Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 3

C***, den 23. Jun.

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Eben hatte ich vergangenen Montag aufgehört, Ihnen zu schreiben, um zum Mittagsessen zu fahren, als ich einen Brief von Lord T** erhielt. Er konnte nicht in die Stadt kommen; wir verreisten den 17ten und kamen den 18ten hier an, wo ich die ersten Tage hingebracht habe, mich mit den Menschen, der Gegend umher, und den Dingen, die mich umgeben, so bekannt als möglich zu machen. Es sind nun fünf Tage, daß ich hier bin, und noch kenne ich nicht ganz das Gut, oder den Park, in dessen Mitte ich wohne, ob ich schon alle Tage


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spazieren gehe, reite und fahre. Da ich nie in meinem Leben das Innere eines so genannten Parks der großen Herren in England, Schottland und Irland gesehen habe, so staune ich noch manches in dem an, in welchem ich bin, meines Grundsatzes nil admirari ungeachtet.

Ich möchte Ihnen gerne von so einem Parke einen Begriff geben; (Sie hätten dadurch einen allgemeinen, weil die Hauptsache in allen Englischen Parken auf das nämliche herauskommt) allein da man das auf dem festen Lande nicht kennt, wird es schwer seyn. Zuerst entfernen Sie jeden Begriff von Garten, denn es ist keiner; im Gegentheil entfernt der Engländer den Garten ein gutes Stück von seinem Hause weg, und verweist ihn gewöhnlich in einen Winkel des Parks, wo er nicht in die Augen fällt. — Stellen Sie sich einen Strich Landes vor, der an manchen Orten über drey Meilen im Durchschnitte hat, und der mehr aus Hügeln und Abhängen, als aus Ebenen besteht. Dieser ganze Strich Landes ist mit einer Mauer umgeben, welche man aber, wegen der Größe der Landschaft selten gewahr wird, und welche noch überdieß durch die so genannte Wilderness versteckt wird. Dieses ist eine Art Waldung, welche innerhalb der Mauer um den ganzen Park herumgeht. Dieser Wald ist gepflanzt, besteht aus einer großen Menge


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verschiedener Arten von Bäumen, und ist so dichte, daß man von dem Wege aus, der rings herum geht, nichts sehen kann als Bäume und Gestrippe. Dieses schauerliche Dunkel hat für mich unendlich viel Reiz; der Fußboden ist mit dichtem und frischem Grase bewachsen, welches natürlich nicht so sehr betreten wird, daß man einen Weg darauf sehen sollte. Die Pferde bezeigen eine gewisse Lebhaftigkeit und Regheit, so bald sie auf diesen Boden kommen, und gewöhnlich macht man da ein Stück Weges im stärksten Galop. Das Dichte der Bäume zieht unzählige Vögel an sich.

Mitten im Parke steht das Wohnhaus, welches wie ein großes Gebäude oder Rathhaus auf einem Markte aussieht, denn auf beyden Seiten gehet eine lange Reihe kleinerer Gebäude. Gleich zunächst an den Gebäuden sind Wiesen, welche von einem breiten Wasser durchschnitten werden, das wie ein Fluß aussieht, das aber eigentlich durch Kunst in diesen Canal geleitet worden ist, und nur einen sehr kleinen Ablauf hat. Die ganz grünen Ufer dieses Wassers, ein langer Hügel mit unabsehbaren Wiesen, der sich an einer Seite desselben erhebt; ein Wald auf einer anderen Seite, der sich längst einem Berg hinauf zieht; eine kleine Insel, mit einem großen Baum darauf; eine Brücke, ein paar Kähne, und die


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Ruinen einer alten Mauer — alles das zusammen macht die Gegend zunächst am Hause unendlich reizend. Der Canal ist von etwa zwanzig Schwänen bewohnt, deren angenehmes Weiß immer auf dem Wasser schimmert, oder mit der Farbe des Grases absticht, wenn sie, wie sie häufig thun, aus dem Wasser gehen und bis ans Haus kommen. Die Wiesen reichen bis an die Mauern der Gebäude; aber in der Entfernung von einigen Schritten geht um das ganze Haus herum ein Weg, der sorgfältig unterhalten und beständig mit einem steinernen Cylinder gewalzt wird, gerade so, wie man in Sachsen das Feld walzt.

So wie man sich vom Hause entfernt, kommt man bald in eine Allee, bald in ein Wäldchen von Nußbäumen, bald an eine Grotte im dicken Gebüsche, bald an eine Hütte, welche der Schäfer, oder an eine andere, welche der Kuhhirt bewohnt; oder an den Maierhof, oder auf eine Anhöhe, von der Sie viele Stunden weit auf den Sure {Suir} sehen können, auf welchem ansehnliche Schiffe mit der Ebbe und Fluth auf und ab fahren. Doch hat man die weiten Aussichten sorgfältig vermieden, und ein Theil des Parks wechselt immer so mit dem anderen ab; kurz, er ist so angelegt, daß Sie das Ganze nur hin und wieder übersehen können.


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Was für mich unendlich angenehm und fremd ist, ist die ungeheure Menge Vieh, womit der Park bevölkert ist, und welches alles beständig frey herum läuft, ja so gar nicht einmal im Winter in Ställe kommt. Es sind hier etliche hundert Kühe; die Pferde läßt man auf die Weide, sobald sie nicht gebraucht werden; über fünf hundert Damhirsche und bey tausend Schafe. Die Hirsche und Kühe weiden öfters mit einander, und lassen einen auf funfzehn bis zwanzig Schritte an sich kommen.

Dies vom Abhange eines Hügels zu sehen, ist unaussprechlich schön. Alles hat ein Ansehen von Freyheit und Wildheit, wenn schon alles eingesperrt ist. Ja selbst im Parke kann das Vieh nicht von einem Orte zum andern, sondern ist durch dichte, grüne Hecken getrennt, welche aber einer schönen Landschaft und nicht einem Gefängnisse gleich sehen.