Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 10

Dublin, den 23 Aug.

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Ich habe hier mehr Zeit für mich, als ich dachte, daß ich haben würde. Wir essen so späte zu Mittage, daß niemand an ein Nachtessen denkt, und so komme ich Abends zeitig auf mein Zimmer. Ich bin heute wieder den ganzen Vormittag in der Stadt umher gelaufen, und kenne nun, wie ich glaube, ihre verschiedenen Theile so ziemlich. Je mehr ich mich darinnen umsehe, je mehr erstaune ich über den äußersten Contrast. Eine Menge langer, breiter mit artigen Häusern besetzter Gassen wechseln mit andern ab, wo die Häuser und die Kleidung des Volks die äußerste Armuth und Unreinlichkeit ankündigen. Manche Gassen sind schlecht gepflastert und schwimmen in Koth. Doch sind die schönen Gassen bey weitem die mehreren.

Die öffentlichen Gebäude sind hier so schön, als ich sie irgendwo gesehen habe, und die Regierung so wohl als besondere Gesellschaften lassen es sich, seit einer gewissen Anzahl von Jahren ganz besonders angelegen seyn, der Stadt so viel als möglich Schönheit zu geben. So weiß ich mich z. E. keines edlern und schöneren Gebäudes zu erinnern, als die hiesige Börse, welche weit schöner, als die Londoner ist. Es ist eine ungeheure Kuppel, deren zwey in die Augen fallende Seiten auf einer Reihe korinthischer Säulen ruhen.


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Wenn man auf der Essex-Brücke ist, zeigt sich dieses majestätische Gebäude am Ende einer schönen Gasse. Die Brücke selbst ist ganz nach der zu Westmünster gebaut (sie ist aber nur 250 Schuh lang) und eine zweite, die Königinbrücke, gibt ihr wenig an Schönheit nach. Drey andere sind zwar steinern, aber schlecht. Der Fluß Liffey ist auf beyden Seiten mit hohen Mauern eingeschlossen. Zwar ist er an sich selbst gar unbeträchtlich, allein die Nähe des Meers schwellt ihn auf, und die Fluth steigt hier (mehr oder weniger) 10 Schuhe. Die Häuser sind nicht bis an die Ufer des Flusses gebaut, sondern die Gasse ist fast überall darzwischen. Man nennt diese Gassen längst dem Flusse hin, quay's und sie sind sehr schön, und erhalten durch die Aussicht auf den Fluß und die Schiffe, ein lebhaftes Ansehen.

Das Parlement bewilligt ohn Unterlaß Summen, mit welchen gewisse geschworene Leute ganze Gassen an sich kaufen, die Häuser niederreissen, die Gasse regelmäßig anlegen, neue Häuser bauen und an die Meistbietenden verkaufen. Mit dem daraus gelösten Gelde werden wieder andere Gassen, oder alte Häuser gekauft, und das immer so fort. Da alle diese Gebäude von Ziegel gebaut werden, so geht das überaus geschwind, und in der Zeit, daß ich zu C***


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war, fand ich die eine Seite einer ganzen Gasse geändert. Ich wundere mich nicht wenig, daß dieses in einem freien Lande sich so leicht thun läßt, da man in einer Stadt, wie Straßburg, sehr bitterlich über ein fast gleiches Verfahren klagt.

Das Parlementshaus ist nicht nur das schönste Gebäude zu Dublin, sondern es ist unter Kennern als ein Meisterstück vortrefflicher Architektur bekannt. Die Vorderseite ist ein Portikus, dessen Dach auf zwanzig Ionischen Säulen ruht. Schade, daß diese Seite nur den geringsten Theil des Gebäudes darstellt. Die Hauptmasse zieht sich sehr tief zwischen andern Gebäuden hinein, und ist von außen ganz unsichtbar. Man sagt, es habe 40,000 Pf. Sterl. gekostet. Das Haus der Gemeinen versammelt sich unter einer Kuppel, die ringsherum auf Säulen ruht, hinter welchen, oben eine Gallerie ist, welche den Zuhörern, die man einläßt, einen großen Raum gewährt. Kurz, dies ist der schönste und edelste Theil des Gebäudes und dem Hause der Peers weit vorzuziehen. Was diesem letztern ein altväterisches Ansehen gibt, sind zwey ungeheure, gewirkte Tapeten, deren eine die Schlacht am Boyne, die andere, die Belagerung von Derry vorstellt. Wilhelm III. macht auf der erstern eine Hauptfigur, nebst dem Herzoge von Schomberg, wie er vom Pferde stürzt und stirbt. Ich habe


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Ihnen schon weiter oben geschrieben, in welchem besondern Ansehen das Andenken dieses Wilhelms hier steht, und ich muß bey der Gelegenheit eine Bemerkung wiederholen, die ich schon mehrmals gemacht habe. Es ist sonderbar, daß viele Völker eine gewisse anhängliche Schwachheit für ihre Eroberer haben, für die sie gerade das Gegentheil empfinden sollten. So ist Wilhelm III. geehrt, weil er dieses Reich gegen den rechtmäßigen König Jacob II. eroberte. — So hat man hier, noch in neuern Zeiten, dem Richard Strongbow (Grafen von Pembrocke) Statuen und Denkmäler errichtet, weil er im zwölften Jahrhundert Irland für den Englischen König Heinrich II. eroberte. Und eben so sieht Wilhelm der Eroberer noch heut zu Tage in England in großem Ansehen.

Es ist bekannt, daß keine Nation in der Welt den Geist der öffentlichen Stiftungen, besonders der wohlthätigen, in so hohem Grade hat, wie die Engländer. Hospitäler und andere Stiftungen, die ungeheure Einkünfte besitzen, haben ihre Stiftung entweder ganz oder zum Theil irgend einer Privatperson zu danken. — Die Irländer, ob schon bey weitem nicht so reich, wie jene, haben auch eine Menge solcher Stiftungen aufzuweisen. So gibt es zu Dublin überaus viel Hospitäler für Kranke, für Invaliden, für Narren, für Kindbetterinnen etc. etc.


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Das, welches der berühmte Swift für Mondsüchtige stiftete, und wozu er 11,000 Pf. hinterlies, wird Ihnen bekannt sein. Er selbst hatte das Unglück, darinne als ein solcher zu sterben. Unter Mondsüchtigen versteht man alle Arten von Narren. Swift war ein Irländer und Dechant zu St. Patrik zu Dublin. Auffallend ist es einem Fremden, daß einer der ersten Geistlichen fast nichts als Satyren schrieb. Sein Mährchen von der Tonne,10 das auf dem festen Lande am meisten bekannt ist, macht nicht den zwölften Theil seiner Werke aus.

Auch das Kindbetterinnen Hospital hat seinen Ursprung einer einzigen Person zu danken. Ein Wundarzt, Mosse, stiftete es. Nachher baute man eine Rotunda, nach dem Model der bekannten Londoner, zu Ranelagh, darneben, wo öffentliche Conzerte gegeben werden, von denen der Profit dem Spitale gehört. Es ist eins der schönsten Gebäude zu Dublin, und hat ganz das Ansehen eines Pallastes, mit Säulenordnung, Vorhof, etc. etc. Jede verheurathete Frau dieser Stadt hat, gegen gewisse Certifikate ihrer Armuth, das Recht, ihr Wochenbette umsonst darinnen zu halten. An dasselbe stößt ein geräumiger und überaus artiger Garten. Ich glaubte, er sey zum Gebrauche der Wöchnerinnen, erfuhr aber, daß er für die Subskribenten des Conzertes sey, die darinnen spazieren zu gehen das Recht haben.


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Er wird bisweilen illuminiert und muß dann eine vortreffliche Wirkung machen. Die Schönheit, Pracht und Geschmack, die ich in der Kapelle dieses Hospitals sahe, fiel mir sonderbar auf, weil das Innere der übrigen Kirchen, die nicht zu Hospitälern gehören, gar sehr unansehnlich ist. Es macht der Nation Ehre, daß viele dieser milden Stiftungen den Vice-König, Canzler, den Erzbischoff von Dublin und die vornehmsten Peers des Reichs zu Vorstehern haben.

Ich bin heute so viel umhergelaufen, daß ich ganz müde bin. Um die Stadt recht zu sehen, mußte ich natürlich zu Fuße gehen. Lord T** gab mir deswegen einen Mann zu, der die Stadt vollkommen kennt: und dieser Mann war aus Sanen, in den Alpen des Cantons Bern. Es ist unbeschreiblich, wie der Schweizer sich überall in der Welt herum nistet. Blos in der B** Familie hab ich schon eine ganze Menge gesehen. Der vorige Hofmeister war ein Schweizer und die Hofmeisterin der Töchter ist aus Nyon, am Genfersee; der Kellermeister ist aus Murten im Canton Bern, ein anderer Bedienter aus dem Canton Solothurn; Mylord's Friseur aus der Gegend bey Basel, und noch ein anderes Frauenzimmer gleichfalls aus Nyon.

Die Gesetze Irlands sind, so wie die Englischen, strenge und blutig. Wie ich gestern


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in der Stadt umherging, stieß ich auf einmal an ein ungeheures Gebäude, dessen düstere, schreckenvolle Masse mir Schauder erregte. Ein ungeheures Viereck, ohne Fenster, fast ganz von Quadersteinen erbaut, auf jeder Ecke ein runder Thurm, ganz freistehend, und stark mit Wache besetzt — alles kündigte Newgate oder das Gefängnis an, welches erst neuerlich erbaut worden ist. Ich sahe vor einem großen Fenster desselben eine herabhängende Fallthüre. Diese wird aufgezogen, der Delinquent zum Fensterchen ausgeführt, auf die Fallthüre gestellt, und so bald er den Strick um den Hals hat, fällt sie herab. Und dieses Schauspiel gibt man, mitten in der Stadt, sehr oft. Der Diebstahl wird hier, so wie in England, noch mit dem Strange bestraft. Vergangene Woche wurde ein Knabe von vierzehn Jahren deswegen gehangen.

Die Casernen (baracks) würden, wegen des großen Umfangs der Gebäude und Regelmäßigkeit eine schöne Zierde der Stadt ausmachen, wenn sie nicht ganz an einem Ende derselben lägen. Wenn ich Ihnen sage, daß hier für 6000 Mann Platz ist, so können Sie sich einen Begriff vom Umfange dieser Gebäude machen, Sie sind durchgehends von Stein erbaut, ziemlich regelmäßig und einfach, erhalten aber eine große Würde und ein vortreflich Ansehen durch die Größe ihrer Masse. Ein Theil derselben ist ganz neu,


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völlig von Quadersteinen erbaut; die Höfe werden sehr reinlich gehalten. Da diese Gebäude auf einer kleinen, luftigen Anhöhe liegen, haben sie eine schöne Aussicht auf den Meerbusen und die Berge auf dessen beiden Seiten.

England hat zwey Ritterorden; Schottland hat auch seit langer Zeit seinen eigenen; nur Irland hatte keinen. Der König konnte keinen besseren Zeitpunkt wählen, auch für dieses Land einen zu stiften, als den gegenwärtigen. Sie wissen, lieber Freund, daß seit ein paar Jahren hier alles in Gährung ist, und der Hof suchte vermuthlich viele Familien dieses Landes sich verbindlich zu machen, indem er vergangenes Jahr den Orden des Irischen Heiligen St. Patrik oder Patricius stiftete. Im Winter 1783 wurden die neuen Ritter in der Kirche des heiligen Patricius feyerlich vom Vice-Könige eingeweiht. Man kann nicht weniger als ein Graf (Earl) sein, um ihn zu erhalten. Die silbernen Strahlen des Sterns fassen einen himmelblauen Zirkel ein, in welchen die Devise mit Gold gestickt ist: ‘Quis separabit MDCCLXXXIII’. Innerhalb dieses Zirkels liegt auf Silber ein rothes Andreaskreuz. Die leeren Felder, welche das Kreuz läßt, sind durch ein dreyblätteriches Kraut, welches man hier St. Patrikskraut nennt, ausgefüllt; im vierten Felde ruht der Stiel dieses Blattes. Auf jedem der drey Blätter ist eine goldene Krone gestickt,


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wodurch die drey Reiche angezeigt werden, auf die sich das ‘quis separabit’ bezieht. Das Band ist hellblau und wird von der Rechten zur Linken getragen. Der Orden hat funfzehn Ritter, wovon der König Großmeister ist. Am Ende des Bandes hängt ein Ring von massivem Golde, in der Größe eines Laubthalers, 11 auf welchem abermals die Devise steht. Dieser Orden kann nicht gekauft werden, wie der Englische Bathorden, und ist also auch nicht erblich. Das eben genannte St. Patrikskraut ist nichts anders als ein dreyblätteriches Kleeblatt. Man nennt es hier so, weil dieser Heilige und Apostel von Irland die Dreyeinigkeit durch ein dreyblätteriches Kleeblatt erklärte.12

Die Residenz des Vice-Königs, welche man gemeiniglich nur the Castle nennt, ist ein ziemlich weitläufiges Gebäude, dessen vier Seiten


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einen geräumigen Hof einschliessen. Es würde verdienen bemerkt zu werden, wenn man nicht von der Residenz eines Vice-Königes mehr erwartete. Er bekommt jährlich von der Nation 16,000 Pf. Sterlinge Irisch,13 welche ihm baar ausgezahlt werden, und welche er bekommt, wenn er auch nur ein paar Monate bleibt, welches schon öfters geschehen ist. Bleibt er hier, so kommt er mit diesem ansehnlichen Gehalte nicht aus, sondern muß von dem seinigen zusetzen. Er hat eine ansehnliche Wache zu Fuß und zu Pferde, und die Offiziers müssen ihre Reihe halten, wie beym Könige. Er heißt hier und in England nicht Vicekönig, sondern Lord Lieutenant. In der Stadt wird man ihn nicht gewahr, und in Gesellschaften spricht man so wenig von ihm, als wenn er nicht existirte. Im Hause der Peers hat er eben den Sitz, den in England der König einnimmt.