Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 13

C***, den 28 Aug.

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Ich kam, wie Sie wissen, am Ende des Juny an diesem Orte an, und will nun von da aus meine weitern Bemerkungen datiren, indem ich mich bisweilen an einige andere Orte, die ich besucht habe, versetzen will. Auf dem ganzen Wege von 110 Englischen Meilen hierher ist, Kilkenny ausgenommen, kein einziger beträchtlicher Ort. (Ich fahre fort, beständig nach Englischen Meilen zu zählen, denn die Irischen sind verschieden. Man sagt, vierzehn Englische machen gerade elf Irische Meilen.) Wir kamen den ersten Tag über Neat14, Timolin, Castletown,


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lauter Städte, die kaum diesen Namen verdienen, nach Carlow, die Hauptstadt der Grafschaft. Diese Stadt ist besser als die übrigen; doch kann ich ihr keinen höhern Rang anweisen, als unter unsern Sächsischen Städten der dritten Classe. Dann kamen wir über Lochlein-Bridge, einer kleinen Stadt, nach Kilkenny, wo sich die Scene in jeder Betrachtung ändert, denn die Stadt sowohl, als die ganze Gegend umher hat überaus viel Anziehendes. Doch da ich nachher wieder dahin gekommen bin, und mich länger da aufgehalten habe, so soll diese Stadt gelegentlich einen eigenen Artikel haben.

Wir kamen endlich in die Gegend von Carrick, und sahen ein schönes, bergichtes Land, in welchem der Fluß Sure {Suir} sich hin und wieder silberwallend im Grün zeigte. Man nennt diese Stadt Carrick on Sure {Carrick-on-Suir}, zum Unterschiede einer andern, gleichen Namens, welche an dem Shannon liegt, dem größten Irischen Flusse. Die Stadt ist klein, aber ausserordentlich bevölkert, und merkwürdig durch eine große Menge Ratine und anderer wollener Stoffe, die da gemacht werden, und wodurch sich die Stadt von dem übrigen, unthätigen Theile dieses Strichs Landes rühmlich auszeichnet. Eine ansehnliche steinerne Brücke leitet über den Fluß auf eine Anhöhe, von welcher herab ich eine reizende Aussicht hatte, die ich oft nachher auf meinen


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Spazierritten wieder genossen habe. Die Stadt, die vom Ufer des Flusses weg sich ein wenig längst den Hügel hinan zieht, scheint größer als sie ist, und man sieht den artig in die Augen fallenden Gebäuden nicht an, daß sie enge und unreinlich zusammen stehen.

In dem einen Ende der Stadt zeigen sich am Ufer des Flusses, die ehrwürdigen, mit Epheu verwachsenen Trümmer eines großen Schlosses, das Richard Strongbow erbaute, und das, fast sechshundert Jahre nachher, Cromwell zerstörte. Das, was noch ganz davon steht, ist noch immer zur Wohnung einer Familie genug, die es jetzt besitzt. — Einen andern weit größeren Überrest einer ehemaligen Abtey sieht man nahe bey der Brücke; ein schöner Gothischer Überrest, der auf einem grünen Hügel steht, und der auch Cromwellen, diesem geschwornen Feinde der Katholiken, der Pfaffen und der königlichen Macht, seine Vernichtung schuldig ist. Ich fand diese Trümmer so schön, daß ich nachher verschiedene Male ansetzte, sie zu zeichnen; fand aber nie Zeit genug dazu.

Den Fluß sieht man etliche Meilen weit in seinem Laufe nach Waterford; das angenehme Grün, das man in die weite Ferne sieht, erlaubt dem Auge nicht zu bemerken, daß diese schöne und fruchtbare Gegend so wenig angebaut ist.


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Auch vergißt man anfangs, daß, einige schöne Landhäuser ausgenommen, welche mit elenden, zerstreuten Hütten contrastiren, in der ganzen weiten Gegend, die man von der Anhöhe überschaut, fast kein Dorf zu sehen ist, und daß die Spitzen der Berge alle ohne Waldung sind.

Ich bin mit Fleiß etwas weitläufig in dieser Beschreibung gewesen, denn ohngefähr so wie diese Gegend, hab' ich nachher die ganze Grafschaft Waterford und den größten Theil verschiedener andern gefunden. Überall ein schönes, fruchtbares, aber schlecht angebautes Land; überall Trümmer von Kirchen, Abteyen und Klöstern; überall kostbare Gebäude und schöne Parke, neben den elendesten Hütten, die ich je gesehen habe, fast nirgends Dörfer, und unter dem Landvolke die schmählichste Armuth.

Nach einer Stunde langte ich zu C*** an. — Von Dublin bis hierher sind ohngefähr 110 Meilen; ich habe also einen ansehnlichen Strich dieses Reiches durchwandert, und will nun etwas vom ganzen Wege sagen.

Dieser ganze Weg geht, einige unbeträchtliche Hügel ausgenommen, durch eine ungeheure Ebene, die aber, in einer ansehnlichen Ferne, rechts und links, oder gegen Morgen und Abend von Bergen begränzt ist. Es zieht sich also eine


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lange Bergkette so wohl mitten durch diese Insel, als längst den St. Georgen-Canal hin. In diesen Bergen werden unzählige Schaafe ernährt, deren Wolle, wie die Iren behaupten, besser ist, als die Englische. Bis hierher haben aber die Iren sehr wenig Vortheil aus dieser Wolle gezogen; denn der größte Theil geht roh nach England, wo die berühmten wollenen Zeuge gemacht werden, die man in allen Welttheilen trägt; und der Überrest durch Schleichhandel nach Frankreich, theils auch in andere Länder. Die Schaafe sind in Irland, so wie in England, fetter, schmackhafter und gar viel größer, als irgendwo auf dem festen Lande, das ich weiß, selbst die großen Schöpse in den Alpen nicht ausgenommen. Die Rindviehzucht ist auch beträchtlich, und ich kann diese Stunde noch nicht begreifen, warum das Fleisch davon besser ist, als in den Alpen, wo das Vieh bessere Kräuter findet, als sonst wo. Die Englische Zubereitung der sogenannten Rosbeefs mag freilich viel darzu beytragen. Milch, Sahne und Butter sind gleichfalls vortrefflich. Doch kommen die Käse den englischen und Schweizerischen nicht bey, weil sie wenig ausgeführt, und also nicht mit Sorgfalt zubereitet werden. In Häusern, die selbst welche machen, hab' ich vortreffliche gefunden.


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Kaum ist man am Ende der Stadt Dublin, so zeigen sich auch schon die elenden Leimhütten {Lehmhütten}, die fast von allen Irischen Städten den äussersten Theil einnehmen. Da ist nichts, das eine große Stadt ankündigt, in der so viele Eleganz und Reichthum ist, nichts von den kleinen Gärten und Landhäusern, die man gewöhnlich in der Nähe beträchtlicher Städte findet. Die Großen entfernen ihre Landsitze von der Stadt, und die niederen Stände sind zu arm, um etwas ausser der Stadt zu ihrem Vergnügen zu haben. — Sie werden erstaunen, wenn ich Ihnen sage, daß ich auf einer Strecke von 110 Meilen kein einziges erträgliches Dorf gesehen habe; und gleichwohl ist es so. Schon in England merkte ich an, daß man fast keine Dörfer sieht, und gab die Ursache an; hier kommt zu dieser nämlichen Ursache noch eine zweite, die große Armuth des gemeinen Volks, welche keine eigene Güter besitzen, sondern von den Großen, oder überhaupt von den Güterbesitzern (Lords of the Manor) ein Stück Landes auf zwanzig, dreyßig bis hundert Jahre pachten, das Land, aus Faulheit, schlecht anbauen und mit der elenden Hütte sich begnügen, die auf diesem Stücke Landes stehet. (Von diesen Hütten, die fast alle sich gleichen, sollen Sie nächstens eine Beschreibung haben, die Sie unglaublich finden


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werden.) Die reichen Pächter wohnen ebenfalls gerne auf den Gütern; die Güterbesitzer wohnen mitten in ihrem Parke: und so bleiben natürlich sehr wenig Leute übrig, die in den Dörfern zusammen wohnen können; und daher kommts denn, daß man nicht nur keine ansehnlichen, sondern fast gar keine sieht. — Daß die Städte, durch die ich reißte, so geringe sind, kommt vom Mangel der Fabriken und Manufakturen. Im nördlichen Irland, wo die bekannten und wichtigen Linnenmanufakturen sind, ist das anders.

Woher mag es doch kommen, lieber Freund, daß die gesegnetsten Länder die ärmsten und unangebautesten sind? Daß der Mensch sich gern der Faulheit überläßt, wenn der Boden ohne sein Zuthun trägt, ist ausgemacht; aber daß der Mensch lieber in einer eckelhaften Armuth schmachtet, als den guten Boden bearbeitet, ist mir unbegreiflich. Irland gehört gewiß unter die herrlichsten Länder Europas, wenigstens der größte Theil der Insel. Das Land ist überaus fett, und treibt mit einer Üppigkeit, die ich nirgends gesehen habe. Das Clima ist ausserordentlich mild, und fast alle Arten natürlicher Produkte kommen darinnen fort, wenn nur die Leute bauen wollten. Die Sümpfe und Moräste, um deretwillen Irland so verschrien ist, sind weder so gefährlich noch so beschwerlich, als


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man vorgibt. Auch sind sie nicht so gemein, als man sagt, und an manchen Orten gewähren sie eine gute Viehzucht.

Das Land ist von einer Menge Flüsse durchwässert, und wenn der Canal, der den Liffey mit dem Shannon verbinden soll, fertig ist, so ist das Land vielfach mit dem Meere verbunden, und kann durchaus durchschifft werden. Der Barrow trägt Barken bis Carlow, und da er in den Sure (Sewre oder Siure) {Suir} fällt, ist er mit dem Meere verbunden. Selbst drey Flüsse zusammen machen bey Waterford die breite Mündung und den guten und tiefen Hafen, der nach Dublin und Cork der ansehnlichste ist.

Ich erstaunte, auf dem ganzen Wege, so viele Trümmer von Kirchen, Klöstern und ungeheuren Abteyen zu finden, die unter der Königin Elisabeth, Cromwell und Wilhelm III. und überhaupt in den Irischen Revolutionen zerstört worden sind. Durch eben diese Revolutionen ist das Land immer entvölkert worden, indem allemal eine Menge Familien auswanderten.

Ich bin auf meiner Reise und Rückreise in sieben Wirthshäusern gewesen, und überall hab ich wohlgekleidete Leute, reinliche Bedienung


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und Zimmer, gute Betten, papierne Tapeten, eine artige, gut bereitete Tafel, öfters marmorne Camine, und silbernes, porcelanenes, oder englischirdenes Tafel- und Theezeug gefunden. — Die Weine sind in den Wirthshäusern eher besser, als die Englischen. — Die Postpferde sind nicht so gut: sie sind auf dem nämlichen Fuß, wie in England zu haben: doch findet man sie noch bey weitem nicht im ganzen Reiche.

Die Straßen sind fast durchgehends gut. Bettler finden sich an den Posthäusern Schaarenweiß ein. — Überall, so wie auch hier um C*** herum sah ich auf den Straßen Weiber, die Tabak rauchten, und das mehr als Männer. Kurz das Rauchen ist unter dem Pöbel, besonders unter dem weiblichen Theile, so gemein, als es unter den Leuten vom Stande verschrien ist. Unter diesen letztern ist auch das Schnupfen äusserst selten.