Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 15

Waterford, den 31 Aug.

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Ich glaube, lieber Freund, wir haben so viel Politik mit einander verhandelt, daß Sie froh sind, die Scene zu ändern. Der Weg von C*** hierher ist sehr bergicht, und durch Mannigfaltigkeit, weite Aussicht und den Fluß Sure, den man die mehreste Zeit zur Seite hat, überaus angenehm. Wir waren eben in eine Art Gasse gefahren, deren beide Seiten mit Leim- und Strohhütten besetzt waren, als mir Lord T** sagte, wir wären in Waterford. Ich hatte schon einen Ausruf von Verwunderung auf der Zunge, als mir einfiel, daß ich mehrere Irische Städte gesehen, deren äusserster Umfang aus solchen Hütten besteht, welche von Gerbern, Fleischern und andern unreinen Handwerkern, und dann auch von armen Tagelöhnern bewohnt werden. Wir kamen bald in bessere Gassen, und ich sahe Häuser, die Reinlichkeit, Wohlstand und zum Theil auch Reichthum verriethen. Die Stadt hat an einigen Orten Festungswerke und ist von großem Umfange; allein die mehresten Gassen sind enge, unregelmäßig und ein wenig bergicht. Man sieht es ihr an, daß sie eine alte Stadt ist, die nicht, wie Dublin, nach und nach verschönert und nach einem gewissen Plan verändert worden ist. Sie existirte schon im neunten Jahrhunderte, und war, als Rich.


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Strongbow hier landete 1171, ein ansehnlicher Ort. In der Folge war sie lange die zweite Stadt Irlands, bis Cork sie um diesen Rang brachte. Jakob II. schiffte sich hier nach Frankreich ein. Wilhelm III residirte nachher zweymal daselbst, und bestätigte und vermehrte ihre Freiheiten.

Der schönste und interessanteste Theil der Stadt ist ohnstreitig der Quay, d. h. die Reihe Häuser, welche gegen den Hafen zu stehen, und zwischen welchen, und dem Hafen, eine Breite geschaffen ist, auf der verschiedene Wagen neben einander fahren können. Dieser Quay ist fast eine Meile lang, hat viele artige Häuser, Kaufmannsläden und Buden. Da die Schiffe hier befrachtet sowohl als abgeladen werden, so hat man hier das Vergnügen, das beständige Gewühl beschäftigter Menschen zu sehen, unter allerhand Formen und mit mancherley Sprachen: besonders sind viele Portugiesen darunter. — Der Fluß ist hier so breit, daß man ihn wie das Meer betrachten kann, ob er schon noch acht Meilen davon entfernt ist. Gegen über erheben sich einige Hügel, die eine angenehme Aussicht über die Mastbäume und zwischen durch geben. Daß der Hafen sehr tief ist, können Sie daraus abnehmen, daß ich D. Franklin hier sehe, ein Kriegsschiff von 60 Kanonen, das einige hiesige Kaufleute nach dem Frieden gekauft haben,


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und das nun, in seinem Alter, als ein friedliches Kauffahrtey-Schiff segelt. Demohngeachtet hat die hiesige Schiffahrt eine große Beschwerde durch die Seichten und Sandbänke bey Duncannon, sechs Meilen näher dem Meere, wo große Schiffe manchmal liegen bleiben, und die Springtide, d. h. die größere Fluth, die sich nur alle Monate ereignet, erwarten müssen.

Man hat hier verschiedene Fabriken angelegt, allein es will noch nicht recht damit fort. So besah ich z. B. eine große Glasfabrik, zu der man aber den Sand aus England holen muß.

Das hiesige Bißthum ist eine reiche Pfründe, und hat einen schönen Pallast, nebst einer neuen bischöflichen Kirche, die recht artig ist, und die auf freiwillige Subscription erbaut ward. Vom gegenwärtigen Bischoffe, dem D. Newcome, hab ich Ihnen ein andermal geschrieben. Ausser verschiedenen andern Kirchen der hohen oder anglikanischen Kirche, sind hier noch vier katholische, eine Presbyterianische, eine Quakerkirche, eine Anabaptistenkirche und eine französisch-reformierte.

Von den Einwohnern dieser Stadt hab ich wenigere hier, als zu C*** gesehen. Einige darunter hab ich so gesittet und bekannt mit


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Welt, Eleganz und Litteratur gefunden, als immer jemanden vom festen Lande. Unter andern hat mich das Unglück des Lords P. in die Bekanntschaft eines Waterforder Arztes gebracht, dem ich in den acht Tagen, die er zu C*** zubrachte, meine ganze Hochachtung geschenkt habe. Man sieht die Ärzte hier ohngefähr mit dem nämlichen Auge an wie in England, wo sie, wie bekannt, sehr in Ehren gehalten werden. Da ihr Studium theuer ist, so sind es mehrentheils Leute von Vermögen und Erziehung, und ihr Stand als Arzt verschafft ihnen in den besten Häusern nicht nur den gelegentlichen Eintritt, sondern sie werden als ein Theil der Gesellschaft betrachtet, in welcher sie mit feinen Sitten und dem Tone der Welt, Aufklärung und Kenntnisse vereinigen.

Eben so gleichen auch die Irischen Geistlichen, in manchen Betrachtungen, den Englischen. Der Mann vom Stande empfängt sie an seiner Tafel und in seinen Gesellschaften, und lebt im Ganzen auf einem ganz andren Fuß mit ihnen, als man an vielen Orten des festen Landes thut, wo ich diesen Stand oft auf eine sehr harte Art heruntergesetzt gesehen habe. Ich muß aber auch sagen, daß der Englische und Irische Geistliche, in Ton und Art sich weniger von den übrigen Menschen


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unterscheidet, als es z. E. oft in Sachsen geschieht.

Die Bevölkerung von Waterford wird hier auf 30,000 Seelen geschätzt, ich bin aber gewiß, daß, wenn ich ein ganzes Drittheil davon nehme, ich der Wahrheit näher komme. — Sie haben hier ein stehendes Schauspiel, da ich aber niemals da übernachtet, so hab ich nichts davon gesehen.