Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 11

Dublin, Montags den 24 Aug

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Als ich vor neun Wochen das erstemal hier war, und die Pracht und den guten Geschmack sahe,


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mit dem einige Häuser, in denen ich war, inwendig meubliert und ausgeziert sind, so glaubte ich, daß solche Häuser hier Ausnahmen machten, weil sie reichen Herren gehören, die viel gereißt sind. Als ich aber nachher in andern Häusern bekannt wurde, und bey meinem jetzigen Hierseyn in noch mehrere kam, so wurde ich gewahr, daß Wohlstand, Bequemlichkeit, überflüssiger Raum, guter Geschmack allgemein in den Häusern herrscht; in sehr vielen ist auch mit diesem allen noch große Pracht verbunden. Ich bin noch an keinem Orte gewesen, wo man so allgemein gut logirt ist, als hier. Es versteht sich, daß ich immer nur von dem reichern und vornehmern Theile der Einwohner rede, denn andere hab' ich nicht zu sehen Gelegenheit gehabt.

Fast durchgehends find ich in den Häusern Stukkaturarbeit; die entweder alt und im Italienischen Geschmacke, oder neu, und im besten antiken Geschmacke ist. Cornischen, Frisen, Plafonds, Verzierungen an den Caminen und Thüren — alles ist Stukkaturarbeit. Die Zimmer sind durchgehends überaus groß und hoch, und so auch hier die Fenster und Scheiben.

Viele Häuser sind im Geschmacke der sogenannten Loggie di Raphael im Vatikan ausgeziert, eine gewiß höchst angenehme und geschmackvolle


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Art, die seit zehn Jahren besonders in den großen Häusern sehr Mode geworden ist. Sie werden, lieber Freund, diese Raphaelischen Logen vermuthlich aus Kupferstichen kennen, (man hat eine sehr kostbare Sammlung davon) wo das Ganze etwas schwer aussieht. Durch die Ausführung im Großen aber wird es ganz ausserordentlich leicht und delikat, und die verschiedenen Farben, anstatt eckelhaft zu werden, fließen sehr sanft ineinander. Doch muß ich dabei sagen, daß man weder hier, noch auf dem festen Lande, die Raphaelischen Modelle vollkommen befolgt, sondern sie etwas leichter macht und der wahren Antike näher bringt. Die Gemälde, die dieser Stil schlechterdings erfordert, sind gewöhnlich grau in grau, und mehrentheils Copien nach den besten und bekanntesten Antiken; hin und wieder hab ich auch Copien nach der Angelika Kaufman gesehen.

Auf Marmor hält man hier sehr viel, und man hat ihn aus allen Ländern, besonders aber hab ich eine große Menge Carrarischen gesehen.

Das Holzwerk ist, wie in England, durchgehends von Mahagoni, und wird, wie die Zimmer überhaupt, sehr reinlich gehalten.


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Wo ich noch gespeißt habe, hab' ich Mannigfaltigkeit, gute Zubereitung, gute Art zu serviren und Überfluß gefunden. Durchgehends servirt man auf Silber. Torten, Eingemachtes, Gallerte und Früchte werden auf Porzellan servirt.

Daß Irland ebenso fähig ist, gute Köpfe zu erzeugen, als irgend ein anderes Land in Europa, darf ich Ihnen nicht sagen. Die Namen eines Lorenz Sterne, Goldsmiths, Brooke, Berkley, Rich. Steele, Bickerstaf, Howard, Swifts etc. sind auch denen bekannt, die weniger Kenntniß von auswärtiger Literatur haben, als Sie, lieber Freund. Ich könnte deren noch eine große Menge nennen; allein sie sind weniger auf dem festen Lande bekannt, als die angeführten, wiewohl sie gar sehr verdienten, gekannt zu sein, wie z. E. Walter Harris. Ich habe vergessen, Prior oben an zu setzen, denn er ist eben so bekannt, als er es zu sein verdient. — Demohngeachtet kann ich doch nicht sagen, daß Liebe zu den Wissenschaften in Irland allgemein sey; ich habe eine gewisse Unthätigkeit gefunden, mit der die Leute ihre Zeit lieber mit völligem Nichtsthun verschlendern, als daß sie sich durch Lektur unterhielten. Woher diese Unthätigkeit kommt, weiß ich nicht (der unheitere Himmel müßte denn dazu beitragen) so viel aber weiß ich, daß man sie der ganzen Nation ein wenig zur Last legen kann.


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Dieser Unthätigkeit ist die äußerste Armuth zuzuschreiben, die sich auf dem Lande und zum Theil auch in den Städten zeigt, und die der gemeine Mann lieber erträgt, als daß er arbeitet. Doch von der Armuth der untersten Klasse ein andermal.

Swift ist hier noch immer im frischen Andenken. Daß er einer der satyrischsten Köpfe war, weiß jedermann; das aber ist weniger allgemein bekannt, daß er seiner satyrischen Laune gegen jedermann freien Lauf ließ, alle Welt auf das heilloseste, und ohne Schonung, anfiel, die Großen verachtete und erniedrigte, wo er sie fand, und das ganze menschliche Geschlecht so ziemlich als Geschöpfe behandelte, die unter seiner Würde waren: freylich lauter Eigenschaften, die für einen Pastor primarius nicht eben sehr anständig waren. Er hatte unter anderem das Besondere, daß er ein Vergnügen fand, den Leuten die härtesten Dinge ins Gesicht zu sagen, oder ihnen seine Verachtung öffentlich zu zeigen. Hier haben Sie ein paar Anekdoten, die Sie vielleicht belustigen. Ich weiß nicht, welcher Irische Peer (ich glaube der Graf von Shannon) die Devise in seinem Wappen hat: ‘Eques haud male notus.’ Da der Herr nicht eben als ein guter Zahler bekannt war, so sagte Swift, man müsse seine Devise übersetzen: ‘better known


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than trusted.’ Ein gewisser D. Delany hatte zum Motto auf seiner Kutsche: ‘Nam avos et proavos et quae non fecimus ipsi, vix est nostra voco.’
Swift schrieb darunter: ‘By this grave motto be it known, Delany's coach is not his own.’

Die Iren, seine eigenen Landsleute, suchte er zu beschimpfen und lächerlich zu machen, so viel er konnte. Wenn er in seinem Narrenhause lucida intervalla hatte, führten ihn die Ärzte spazieren, um ihm frische Luft zu geben. Ein neugebautes Zeughaus, das Swift nie gesehen hatte, fiel ihm einmal in die Augen. Er lachte ganz entsetzlich, zog sein Taschenbuch heraus und schrieb:
‘Behold! a proof of Irish sense!
Here Irish wit is seen;


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When nothing left, that's worth defense,
We build a magazine.’
Er fuhr fort zu lachen und sagte: ‘After the steed is stolen, shut the stable door’: und seitdem soll er nie mehr ein vernünftiges Wort geredet haben. Die einzige Person, für die der Mann vielleicht wahre Hochachtung hatte, war die bekannte Stella.

So viele berühmte Schriftsteller die Iren aufzuweisen haben, so wenig haben sie Künstler. Zwar weiß ich jetzt die Namen verschiedener, die Verdienste haben; aber es ist keiner darunter, dessen Namen ich jemals nennen hörte, ehe ich auf die Insel kam. Statuen, Gemälde und andere Kunstwerke, die man in der Stadt Dublin und in den Häusern der Großen sieht, sind fast durchgehends von Ausländern. Auch hält man hier zu


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Lande noch viel aufs Anstreichen. So besah ich z. E. vor drey Monaten eine große steinerne Statue Wilhelms III. zu Pferde, die nicht weit vom Parlamentshause steht; und als ich jetzt wiederkam, hatte man sie ganz neu mit Strohfarbe beschmiert.

Das zusammen genommen, hab ich mich nicht wenig gewundert, so viele größere und kleinere Gemäldesammlungen zu finden, und ich bewunderte, auch bey dieser Gelegenheit die Unverschämtheit, mit der Twiß von allem spricht. Nachdem er etliche Gemäldesammlungen genannt hat, sagt er, daß auf der ganzen Insel keine andern wären. Ob ich schon nur einen kleinen Strich von Irland gesehen, so könnte ich doch noch manche nennen, in denen Stücke von Werth sind, deren auch Lord T** zu Dublin so wohl, als zu C*** verschiedene hat. Auf dem Schlosse zu Kilkenny sind einige von ausserordentlicher Schönheit; aber hiervon zu seiner Zeit. Der Stücke Italienischer großer Meister gibts wenige, das ist wahr; die besten und mehresten, die ich gesehen habe, waren aus der Flämischen Schule, oder besser, Niederländischen. Dies ist nun zwar der Fall fast überall, ausserhalb Italien, aber hier mehr, als irgend sonst wo.


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Ich besuchte zu Dublin einen Architekten, einen gebohrnen Iren, der nie auf dem festen Lande gewesen ist, und der doch sehr gut zeichnet, und der einige vortreffliche Gebäude zu Dublin aufgeführt hat. Das schönste aber wird das neue Custom-house (Zollhaus) sein, das vor zwey Jahren angefangen worden ist, und das eins der schönsten Gebäude werden wird, die irgendwo existiren. Es nimmt, so weit als ich es fertig gesehen, einen ungeheuren Platz ein; ich glaube, seine Länge ist über 300 Fuß. Ich sahe, beym Baumeister, ein Modell vom ganzen Gebäude von Holz; es ist in Ionischer Ordnung, und oben darauf kommt eine majestätische Kuppel, die von korinthischen Säulen getragen wird. Die Vorderseite wird ganz von Portlandsteinen erbaut.

Ich machte, bey der Gelegenheit, eine Bemerkung, die ich schon in England gemacht habe. Es ist unbegreiflich, wie eine so kleine Insel, als Portland ist, die ungeheure Steinmasse hat liefern können, die man nur blos in England sieht. Die ganze St. Paulus-Kirche, die Westmünster-Brücke und unzählige andere Gebäude in England, sind, so


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wie die Essex-Brücke zu Dublin, von Portlandstein. Es ist ein Grau, das mehr ins Weisse fällt, als ins Gelbe. Der Stein ist hart, und läßt sich doch sehr gut hauen.

Ich habe Ihnen schon mehr von Gebäuden in Dublin erzählt, als Sie vielleicht zu lesen Lust haben; nur von den Kirchen hab ich Ihnen nichts gesagt. Die Ursache ist, daß sie sich sehr wenig auszeichnen, einige wenige ausgenommen. Die beiden Hauptkirchen sind ein Paar alte, düstere, geschmacklose Gebäude, die nichts von den Gothischen Schönheiten haben, die man öfters an solchen Gebäuden findet. Doch sind einige Monumente darinne, als z. B. des Dichters Th. Prior und des Grafen von Pembrocke (besser bekannt unter dem Namen Richard Strongbow, den er bekam, weil er vortrefflich mit der Armbrust schoß). Sonderbar ist es, daß ihm dieses Denkmal erst 1570, volle vierhundert Jahre nach seinem Tode errichtet ward. Einige andere werden Sie wenig interessiren, wie denn überhaupt solche Sachen sich besser sehen, als in einer Beschreibung lesen lassen. Auch Swifts Stella hat ein Denkmal. Was den Kirchen zu Dublin fast durchgehends fehlt, sind Thürme; die ganze Stadt hat keinen einzigen hohen oder vorzüglich ansehnlichen aufzuweisen. Das Innere der Kirchen ist mehr als einfach; die allermehresten sind nicht nur ohne


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Zierrathen, sondern es herrscht auch darinne eine gewisse traurige Leere.

Hier sind vier Prediger für zwei französische Kirchen, die eine ist eine eigentlich reformirte, die andere eine anglikanische. Ich habe zwey dieser Prediger kennen gelernt, wovon der eine ein liebenswürdiger Wadtländer, der andere ein düsterer Holländer ist.

Es ist hier eine Universität, ohngefähr nach Englischem Schnitt, in der diejenigen, die nicht Kosten genug anwenden wollen, oder können, eine Englische Universität zu besuchen, ihre Studien vollkommen enden können. Der Unterricht wird hier nicht, wie auf den deutschen Universitäten, in einer Menge zerstreut liegenden Häusern gegeben, sondern alles ist an einem Orte beysammen. Twiß sagt ganz kurz davon: Die Universität hat ein einziges, der Dreyeinigkeit gewidmetes Collegium. Darinne hat er ganz recht: aber er sagt nicht, daß dies Collegium aus vier ungeheuren Höfen besteht, die alle zusammen rings herum mit Gebäuden umgeben sind. Er sagt ferner, das Gebäude sey vier Stocke hoch und habe drey und zwanzig Fenster an der Vorderseite. Auch dieses ist wahr: es ist ein schönes Gebäude, in Korinthischer Ordnung, ganz von gehauenen Steinen; aber es ist blos der Eingang ins Collegium, und macht


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von den übrigen Gebäuden vielleicht kaum den fünfzehnten Teil aus. Eine Kirche, öffentliche Bibliothek, Anatomie, die verschiedenen Hörsäle, Buchdruckerey, und die Wohnungen für die Lehrer und eine große Menge der Studenten, alles ist hier beysammen.

Der Vorsteher dieses Collegiums heißt Provost (Probst:) und hat einen ansehnlichen Rang. Er hat ein besonderes Haus, neben der Vorderseite des Collegiums, dessen schöne Architektur, Säulen und Pilaster ihm eher das Ansehen eines kleinen Pallastes geben, als des Hauses eines Schul-Monarchen.

Ein Park hinter dem Collegium machte mir viel Vergnügen, und ich brachte, an einem erträglichen schönen Morgen, eine kleine Stunde sehr angenehm darinnen zu. Zwar ist es nichts anders als ein grüner Platz; allein seine Größe, das liebliche Grün, die vielen alten und hohen Bäume, mehrentheils majestätische Ulmen, und der Gedanke, das alles in einer Stadt zu sehen, machte mir den Spaziergang überaus lieblich.