Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 18

Clonmel, den 3. Sept.

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Ich bin hier für einige Tage, um die Musterung und Operationen von 1200 Volunteers zu sehen. Der Ort selbst, obschon die Hauptstadt der Grafschaft Tipperary, hat für mich nichts merkwürdiges, als daß es Sterne's Geburtsort ist. Sein Vater, ein Offizier, stund hier in Garnison, als ihm sein Lorenz geboren ward. Ich bin versichert, daß das wenige Leute hier wissen, und das Haus, in dem er geboren ward, hat nicht die Ehre der Wallfahrten, die so häufig in das Haus zu Stratford geschehen, in welchen Shakespear geboren ward. Auch hat ihm niemand ein Denkmal errichtet. Armer Sterne! Wohnte ich zu Clonmel, ich wollte dir, gleich deinem Yorik, wenigstens einen einfachen plattliegenden Stein stiften, für das Vergnügen, das manche Stellen deiner Schriften


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mir gemacht haben, mit der Aufschrift: Alas, poor Yorik17

Die Gegend, in der Clonmel liegt, ist reizend, und der Weg dahin nicht weniger schön. Eine lange, liebliche Ebene, die sich zwischen hohen Bergen hinzieht, vom Sure durchwässert, der hier klein und ruhig in seinen grünen Ufern fließt, weil er nicht mehr von der Fluth, welche nur bis auf ein paar Meilen über Carik liegt, beunruhigt wird.

Doch dies ist nicht, wovon ich Ihnen schreiben wollte, lieber Freund! Ich denke Sie von hier aus mit einem langen politischen Kapitel zu strafen, mit einer Begebenheit, die einzig in ihrer Art ist, die in der Irischen Geschichte auf die eine oder andere Art Epoche machen wird, und die in ihren Folgen eben so wichtig ist, und vielleicht noch werden wird, als ihr Anfang unbedeutend war. Sie werden leicht errathen, daß ich von den Volunteers reden will, von denen wir seit drey Jahren genug in den Zeitungen gelesen haben, und durch welche nach und nach die Veränderungen bewirkt worden sind, durch welche Irland nun beynahe ein eigenmächtiges Reich geworden ist.


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Der Anfang dieser Volunteers war ganz gering, wurde zu Dublin Castle verspottet und zu St. James verlacht. Aber es war ein Ungeheuer, das, gleich der Fama, im Gehen Kräfte erlangte und in kurzer Zeit zum Riesen empor wuchs. Nunmehro ist es eine Gewitterwolke, die, unglückschwanger, über England hängt, unaufhörlich donnert und alle Augenblicke zu bersten droht. Der Geist der ganzen Nation ist dadurch verändert worden.

Irland war im letzten Kriege von aller Bedeckung entblößt. Alle Truppen waren in Amerika, und selbst in England behielt man nicht einmal so viel, als nöthig war, das Land gehörig zu decken. Engländer haben mich versichert, daß sie diese Stunde noch nicht begreifen können, warum die Franzosen keine Landung gewagt, die gewiß hätte gelingen müssen; wenigstens, sagt man, wäre es leicht gewesen, die Häfen Portsmouth und Plymouth zu zerstören. Dem sey wie ihm wolle, die Iren erwarteten mit Zuverläßigkeit eine Landung, erwarteten sie mit Gewißheit, und die ganze südliche Küste zitterte. Die Personen, die hier herum Güter haben, haben mir eine schauerliche Beschreibung von der Angst gemacht, in der sie waren. Die Furcht eines Insulaners, der nicht gewohnt ist, Feinde in seinem Lande zu sehen, und welcher weiß, daß


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alle Landungen mit Unordnung und Ausschweifungen verknüpft sind, ist an sich selbst schon natürlich. Aber das war nicht die Hauptbesorgniß, sondern die größte Angst hatte man vor den Katholiken, deren es hier herum weit mehrere als Protestanten gibt. Ein armer, verdorbener, elender Pöbel hatte sich in den Kopf gesetzt, daß, so bald ihre Glaubensgenossen, die Franzosen, sich der Küste würden bemächtigt haben, so würden sie, die Irländer, in alle ihre alten Rechte eingesetzt werden, und die von ihren Vorfahren verlohrnen Güter wieder erhalten. Das erste also, was man von diesen katholischen Iren, bey einer Landung der Franzosen, erwartete, war, daß sie über die Protestanten herfallen, sie mishandeln und alle reichen Häuser plündern würden. Manche Protestanten hatten schon ihre Weiber und Kinder nach Dublin geschickt.

In dieser allgemeinen Noth kamen einige Männer auf den Einfall, sie wollten eine Association machen, eine gewisse Form und Ordnung unter sich einführen, sich bewafnen, und so erwarten, was sie für Heerd und Feuer thun könnten. Dieser Einfall fand Beifall; ein Haus folgte dem andern, ein Ort dem andern, und so war in kurzer Zeit die ganze hiesige Gegend unter den Waffen. Die verschiedenen Ortschaften nahmen verschiedene Uniformen an; die Reichen


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machten die Cavallerie, die Ärmern die Infanterie, man theilte sich in Compagnien und Regimenter, wählte Anführer, und that, mit einem Worte, alles, sich die Form rechtmäßiger Truppen zu geben. Das Ding nahm zu, wie eine Seuche, ging immer weiter und weiter, und so war endlich in kurzer Zeit, das ganze männliche Irland, eine freiwillige Armee. Ja, lieber Freund, ganz Irland, denn vom Herzog von Leinster an, bis herab auf den Handwerker, ist alles Volunteer. Manchem der Großen mochte das Ding in der That zuwider seyn; allein er mußte Volunteer werden, theils, um so gut ein Patriotisches Ansehen zu haben, als die anderen, denen nur der Patriotismus eine Art Schwindel geworden war; theils aus einer Menge politischer Gründe. Manche Peers errichteten Regimenter auf ihren Gütern und montierten vielen hundert Arme. Leute aus dem Mittelstande und kleinere Güterbesitzer ergriffen begierig diese Gelegenheit, um mit den Großen in nähere Verbindung zu kommen, und ein gewisses Ansehen von Gentlemen dadurch zu erhalten. Jetzt that, dachte und sprach die ganze Nation von Volunteers. Man machte Gesänge für Volunteers, in allen Kupferstich-Fabriken wurden Volunteers gemacht zu Fuße und zu Pferde, alle Zeitungen waren voll davon; auf jedem irdenen Gefäße stund ein Volunteer, und selbst die Buchstabier-Bücher

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der Schulknaben mußten nach Volunteers schmecken. So hab ich z. E. oft ein Buch für Kinder gesehen: ‘The young gentleman Volunteer's Spelling book etc. etc.’. Die Musterungen, Pläne, Manoeuvres, das Getrommel und Gepfeife nahm kein Ende. Man schmauste häufig zusammen, trank noch besser, sprach von Ehre, Irischer Würde, Patriotismus und — Freiheit. Die Franzosen blieben zu Hause, den Volunteers ward, in der Unthätigkeit, die Zeit lang, und nun fingen sie an — von Freiheit laut zu reden, von Unterdrückung, freiem Handel, eigener Kraft und Englischer Ungerechtigkeit.

Was nun allmälig erfolgte, wissen Sie, denn ich vermute, daß die Sächsischen Zeitungen eben so voll davon gewesen sind, als die Schweizerischen und der Courier de l'Europe. Das Irische Parlement machte an England eine Forderung nach der andern, das Englische Ministerium war voll Partheyen, ein Vice-König kam auf den andern, und Irland erhielt, die Waffen gegen Frankreich in der Hand, alles, was es von England forderte. In diese Zeit fielen zum Theil auch die Veränderungen, die das Irische Parlement in der Lage der Katholiken vornahm: und nun machte ein großer Theil dieser letztern mit den Übrigen gemeine Sache. Die Protestantischen


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Volunteers wollten zwar anfangs mit den Katholischen nichts zu thun haben; allein das legte sich nach und nach, und ein gewisser Lord wagte es einmal ein Corps Katholischer Volunteers nach Waterford zu führen, weil er gehört hatte, daß diese Stadt keine einlassen wollte. Man empfing sie jedoch ziemlich freundschaftlich, und der Lord gewöhnte sie durch eine kühne Rede noch mehr daran. Er sagte zu einer Menge Bürger, die um ihn herum stunden.‘Ich glaube wahrhaftig, daß kein katholisches Corps in diese Stadt gekommen ist, seit mein Großvater Jakob dem II. eins zuführte.’ Diese Rede war so kühn, daß man vor Erstaunen schwieg.

Irland hat nun ohngefähr alles erhalten, was es von England verlangt hat; allein der Geist der Nation ist nun einmal aufgewacht, alles ist in Gährung und die Unruhen dauern fort. Der Hof hat zwar sehr a propos den St. Patrik-Orden vergangenen Winter gestiftet, und sich manche Grafen (Earls) dadurch verbunden; allein der große Haufe sieht diese blauen Bänder und Sterne mit Verdruß. Hierzu kommt, daß diesen Sommer ein neues Parlement gewählt worden ist, welches im Oktober seine Sitzungen anfangen wird. Eine neue Parlementswahl ist allemal eine stürmische Zeit, und der Kabalen gibts da kein Ende. Die Großen müssen den


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Niedern schmeicheln, um ihre Brüder, jüngere Söhne und Verwandte ins Unterhaus zu bringen. Hier waren die Volunteers wieder eine herrliche Sache, und man benutzte gar sehr die Gelegenheit, auf eine so schöne und bequeme Art, ganze Heere zu kitzeln, Mahlzeiten zu geben, als ein guter Volunteer jedermann als seines Gleichen zu betrachten, die Hände zu schütteln, von Patriotismus und National-Vortheil zu schwatzen, und hundert solcher Sächelchen mehr. Das neue Parlement ist gewählt, und nun sind alle öffentliche Blätter voll von Patriotismus und politischen Raisonnements, wodurch die Nation nur immer mehr und mehr erhitzt wird.

Viele wackere Iren mögen geglaubt haben, daß wenn sie einmal alle die Rechte und Freiheiten erhalten hätten, die ihnen England hat einräumen müssen, ihr Land auf einmal in einen sichtbaren Flor kommen würde. Allein ein solcher Flor kann sich nur auf innere Stärke, Arbeitsamkeit und Industrie gründen: und da es mit diesen nur langsam geht, so sehen sie sich in ihren schönen Hoffnungen betrogen, und denken auf andere Mittel. Ich bin äusserst begierig, was die Volunteers für Förderungen an das neue Parlement machen, und wie weit dieses sie am Hofe treiben wird. Vor kurzem trug sich etwas zu, das ausserordentlich Aufsehen machte.


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Der Irische Bischoff von Derry18 (eigentlich Londonderry) that den Volunteers, ungebeten den Vorschlag, sie sollten eine Hauptversammlung anstellen, (diese existirt nun wirklich zu Dungannon) sollten mit einander berathen, und alles, was sie dem Parlemente zu sagen hätten, wollte er im Oberhause zu Dublin vortragen.

Nachdem ich Ihnen, lieber Freund, so viel von den Volunteers geschrieben, würde es Ihnen nur Langeweile machen, wenn ich Ihnen nun noch von ihren Kriegsmanoeuvres, die ich bey Clonmel gesehen, eine Beschreibung machen wollte. Nur so viel will ich sagen, daß ich über ihre Leichtigkeit, Fertigkeit und Ordnung erstaunt bin. Sie sind mit allem versehen; Zelte, Kanonen, Pulverwagen, Feldscheers19, Zimmerleute, alles mußte hervor!


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Selbst die Geistlichen waren nicht vergessen, welche, zu meinem großen Erstaunen, in ihrer vollen priesterlichen Tracht, mit aufzogen, nach Trommel und Pfeife marschirten (manche freilich ein wenig ungeschickt) und bey ihren Detachements an der Seite stehen blieben. Die ganze kleine Armee war vortrefflich gekleidet.