Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 6

Montags, den 23. Jul. 1783

6

Es sind heute mehr als drey Wochen, daß kein Tag vergangen ist, an dem es nicht geregnet hat. Gewöhnlich regnet es nur wenig, ich bin alle Tage ausgeritten und kein einziges mal recht naß geworden. Überhaupt ist hier der Regen nicht das Beschwerlichste, wohl eher der ewige Nebel und Dunst, der beständig in der Luft ist, und dem Himmel eine graue Farbe gibt. Nein, ohne Wolken und ohne Dunst habe ich die Sonne noch keine vier bis fünf mal gesehen, seitdem ich in Irland bin; und wenn sie einmal hervorschaut, so ist sie gleich wieder umwölkt. Ein ganz blauer und entwölkter Himmel ist fast nie zu sehen,


p.24

und wenn es ja geschieht, so ist das Blaue nie so rein und glänzend, wie in der Schweiz, und vorzüglich am Genfersee.

Erinnern Sie sich, lieber Freund, wenn ich Ihnen öfters von der ganz außerordentlichen und Seelenerquickenden Klarheit dieses Horizonts, besonders im September, geschrieben habe, und fühlen Sie, wie schwer die dicke Luft und die Feuchtigkeit hier auf mir liegen muß. Da seh ich nicht mehr jenes herzerhebende Azur, welches über die ganze Gegend jene schmelzenden, wollüstigen Tinten verbreitet, über deren pompeuse Beschreibung Sie vielleicht manchmal gelacht haben, weil Beschreibungen von so etwas keinen Begriff geben können. Hier sind die Tinten kalt und etwas grau, obschon das Grün schöner hier ist, als vielleicht irgendwo in der Welt. Alles hat, wenn man es im Detail betrachtet, die Farbe eines jungen Gräsgens, das so eben, nach einem befeuchtenden Gewitterregen aus dem aufgelockerten Boden hervorkeimt. Es ist reizend und erquickend fürs Auge, aber kalt, und im Ganzen grau, so wie auch, aus eben der Ursache, die Contours hart und scharf markiert sind. Ich bin aber an sanfte, weiche, und warm in einander geschmolzene Umrisse gewöhnt, deren Anblick uns jene behagliche und liebevolle Empfindungen einflößt, die dem Herzen so wohl


p.25

thun und erwärmen, in dem er der Einbildungskraft einen hohen Schwung gibt.

Die viele Feuchtigkeit und der immer bedeckte Himmel machen das Klima dieser Insel, ohne Ausnahme zum gemäßigsten von Europa. Der Sommer ist nicht heiß, und der Winter nicht kalt. Unsere Spazierritte fallen alle in die Stunden von elf bis drey Uhr; Stunden, die man in dieser Jahreszeit auf dem festen Lande in seinem Zimmer, und oft sehr unbehaglich zubringt. Gleichwohl trage ich ein Tuchkleid, und habe, auch beym stärksten Reiten, noch nicht das geringste von der Hitze gelitten. Seidene und andere Sommerkleider kann ich nie einen ganzen Tag tragen, ohne in verschiedenen Stunden darinnen zu frieren, indem Wärme und Kälte in einem und demselben Tage zwey, drey, viermal abwechseln. Jedermann trägt deswegen Tuchkleider mit Revers, die man bald auf der Brust über einander schlägt, bald auf beyden Seiten, wie auf den Uniformen, auf ihre Knöpfe knöpft.

Diese Temperatur macht wenigstens in dem hiesigen Striche, daß keine Frucht unter freyem Himmel zur rechten Reife kommt, daher denn auch auf den Wiesen kein Obstbaum zu sehen ist. Alle Früchte, die wir hier essen, selbst die Kirschen sind an Spalieren oder ungeheuern Mauern


p.26

gezogen, die einen Garten einschliessen, der gewiß zweymal so groß als der Leipziger Markt ist. Melonen, Gurken und verschiedene andere Früchte, wachsen unter Treibbeeten; und Feigen, Trauben, Ananas etc. kommen alle aus einem großen Treibhause, wo man außer dem vielen Miste, noch öfters heitzt. Bis zu Ende des Junius brannte man in den Zimmern Caminfeuer, und in manchen Häusern läßt man es das ganze Jahr nicht ausgehen.

Nehmen Sie nun das alles zusammen und vergleichen Sie es gegen das Clima von Leipzig, unter deßen Breite ich jetzt ohngefähr lebe. Das angenehme Gefühl, das uns im Sommer eine gemäßigte Hitze einflößt, und das noch angenehmere, sich in der Kühle und im Schatten von der Hitze zu erholen und zu erquicken, ist mir hier unbekannt. Die Nächte sind ohngefähr wie die Tage, und früh Morgens ist es nicht viel kühler, als zu anderen Stunden des Tages. Eben diese Temperatur macht nun auch, daß die ganze Landschaft einem ewigen Frühlinge gleicht; da ist nichts verbranntes, nichts braunes oder gelbes im Grünen, alles ist frisch und erquickend.

Der Winter ist nicht gar viel anders! Man kennt hier keine Kuh- und Schafställe, denn alles bleibt das ganze Jahr unter freyem Himmel. Wenn der Lord von hier weggeht, nimmt er


p.27

kaum dreyßig Pferde mit in die Stadt; alle übrigen werden in einem Theile des Parks gelassen, wo sie wild und unbedeckt bis ins Frühjahr leben, da man sie denn fängt und bald wieder sanft macht. Daher, daß das Vieh immer unter freyem Himmel ist, kommt es, daß das Fleisch besser ist, als selbst in der Schweiz. Auch nährt man sich größtentheils mit Fleisch, welches, nebst dem Wein, dem Körper die nöthige Hitze gibt.

Das hiesige Clima ist, seiner Feuchtigkeit ungeachtet, keineswegs ungesund. Ich sehe besonders unter den Mannspersonen fast lauter starke, kraftvolle Körper, und nirgends hörte ich in meinem Leben weniger von Rhumatismen, schwachen Mägen, Podraga, Fiebern, u.s.w.