, nach der Bank der Earls, und erst nach ihnen kommen die Viscounts und Barons. Sie haben, wie alle Peers, den Titel Mylord, aber ihre Gemahlinnen sind nicht Myladies. Auch setzt man den Lordstitel nie zu ihrem Namen, z. E. Lord Beresford, sondern man sagt: Mylord the Bishop of Ossery {Ossory}. Auch heißen ihre ältesten Söhne nicht right honourable, wie die ältesten Söhne der gebohrnen Peers. Dies ist eben so in England.


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Neben der herrschenden Kirche haben in England freie Ausübung des Gottesdienstes auch — die Presbyterianer, welches hauptsächlich die Religion der Schotten ist; die Dissenters, die Methodisten, die Quacker etc. etc. Eben so auch in Irland, aber es gibt hier von allen diesen Gemeinden nur wenige, da England hingegen voll davon ist. Der Gottesdienst wird in England und Irland regelmäßiger besucht, und der Sonntag heiliger gehalten, als ich noch in irgend einem Lande gesehen habe. An Musik, Tanz und öffentliche Vergnügungen ist nicht zu denken; kein Frauenzimmer rührt ihre Filosche21 oder Sticknadel an, und in der Karte wird fast nirgends gespielt, so wenig als mit Würfeln. Selbst in Dublin und London bin ich über den Anstand erstaunt, mit dem der Sonntag in diesen Hauptstädten gefeiert wird.

Eben so sehr fällt mir auch die Liturgie auf, wo alle Sonntage alle Zuhörer eine so große Menge Gebete auf den Knieen verrichten, daß ich es, der ich es nicht gewohnt bin, auch jezt noch kaum aushalten kann. Unter diesen Gebeten ist die ganze lange Lutherische Litaney, welche der Geistliche alle Sonntage verließt, wobey der Küster den Chorus macht, und das We beseech thee to hear us, Good Lord (erhöre uns lieber Herre Gott) und das Deliver us,


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Good Lord (behüt uns lieber Herre Gott) statt der Gemeinde betet. Evangelium und Epistel wird auch, wie in Sachsen, verlesen, so wie der christliche Glaube alle Sonntage wiederhohlt wird. Anstatt der Lieder werden Psalmen vorgelesen, und nur der Küster singt ein Paar Verse, während der Zeit der Klingelbeutel herum geht.