Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 14

C***, den 29 August

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Da ich in meinen Nachrichten über Irland eine gewisse Ordnung weder beobachten kann, noch will, so schreibe ich Ihnen jedesmal wie mir gerade die Gegenstände einfallen. heute will ich Sie mit der letzten Revolution in Irland unterhalten. Diese Revolution, welche die Protestantische Thronfolge in den drey Reichen sicherte,


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ist Ihnen zwar genugsam aus der Geschichte bekannt; allein ich will Ihnen Folgen davon in Irland zeigen, über die Sie erstaunen werden, und die mich mehr als einmal innigst betrübt haben.

Sie wissen, daß das Kriegstheater, nach der Landung des Prinzen von Oranien, nicht lange mehr in England blieb. Jakob II. der sehr wenig persönlichen Muth hatte, wovon sein Schwiegersohn gar sehr viel besaß, floh bald nach Irland, wo er wußte, daß die Katholiken, die bey weitem den größten Theil der Nation ausmachten, und die sich seit Cromwells Zeiten, ja schon seit der Elisabeth her, nie gar wohl befunden hatten, eifrig seine Parthey unterstützen würden. Wilhelm III. folgte ihm, und schlug ihn in der bekannten Schlacht am Boyne. Jakob verlohr allen Muth, erhielt sich, mit genauer Not {mit knapper Not}, noch einige Zeit zu Waterford, schiffte sich dann nach Frankreich ein, um nie seine Reiche wieder zu sehen. Man spricht noch heutzutage schimpflich von seiner Furchtsamkeit, mit der er eine so starke Parthey, die ihn unterstützte, aufgab. Wilhelm ward nun bald Herr von Irland, und eilte, so viel er konnte, zu einer neuen und festen Gesetzgebung. Das Haus der Lords war sehr zu seinem Dienste; das Haus der Gemeinen folgte, und Wilhelm war nun Herr im irischen Parlemente. Er zog einen ungeheuren Theil der Güter


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ein, die den Katholiken gehört hatten, verschenkte viele davon und machte sich Freunde dadurch: und nun entwarf er, vereint mit dem Parlemente, die Gesetze, die mir zum Theil so barbarisch scheinen, die die härteste Intoleranz athmen, und wodurch die Katholiken auf die elendeste Art unterdrückt wurden. Dies ist die Ursache, warum die Protestantischen Iren diesen König vorzüglich als den Stifter ihrer Constitution betrachten, und warum noch heut zu Tage in manchen Häusern on the glorious memory of the King William and the Queen Mary einer der gewöhnlichsten Toste ist.

Die Statute, die damals festgesetzt wurden, werden Ihnen im Ganzen bekannt seyn; aber das wissen Sie vielleicht nicht, daß Gesetze darunter waren, in denen die Papisten auf eine himmelschreiende Art behandelt wurden. Es wurden ihnen bürgerliche Freiheiten genommen, die man keinem Fremden versagt; sie wurden in unzählichen Fällen eingeschränkt, und wie eine andere Gattung von Menschen behandelt. Kein katholischer Peer darf im Hause der Lords erscheinen; kein Katholik darf für das Unterhaus gewählt werden; keiner kann irgend ein öffentliches


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Amt bekommen. Dies ist in England ziemlich auch so: doch ist der Fall nicht der nämliche. Ein Irischer Papist kann gar nichts werden, nicht einmal Fähndrich bey der Armee. Und gleichwohl waren die Katholiken bey weitem der zahlreichste Theil der Nation. Unter andern unedlen, harten Gesetzen war auch dieses: daß kein Papist ein Pferd haben durfte, das mehr als zehn Pfund oder Guineen werth war. (Man wollte sie dadurch verhindern, gute Pferde für den Krieg zu ziehen.) Hielt einer ein Pferd, das mehr werth war, so durfte ein Protestant es nur schätzen lassen: fand sich's, daß es mehr werth war, so gab ihm der Protestant zehn Pfund und nahm ihm das Pferd. Leute von Stande betrachteten zwar eine solche Handlung als infam; allein es fanden sich doch Niederträchtige, die noch spät Gebrauch davon machten.

Ich bin hierinnen etwas weitläufig gewesen, weil dieses Sie zu einem Aufschluß über die Nation überhaupt, und dann über die letzten Transaktionen vor zwey und drey Jahren, führen wird.

Der Königin Anna war so wenig daran gelegen, als dem Hause Hannover, den katholischen Iren abzuhelfen, weil man sie natürlich als ewige Feinde der Protestantischen Thronfolge


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betrachtete. Indessen fühlten sich viele durch ihre traurige Lage zu sehr gedrückt, und gingen zur anglikanischen Kirche über. Bald trat ein katholischer Peer über, um im Hause der Lords seinen Platz einzunehmen. Bald ein anderer, weil er Hoffnung hatte, einen Theil seiner verlornen Besitzungen wieder zu erhalten. Hier ward ein Katholik Protestant, weil er Hoffnung hatte, von einer Grafschaft zum Mitglied ins Unterhaus gewählt zu werden; dort, weil er Freunde hatte, die ihm ein Amt verschaffen konnten. Auch die reichen, geistlichen Pfründen waren eine Lockung. Auf diese Art nahm der reiche, bessere und aufgeklärtere Theil der Katholiken allmählig ab; indessen der andere immer tiefer und immer tiefer fiel, und an vielen Orten zugleich in Wildheit und Barbarei versank. Der Gottesdienst wurde an den mehresten Orten in elenden Leimhütten, mit Stroh gedeckt, gehalten, und wohlhabende Katholiken liessen ihre Söhne nicht Theologie studieren, weil das Volk zu arm war, um seine Lehrer und Prediger ordentlich zu bezahlen. Im Lande konnten sie nicht studieren, und da die jungen Theologen und Schullehrer oft zu arm waren, um nach Frankreich zu gehen, so kann man leicht begreifen, was das für Aufklärer des Volks waren.


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Diesen Umständen ist es zuzuschreiben, warum in manchen Büchern den Iren überhaupt Unwissenheit, Wildheit und Mangel an Aufklärung vorgeworfen wird. Dieser Vorwurf trifft hauptsächlich die Provinz Connaught, wo die Papisten am wenigsten mit den Protestanten gemischt sind, und wo es in der That hin und wieder sehr finster und traurig aussehen soll. Diese Provinz ist am weitesten gegen Abend entlegen, hat, wegen Mangel der Industrie und Handlung mit den übrigen am wenigsten Verbindung, und kann, besonders wenn ich den südlichen Theil davon wegnehme, kaum eine Stadt aufweisen, die genannt zu werden verdient.

Auf diese Art entstunden in Irland so zu sagen zwey Nationen, deren die eine immer ansehnlicher ward, sich immer mehr und mehr aufklärte, mit dem übrigen Europa und besonders mit England in Verbindung stand, indessen die andere immer abnahm. Und obschon die Katholiken noch jezt den zahlreichern Theil der Nation ausmachen, so sind sie doch bey weitem der schwächere. Hier haben Sie eine Berechnung, die im Jahre 1776 gemacht wurde, und die neuer ist, als die, die sich in Guthrie15 und andern Büchern findet.


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{Provinz}ProtestantenKatholiken
Connaught28,522344,294
Leinster197,670553,413
Munster77,915495,164
Ulster377,978278,607
{Gesamt}682,0851,671,478

Noch immer gibt es, ungeachtet alles dessen, was ich gesagt habe, große, sehr ansehnliche und wackere Familien unter den Katholiken; allein sie stehen in keinem Verhältnisse gegen die Menge. Wenn ich nicht gewußt hätte, daß Katholiken in Irland sind, so würde ich zuverlässig die ganze Insel für Protestantisch gehalten haben. Glauben Sie wohl, daß unter der großen Menge Menschen, die ich in Irland kennen gelernt habe, ich mich nur zwoer Familien erinnere, die katholisch sind. Mönche gibts keine hier, denn wer sollte sie ernähren? Alles, was sie ehemals hatten, und sie hatten sehr viel, ist genommen worden.

Der Hof zu St. James muß natürlich diese Veränderung in der Lage Irlands schon längst bemerkt haben, und so sehr ihm ehemals daran lag, die katholische Parthey zu schwächen, so wenig kann es vortheilhaft für ihn sein, wenn die Protestantische zu stark wird. So lange beide


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Partheyen ohngefähr gleich stark und gegen einander gespannt waren, so konnte der Hof, wenn ein Aufstand hätte vorfallen sollen, eine von den beiden immer gewinnen. Ich fürchte nur, das Gleichgewicht ist schon zu sehr aufgehoben, und die Protestanten sind bey weitem die mächtigsten. Dem sey nun wie ihm will, so viel ist gewiß, daß der Hof sich sehr leicht die Abänderungen gefallen ließ, die das Parlement vor zwey und drey Jahren zum Besten der Katholiken vornahm. Sie werden davon in den Zeitungen gelesen haben; und also habe ich weiter nichts davon zu sagen, als daß das Parlement die Papisten in einen großen Theil der bürgerlichen Freiheiten und Rechte eingesetzt hat, die sie vor Wilhelm III. hatten. Verschiedene Männer hatten schon lange vorher öfters, im Parlemente, über die Schändlichkeit der Unterdrückung gesprochen, unter welcher die Katholiken seufzten; verschiedene der Großen arbeiteten oft daran: allein sie konnten nie durchdringen bis vor drey Jahren, da jedermann auf einmal von einem Geiste der Großmuth belebt zu sein schien. Im Grunde glaube ich, trug noch ein anderer Umstand sehr viel dazu bey, über den Sie nächstens ein langes Kapitel haben sollen: es ist die Errichtung der sogenannten Volunteers in Irland.


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