Corpus of Electronic Texts Edition
Briefe aus Irland nach Sachsen (Author: Carl Gottlob Küttner)

Brief 2

Dublin, den 14. Jun. 1783

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Auch hier, lieber Freund, bin ich endlich glücklich und gesund angekommen. Ich danke Gott mit einem wahrhaft gerührten Herzen, daß auch diese Wanderschaft zu Ende ist, ohne daß mir nur das Allergeringste begegnet wäre. Gewiß war diese Reise wegen der Eile, mit der ich sie machen mußte, wegen des vielen Nachtfahrens, und wegen der doppelten Seefahrt, die beschwerlichste, die ich je gemacht habe.2 Gleichwohl ist sie nun vorbey, ich bin nicht ein einziges mal eigentlich krank gewesen, und habe


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noch oben drein manches angenehme, manches vergnügte und unterhaltende erlebt.

Nun auf meine letzte Überfahrt! Sie war gerade so, wie ich sie vermuthete, äußerst langweilig, beschwerlich und leidenvoll; ich bin sieben und dreyßig Stunden auf dem Meere gewesen, und habe da im kleinen all die Mühseligkeiten erfahren, deren man auf Seereisen ausgesetzt sein muß. Ich habe oft und viel in Romanen und Reisebeschreibungen davon gelesen; überall aber mangeln gewisse Details, die freilich zum Theil sehr eckelhaft sind, ohne die man sich aber unmöglich einen rechten Begriff davon machen kann. Sie wissen, lieber Freund, daß wir alle gerne von unsern ausgestandenen Übeln reden; und da ich meine Fahrt noch in frischem Andenken habe, so will ich es versuchen, Ihnen eine umständliche Beschreibung davon zu machen.

Den 10ten früh um sechs Uhr gingen wir, nebst ohngefähr zwanzig anderen Passagiers, mit der Fluth unter Segel. Unser Packetboot war wohl noch einmal so groß, als das, in dem ich von Calais kam, folglich war das Verdeck überaus geräumig und bequem; allein das Innere war sehr von jenem unterschieden. In dem zu Calais war nur ein einziges, großes und niedliches Zimmer mit sechs Betten, und auch in diese legt sich selten


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jemand, weil man auf dem Verdeck bleibt, so lange, als man nur immer kann. Hier hingegen waren drey Zimmer mit achtzehn Betten, die wegen der Länge der Überfahrt alle gebraucht wurden, und das Schiff zu einem wahren Lazarette machten. Ein Irländischer Lord, der mit seiner Frau, drey Töchtern und einer Kammerjungfer von Bath kam, war uns zuvorgekommen, und hatte das erste und beste Zimmer mit acht Betten gemiethet. Wir mußten mit dem zweyten vorlieb nehmen, dessen Fenster und Thüre nicht ins Freie, sondern in andere Zimmer gingen. Dabey war es so klein, daß unsere vier Betten den ganzen Raum füllten. Das übrige des Schiffs war durch die Bedienten des Lords und einige andere Passagiers so angefüllt, daß nach acht Stunden nicht nur die Betten, sondern der ganze Boden voll war.

Da fast kein Wind war, wurden wir ganz sanft durch die Fluth aus dem Hafen getrieben, und kamen erst nach zwey Stunden aus dem Meerbusen von Holyhead heraus. Trockene, graue Felsen, deren unterer Theil durch das Anspülen des Meeres ganz schwarz ist, einige mäßige Berge, und der Anblick der kleinen Stadt, machen zusammen eine Aussicht, die ohne reich zu seyn, nicht eben unangenehm ist. Nach zwey Stunden bekamen wir Wind, der immer stärker


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und stärker wurde, ohne jedoch den Namen eines Sturms zu verdienen. Es war mehr wider uns als für uns, und doch kamen wir in drey Stunden sehr weit ins Meer hinein, weil man, wie Sie wissen, mit jedem Winde fahren kann, wenn er nur nicht schnurgerade entgegen ist. Die schwankende Bewegung des Schiffs war äußerst stark, und da wir den Wind von der Seite auffangen mußten, ging es so schief, daß wir uns alle auf dem Verdecke in die Winkel legen mußten.

Jetzt wurde nun unsere Gesellschaft nach und nach kleiner; eins nach dem andern wurde krank und verließ das Verdeck. Der Wind wurde immer stärker; die Wellen flogen häufig auf das vordere Verdeck, wo die Matrosen sind, zerschlugen sich da, und ihre feuchten Theile wurden bis auf das hintere zu uns getrieben. Die Bewegung ist wohl die Hauptursache der Seekrankheit; darzu kommt freilich hernach noch der Gestank von Pech und Theer, das Ausdünsten des Seewassers, das heulende Schreyen der Matrosen, so oft sie ein Thau anziehen, oder ein Seegel wenden, das beständige Knattern des Schiffs, und in der Kajüte der Eckel, den das Erbrechen der andern nebst dem Geruche erregt.

Ich hatte mich bis gegen Mittag auf dem Verdeck erhalten; da es aber endlich anfing zu


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regnen, und die Wellen immer stärker auf das Verdeck sprangen, ging ich in die Kajüte, wo ich in weniger als einer halben Stunde sehr krank ward. Sie können sich nichts eckelhafteres vorstellen, als den Geruch und das Getöse und Anstrengen von alle dem Erbrechen. Manche werfen sich im Bette herum, manche liegen auf der Erde ausgestreckt und strengen sich an, und wimmern entsetzlich. — Es sind allemal zwey Betten, aus denen manchmal die Obern sich über und auf die Untern herab erbrechen. Doch hat ein jeder sein Gefäße von feiner englischer Erde, und ein Wärter, der ausdrücklich darzu da ist, auch wenn es nöthig ist, mehrere, gehen beständig herum, tragen weg, und bedienen einen auf jeden Ruf mit vieler Sorgfalt.

Und so glaub ich haben Sie genug von der eckelhaften Scene. In der Natur ist sie; dafür bin ich Ihnen gut; in einem freundschaftlichen Briefe kann sie, der Seltenheit wegen, allenfalls auch einen Platz finden, aber weiter nicht; unsere teutschen Schauspieldichter des letzten Decenniums mögen auch sagen, was sie wollen.3


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Ich legte mich nun auch zu Bette, und blieb drey und zwanzig Stunden in diesem engen Gefängniße liegen.

Gegen die Nacht legte sich der Wind, und mit der sanftern Bewegung des Schiffs nahm auch meine Krankheit ab. Schon dieses ist einem große Wohlthat, ob ich schon die ganze Nacht hindurch unausgesetzt leiden mußte. Die Hangmatten sind nicht so eingerichtet, daß man sich auskleiden kann; auch konnte ich mich kaum in einem Tuchkleide und einem Überrocke vor der Kälte sichern. Das lange Liegen ist äußerst schmerzlich. Sie fühlen jeden Knopf, jede Falte Ihres Hemdes und Ihres Kleides. Ihre Lage öfters zu ändern, ist unmöglich, weil jede Bewegung neue Übelkeiten und Erbrechen erregt. Alle Glieder schlafen Ihnen ein, alle Knochen dünken Sie zerschlagen zu seyn. Wenn das Schiff schief geht, und Ihr Kopf auf der hängenden Seite sich befindet, so ist er manchmal um einen Schuh tiefer als Ihre Füße. Das Blut steigt Ihnen in den Kopf und erregt heftige Kopfschmerzen. Vor Ermattung und


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Schwäche schlafen Sie ein, werden aber alle Augenblicke durch das Ächzen Ihres Nachbars, durch das Schreyen der Matrosen, durch das Krachen des Schiffs und durch die Schmerzen eines eingeschlafenen Gliedes aufgeweckt. Was aber die meisten Schmerzen verursacht, ist die Vertiefung unter der Brust oder sogenannten Brustkehle, welche durch das Erbrechen und die beschwerliche Lage so stark angegriffen wird, daß Ihnen zuletzt der Atem fehlt, und jeder Zug mit einem Stiche begleitet ist. Und doch ist das Bette noch der behaglichste Ort, in dem man seyn kann.

Ich wußte, daß in der Nacht der Himmel heiter war und der Mond schien. Wie anziehend würde zu jeder andern Zeit ein Schauspiel, wie dieses für mich gewesen seyn! Der Schimmer des Mondes auf der offenen, freyen See! Und doch hatte ich nicht das geringste Verlangen, das zu sehen; man hätte einen Blick ins Paradies werfen können, ich wär' nicht aufs Verdeck gegangen. Und so ändert sich der Mensch durch die Umstände und wird sich selbst völlig ungleich von einem Augenblick zum andern. Schon heute, ob ich gleich noch alles im frischen Gedächtnisse habe, kann ich nicht mehr recht begreifen, wie ich bey vollen Sinnen so entsetzlich schwach seyn konnte, und vieles ist mir schon wie ein Traum.


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Gegen Morgen sagte man, daß man die Küste von Irland sähe, daß aber überaus wenig Wind wäre, und daß er fast gegen uns sey. Die Matrosen machten nun Thee und andere Getränke, die Bewegung des Schiffs war sanft, und die Passagiers fingen allmälig an, wieder etwas zu sich zu nehmen. Nach drey und zwanzig Stunden verließ ich endlich meine Hangmatte, taumelte auf das Verdeck und sahe mich um eilf Uhr Vormittags so nahe an der Irischen Küste, daß ich in zehn Minuten zu Lande dahin hätte gehen können. Wir befanden uns am Eingange in den Dubliner Meerbusen, an der linken Seite, und wir hätten, vermittelst eines Bootes sehr gut landen können. Ich wunderte mich sehr, daß man da keine Häuser und Posten angelegt, um zu Lande nach Dublin zu kommen. In der That kam ein kleines Fahrzeug an unser Schiff; allein niemand wollte sich auf diese Einöde ans Land setzen lassen, und so mußten wir noch acht Stunden auf dem Meere bleiben.

Der Eingang in den Meerbusen ist sechs Meilen4 breit und sehr schön durch ziemlich hohe Berge, die auf beyden Seiten die Landspitzen


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formiren. Wir fuhren an dieser Landspitze, oder Vorgebirge zur linken zwey Stunden lang in einem Zikzak herum, ehe wir in den Hafen einliefen. Mit gutem Winde hätten wir das in fünf Minuten gemacht. Die Tiefe des Meerbusens bis Dublin beträgt vom Eingange zehn Meilen. Erst Abends um sechs Uhr kamen wir an den Leuchtthurm, welcher noch drey Meilen weit von der Stadt ist, und von welchem aus man seit einigen Jahren einen Damm anlegt, an dem man gegenwärtig noch arbeitet. Unser Schiff warf hier die Anker aus, wir stiegen in ein Boot, welches leichter segelte, und nach einer Weile Wegs wurde es von acht Männern längst den eben angeführten Damm bis in die Stadt gezogen, wo wir um sieben Uhr ankamen.

Man sagt, der Dubliner Meerbusen sey einer der schönsten in der Welt. Ich weiß es nicht, denn außer dem von Holyhead hab' ich keinen gesehen, indem Dover und Calais keine eigentliche Bay haben. Allerdings ist es ein reizender Anblick, sich mitten in dieser Bay zu befinden, die an manchen Orten wohl zwölf bis funfzehn Meilen breit seyn mag; das Land rings umher zu sehen, die hohen Berge zur linken in mannigfaltigen Formen mit allen den unzähligen Landhäusern und Flecken und Hütten;


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für mich aber ist das Ganze doch etwas zu weit, mein Auge faßt es nicht, und die rechte Seite, wo die Berge nicht sonderlich hoch sind, war für mich fast ganz verloren, weil wir uns sehr links hielten. Wenn ich an gewisse Orte auf dem Genfersee zurück denke, wie ich da mitten auf dem Wasser das herrliche Land umher sahe, wie in einem Meerbusen, die höhern und niedern Berge und alle die Abwechselung, und alles dem Auge größer und näher, so war das, dünkt mich fast noch schöner.

Überhaupt hat weder hier noch zwischen Frankreich und England das Meer die große Wirkung auf mich gemacht, von der ich so oft gehört und gelesen. Wenn ich den Genfersee an gewissen Orten betrachtete, und der ferne Horizont in Nebel gehüllt war, so sah ich ein Bild des Meeres. Freilich mag es von einem hohen Berge herab, an einem heitern Abende oder Morgen etwas ganz anders sein; aber dieses Schauspiel hab ich noch nicht gehabt. In Dungarvan in Nordwallis sah ich ohngefähr so etwas, aber die Aussicht war zu eingeschränkt; ich sah ein Stück vom Meere von einer Anhöhe herab, in dem Augenblicke, in dem die Sonne unterging, und eine ungeheure Purpurmauer vom Meere weg sich in die


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Luft erhob. Doch davon ein andermal. Wenn ich mehr Ruhe habe, will ich mehr über diese Reise niederschreiben, und es Ihnen gelegentlich schicken.

Als wir vergangene Mittwoche hier ankamen, ließen wir uns vom Zollhause weg auf einem kleinen Fahrzeuge den Fluß herauf führen, stiegen nahe bey T** House aus, und erstaunten nicht wenig, niemanden als den Thorhüter zu finden. Lord P. schickte sogleich zu einigen seiner Verwandten, und da erfuhren wir, daß kein Mensch etwas von unserer Ankunft wußte, daß meine und seine Briefe fehl gegangen, und daß Lord T** auf seinem Landsitze, hundert Meilen von hier, sey. Alles dieß würde mich nicht wenig in Erstaunen gesetzt haben, wenn ich nicht schon gewußt hätte, daß die Briefe auf diesen Eylanden gar nicht mit der Ordnung gehen, wie auf dem festen Lande.


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