Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 12

Dublin, den 24 Aug.

12

Wenn ich immer in dieser Stadt leben müßte, so würde eine meiner größten und angenehmsten Unterhaltungen seyn, des Morgens längst


p.65

dem Liffey hin und am Hafen spazieren zu gehen, besonders wenn die Fluth hoch ist. Sie können sich nichts Interessanteres denken, lieber Freund, besonders wenn das Wetter heiter genug ist, daß Sie weit in den Meerbusen hinein sehen können. Der Anblick des Meeres, und der Berge, die die Bay auf beiden Seiten einschließen, hat, nebst etlichen hundert Schiffen, die Sie, näher und ferner, immer da sehen können, etwas, das einem das Herz erweitert und das sich nicht wohl beschreiben läßt. Von der Liffey-Brücke an ist der Liffey manchmal so bedeckt, daß man von einem Schiffe auf das andere schreiten und gleichsam wie über eine Brücke gehen könnte. Das Gewühl der Menschen darauf, die theils auf den Schiffen ihr Wesen treiben, theils in unzähligen Booten zwischen den Schiffen, wo oft nicht der geringste Platz zu seyn scheint, sich künstlich durchschlängeln; der Anblick der Masten, die einem Walde gleichen, bald mit gespannten, halb gestrichenen Segeln; das Wehen der Englischen, Französischen, Spanischen, Holländischen, Nordischen Flaggen; die Mannigfaltigkeit der Schiffe, an Form, Gestalt, Größe mit zehn, funfzehn, zwanzig und mehrern, aber ohne Kanonen; das Kommen der einen, und Abgehen der andern, die Geschäftigkeit dieser, welche aufladen, und jener, welche abladen; die Mannigfaltigkeit der Figuren, Trachten, Sprachen

p.66

und hundert andere Dinge, würden mich oft viele Stunden nach einander beschäftigen. Ich gehe langsam den Fluß hinab, der immer breiter und breiter wird, und sich zuletzt in den Meerbusen verliert. Hier ist nun der Anblick größer und erhabener, und die Schiffe, die vorher einen langsamen und gezwungenen Gang hatten, erscheinen in ihrer ganzen Majestät, und nehmen, von allem Zwange entledigt, einen freien, schnellen und edeln Lauf.

Lieber Freund! Es ist ein imposantes Ding um ein großes Schiff, das mit vollen Segeln dahin fährt. Gestossen und geschlagen von Wellen, geht es ruhig in majestätischer Größe, ein schwimmender Pallast, seinen Weg, läßt die Häuser zurück, die neben ihm klein scheinen, und spaltet die unwillige, widerstrebende Welle.

Gewisse Ladungen von ganz schlechten und geringen Sachen sind mir besonders aufgefallen, z. B. wenn ich Schiffe sahe, die nichts als Holz aus Norden brachten, oder Kohlen, oder Sand aus England, oder Steine aus Portland und Bath.

Ich muß Ihnen hier ein Paar Worte von einem Werke sagen, das, wie man mich versichert, seines gleichen nicht hat: es ist ein hoher Damm, der vom Ufer weg drey volle Meilen weit


p.67

in die Bay hinaus geht, wo er sich mit einem großen, sehr schönen Leuchtthurme, von weissen Steinen endet. Dieser Wall ist so breit, daß, ausser dem Wege für die Fußgänger, zwey Kutschen einander ausweichen können. Durch diesen Wall wird die Einfahrt in den Hafen nicht nur sicherer, sondern er gibt auch die Bequemlichkeit (er ist aber noch nicht vollkommen fertig) daß die Reisenden in der Nähe des Leuchtthurms sich ans Land setzen, und in einer Kutsche in die Stadt fahren können. Auf dem Vorgebirge Howth steht ein anderer Thurm: beide haben in der Nacht ein starkes Feuer und geben einen schönen Anblick.