Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 8

Dublin, den 20. Aug. 1783

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Wenn ich Ihnen sage, daß ich vorgestern wieder hier angekommen bin, so sage ich Ihnen nichts, als was Sie, wenn Sie dieses erhalten, schon durch einen andern Brief wissen werden. Ich thue also, als käme ich gerade von Holyhead hierher, und die Beschreibung meiner Reise mit meinen Bemerkungen, die ich Ihnen versprochen


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habe, geht ihren natürlichen Gang fort, und ich datire sie von den verschiedenen Orten.

Lessing sagt irgendwo, wenn man ein Buch schreiben wolle, so solle man sich einen Gegner wählen, und dann werde der Stoff schon von selbst kommen. In Nachahmung dessen hätte ich meinen Gegner gar bald in Herrn Twiß gefunden, einem Engländer, der vor einigen Jahren eine Reise durch Irland herausgab. Ich las dieses Buch als eine Vorbereitung zu meiner Reise in dieses Land, und finde nun, daß die Irländer recht haben, wenn sie bitterlich über ihn schreyen, und seine Reisebeschreibung als das hämischste, unverschämteste Ding, das man über ein Land aushecken kann, betrachten. Was den Mann bewogen haben kann, ein ganzes Land und ein ganzes Volk, bey dem er sehr hospital empfangen wurde, so zu verkleinern, weiß ich nicht, das aber weiß ich, daß sein Werk voller Irrthümer, und seine Art, die Sachen anzusehen, sehr von der meinigen unterschieden ist.

Einige Iren haben sich auf eine sonderbare Art an diesem Manne gerochen. Sie ließen in ihre Nachttöpfe, unten auf dem Boden, eine Figur mit weit geöffnetem Munde mahlen, um, so oft sich jemand des Topfes bedient, das starke Getränke zu empfangen. Es stunden zwey Verse dabey, von denen ich mich nur noch so viel


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erinnere, daß Twiß und piß sich reimten: und einen solchen Nachttopf, deren man besonders in den Wirthshäusern viele fand, nannten sie einen Twiß.

Dublin hat acht Meilen im Umfange, und nimmt, so wie London, immer zu, indem es keine Mauern hat und nichts seine Vergrößerung einschränkt. Die Zahl der Häuser wurde 1789, auf 13,500 gesetzt. Die Zahl der Einwohner läßt sich schwer bestimmen, wie denn überhaupt in den drey Reichen nichts ungewisser ist, als die Volksangaben. Die verschiedenen Berechnungen, die man von London hat, sind um nicht weniger als 200,000 unter einander verschieden, und mit Dublin ists eben so. Nie werden die Einwohner in den Städten dieser Reiche gezählt, und selbst die gewöhnlichen Listen der Gebohrnen und Gestorbenen sind nichts weniger, als genau. — Sehr vernünftige Leute haben mich versichert, daß die Bevölkerung von Dublin über 300,000 sey; andere ließen volle 100,000 nach. In manchen Büchern ist sie auf 140,000, in manchen auf 150, und in noch andern auf 160,000 gesetzt, welche letztere wohl die richtigste sein mag. — Wenn ich den Umfang eines Ortes weiß und die Gassen und Häuser ein wenig gesehen habe, gebe ich auf die Menge der Menschen Achtung, die ich in verschiedenen Gassen und Plätzen an einem gewöhnlichen Tage sehe,


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und vergleiche das zusammen mit Städten, deren Umfang und Bevölkerung ich genau kenne. Hierdurch kann ich freilich keinesweges die Bevölkerung eines Ortes genau bestimmen; aber so viel kann ich doch sehen, ob die Zahl, die man mir angibt, lächerlich übertrieben ist, oder nicht. Ich habe hiervon verschiedene Erfahrungen gemacht, um so mehr, da ich immer vorzüglich nach der Bevölkerung der Städte, in denen ich bin, frage. So viel bin ich gewiß, daß in Dublin nicht unter 150,000 Seelen, und nicht über 200,000 sind, der erstern Zahl näher, als der letztern.

Ich kenne keine Stadt, die London so sehr gleicht, wie Dublin, nur daß erstere prächtiger, schöner und reinlicher ist. Die Länge, Breite und Regelmäßigkeit der Gassen, (wenigstens des größeren Theils) die Einfalt der Gebäude, die Trottoirs, die Art, wie die Boutiken von außen verziert sind; (nur neuer, glänzender, und in größerer Anzahl zu London) die Ziegelsteine, die unangestrichen sind, und deren Roth durch Zeit und Rauch rostig wird — alles das erinnert mich an London. Sie sehen also, daß ich hiermit Dublin unter die schöneren großen Städte rechne. Freilich gibt es weder hier, noch zu London, einen Platz, wie den des Victoires zu Paris und einige andere, auch nicht so viele Palläste; alles ist einfacher, aber dafür ist auch der Contrast der


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äußern Pracht und des äußersten Elends, wenigstens von außen nicht so auffallend. London hat eine Menge sehr schöner Squares, aber sie sehen alle so reinlich, so niedlich und so bürgerlich aus, daß man unter Leuten seines gleichen zu seyn fühlt. Dublin hat nicht so viele Square, aber einen Platz, der an Größe schwerlich seines gleichen hat. Stephengreen ist ein Viereck in der Stadt von Grün, dessen jede Seite 1000 Schuhe lang ist. In der Mitte steht eine Ritterstatue Georgs II. Der ganze grüne, einfache Platz ist von den Straßen durch eine Mauer und eine Reihe von Bäumen abgesondert. Innerhalb der Mauer ist ringsherum ein Spaziergang mit Sand belegt, wo man am besten, an gewissen Tagen die schöne und gesittete Welt von Dublin sehen kann. Die Häuser umher entsprechen freylich nicht der Würde dieses Platzes, doch hab ich viele sehr hübsche gesehen, und das, was Twiß behauptet, ist eine Impertinenz.

Die Häuser haben hier noch häufiger als zu London einen Graben, der gegen die Gasse mit einem Geländer umgeben ist. In diesen Graben gehen die Fenster eines halb unterirdischen Stocks, in welchem die Küchen, Speise- und Vorratskammern nebst den Zimmern der Bedienten sind. Das erste eigentliche Stock der bessern Häuser ist um etliche Stufen


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höher als die Gasse, und gibt beim Eingange ein sehr artiges Ansehen.

Man vermeidet hier eben so sehr als zu London (in den Häusern der Reichen versteht sich) die Küche im Hause zu haben; daher ist sie entweder in dem untersten Stock, welcher nur durch eine Seitentreppe mit dem übrigen Hause in Verbindung steht, oder in einem ganz abgesonderten Gebäude. Da man den Geruch der Küche ungerne im Hause hat, so will man natürlich noch weit weniger den des Abtritts; auch ist weder in England noch in Irland einer in dem Hause zu finden, selbst nicht einmal in den Wirthshäusern. Man entfernt ihn öfters sehr weit vom Hause und deswegen heißt er auch little house.

Die Art, die Tafel zu serviren, ist hier, bey den Vornehmen und Reichen gerade wie in England. Auf dem Tisch steht weder ein Glas, noch irgend ein Getränke; sondern auf einem Nebentische, an dem der Maitre d'Hotel (Butler) steht, befinden sich drey, vier bis fünferley Arten von Weine, zweierley Arten von Bier und Cider. Jeder fordert von einem Bedienten bald dies, bald jenes zu trinken, so wie es ihn verlangt. Speisen werden keine nach der Reihe herumgegeben, sondern jeder verlangt, was er will, und die Schüssel, die ein jeder vor sich hat, die muß er


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serviren, er mag sonst im Hause bekannt seyn oder nicht. Suppe speißt man gewöhnlich nicht, weder zu Mittage noch Abends. Die Speisen sind weit einfacher, als auf dem festen Lande, aber in ihrer Art vortreflich. Die Gemüse werden gewöhnlich blos in Wasser gekocht, und ein jeder nimmt zerlassene Butter dazu nach Belieben. Wo ich noch gewesen bin, hab' ich eine vortrefliche Tafel gefunden. Man gibt gewöhnlich keine Servieten; die Tischtücher sind so lang, daß man sie auf den Schoß legen und Mund und Hände damit abwischen kann. Für jede Mahlzeit, selbst für das Frühstück, wird ein anderes gegeben.

Wenn die Frauenzimmer eine Weile beym Nachtische gesessen sind, stehen sie auf und gehen in ein anderes Zimmer; die Mannspersonen aber setzen sich an einen andern Tisch und lassen die Flasche (und das ist gewöhnlich Claret) nach der Reihe herum gehen; doch ist man dabey vollkommen frey. Der Hausherr fängt an und trinkt gewöhnlich des Königs tost, oder Gesundheit. Nachher trinkt jeder nach der Reihe die Gesundheit einer Dame, die wenigstens von einem der Gesellschaft gekannt, und keinem von der Gesellschaft verwandt seyn muß. Sündigt einer im letzten Falle, so kann der, dessen Verwandte sie ist, ihm zur Strafe einen pumper auflegen, d. h. ein ganz


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volles Glas, da man gewöhnlich nur ein Viertel füllt. Dies alles geschieht ohne Geräusche und ohne das geringste Zunöthigen.

Bey vielen Protestantischen Iren ist eine gewöhnliche Gesundheit on the glorious memory of the King William, (auf das glorreiche Andenken König Wilhelms). Die Protestanten betrachten ihn als den König, dem sie ihre eigentliche, festgesetzte Constitution zu danken haben. Überhaupt steht dieser Wilhelm III. in ganz besonderem Andenken, und die Nation hat, ihm zu Ehren, nicht weit von Drogheda, wo er über den Boyne ging, und seinen Schwiegervater schlug, eine Pyramide errichtet, die die schönste und größte in der neuern Welt seyn soll.7 Die Aufschrift findet sich im Twiß. Eben so sehr verabscheuen ihn die Catholicken, und betrachten hingegen Jacob II. wie einen Heiligen. In der That war es unter Wilhelm III. daß die Catholicken hier aller bürgerlichen Freyheiten beraubt und in den unglücklichen Zustand gesetzt wurden, aus dem das Irische Parlemente sie erst vor zwey Jahren riß. Doch davon ein andermal.

So lange als die Mannspersonen beym Weine zusammen sitzen, steht durchgehends im nämlichen Zimmer ein Nachttopf, dessen sich ein jeder bedient. — Wenn die Mannspersonen


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aufstehen, gehen sie wieder zu den Damen, wo Thee und Caffee servirt wird. — Am Ende der Mahlzeit stochert man sich die Zähne, spült sich den Mund aus, putzt die Zähne mit dem Tischtuche und wäscht sich die Hände, alles am Tische und im Beyseyn der Frauenzimmer. Doch ist dies nicht nur in England und Irland gewöhnlich, sondern ich sah es auch in verschiedenen großen Häusern auf dem festen Lande.

Was mich in Irland wunderte, war, daß man über der Mahlzeit noch Gesundheiten trinkt. In England ist dies unter den Großen ziemlich abgeschafft, wiewohl ich es in den bürgerlichen Häusern fand, in denen ich zu London speißte.