Corpus of Electronic Texts Edition
Geschichten von Cano mac Gartnáin (Author: Rudolf Thurneysen)

section 15

‘Nun wohl, Guaire’, sagte Senchán, ‘du hast zu viel auf dich genommen. Es war genug für die Connachter, uns zwei zu unterhalten, ohne daß noch ein anderer zu uns gebracht werden mußte. Der lästige Jüngling’, sagte er, ‘der Sohn Gartnáns, könnte in den Stamm (ins Land) hinausgehn mit seinen guten Hunden, und sie könnten unter sich Sport treiben.’ So geschah es vom Mittag an bis zum Mittag des folgenden Tages. Nachdem sie ihre Hunde losgelassen hatten, traf kein Mann mehr auf den andern. Darüber wurden sie mißmutig; sie nahmen Abschied von Guaire. ‘Wahrlich’, sagte Guaire, ‘ich weiß, weshalb ihr mir grollt.’ ‘Wir grollen nicht’, sagte Cano; ‘aber wir möchten uns vergnügen, d.h. einen Rundgang durch Irland machen, daß wir seine Hügel und seine Burgen und seine Klöster und seine Edelleute sehen. Wir werden zu dir (zurück)kommen und von dir (wieder) fortgehn. Man berichtet uns, daß im Süden bei den Männern von Munster ein hervorragender Jüngling ist, Illan Scannláns Sohn von den Corco-Laige. Wir möchten gehn ihn zu treffen.’ ‘So kommt’, sagte Guaire, ‘und nehmt (noch) ein Nachtmal bei mir ein.’ So gingen sie hin, und die Edeln von Connaught kamen, um von ihnen Abschied zu nehmen. Auch Cred kam zu der Zurüstung und Marcán und Colcu. Es waren aber vier Reiter nötig, um Cred zu hüten. Sie bat Guaire, daß sie diese Nacht die Schenkin für die Männer von Schottland und für die Connachter sein dürfe. Dann legte sie einen Schlafzauber über die Menge, so daß (alle) in Schlaf verfielen außer ihr und Cano. Dann kam sie zu ... und war bei ihm auf seinem Lager, ihn umwerbend. Doch erreichte sie es nicht von ihm, so lange er in fremdem Dienste wäre; wenn er aber das Königtum erhielte, würde er ihr entgegenkommen und sollte sie auf immer als seine Frau bei ihm sein. Und sein Stein wurde als Bestimmung (Pfand), daß sie sich treffen würden, bei ihr gelassen. Denn er sagte, in dem Stein sei seine Seele. Seine Mutter habe im Wochenbett gelegen; sie habe geschlafen und zwei Síd-Frauen (Feen) auf sich zu kommen


p.398

sehen; da sei seine Seele in Gestalt eines Steins über seine Lippen herausgekommen. Und seine Mutter habe ihn der einen von ihnen aus der Hand genommen. ‘Es ist die Seele deines Sohns, Frau’, habe diese gesagt, ‘die du erhalten hast.’—‘Meine Mutter bewahrte den Stein, bis ich selber fähig war ihn zu bewahren.’ ‘Laß ihn bei mir’, sagte sie (Cred), ‘als Bestimmung, daß wir uns treffen.’ So geschah es, der Stein blieb bei ihr. Und jeden Tag wurde er aus dem Korbe genommen; dann pflegte sie zu sagen: ‘O Stein, wenn ich dich täglich ansehe: es sei denn, daß ich um das mir Verbürgte betrogen werde, so werde ich nicht mein Leben für dein Zerbrechen annehmen.’ Das ist Canos Kommen nach Irland und zu Guaire.